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Entspannung für Städter: Grünflächen sind kein Ersatz für Natur

In Parks und grünen Oasen suchen Städter Entspannung. Und bestätigen damit einen althergebrachten Widerspruch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Max Tholl

Frank-Walter Steinmeier ist Gärtner. Leider lasse ihm seine Frau bei der Gartenpflege meist nur die weniger attraktiven Tätigkeiten wie Rasenmähen oder die Laubentsorgung zukommen, scherzte der neue Bundespräsident, als er sich bei der Eröffnung der Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Berlin als wahrer „Gartenfan“ bekannte.

Dass Steinmeier abseits des stressigen Politikbetriebs seine Gedanken zur Abwechslung gerne zu Hortensien und Gladiolen schweifen lässt, verwundert wenig. Der Garten verkörpert und schenkt uns seit jeher Ruhe und Besinnlichkeit. Er ist ein Ort der inneren Einkehr. Dass man auf solche Orte im Dickicht der Städte nicht verzichten kann, weiß auch Michael Müller. 85 Prozent des IGA-Geländes sollen seiner Planung nach dauerhaft zur innerstädtischen Ruheoase werden. In Berlin braucht man schließlich Grünflächen zur Erholung. Das klingt erst mal gut. Doch was legitimiert ein solches Projekt in einer Stadt, in der Wohnraum zur Mangelware wird?

Die Stadt ist kein fruchtbarer Boden für den Müßiggang

Es ist das Verlangen der Bürger, dieser grauen Betonwüste zu entkommen. Die Stadt ist eine unnatürliche Umgebung, auf Produktivität und Effizienz gemünzt. Die Natur ist ihr Gegenpol, ideal für alle, die des Tempos der Stadt überdrüssig sind. Wer einen Gang runterschalten will, muss der Stadt meist entfliehen oder Bewältigungsmechanismen entwickeln. Für den Müßiggang bietet sie keinen fruchtbaren Boden, denn dieser erfordert eine gewisse Ruhe. Naturklänge aus geräuschreduzierenden Kopfhörern sind eine Möglichkeit, ihrem Tumult zu entkommen.

Der Kontakt zur realen Natur aber ist das altbewährte Mittel. Dass immer mehr Großstädter ihre Freizeit deshalb mit Wandertouren oder Urban Gardening – also der Bepflanzung oder Erschaffung urbaner Gärten – verbringen, ist die logische Konsequenz.

"Der arbeitende Mensch hat keine Zeit mehr, etwas anderes zu sein als eine Maschine"

Pionier dieses Teilzeit-Ausstiegs war der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau, der sich dem modernen Leben entzog und zwei Jahre lang alleine in einer selbst gebauten Blockhütte am See über die Zwänge des profanen Alltags sinnierte. Sein daraus entstandenes Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“ gilt vielen jungen Großstädtern heute als Anleitung für ein naturnahes und besonnenes Leben. Das im Jahr 1854 erschienene Buch war von Thoreau als Manifest der Entschleunigung verfasst worden. Eine Rückbesinnung auf das Wesentliche in den Anfangstagen der industrialisierten Massengesellschaft. Thoreau, der als einer der Gründungsväter des Amerikanischen Transzendentalismus gilt, schrieb, dass der arbeitende Mensch keine Zeit mehr habe, etwas anderes zu sein als eine Maschine. Er hingegen wollte „tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen“.

Die Natur und Einsamkeit waren ihm dafür unabdinglich. Thoreau musste sich der Gesellschaft entziehen, der er später den Spiegel vors Gesicht halten wollte. So einsam, wie es scheint, war der Schriftsteller allerdings nicht. Neben regelmäßigen Gästen besuchte ihn auch seine Mutter fast täglich mit Nahrung und frischer Wäsche. Im Hintergrund das ständige Rattern der vorbeifahrenden Eisenbahn als Erinnerung an den technologischen Fortschritt der Gesellschaft.

Eine Art Zoo der Pflanzenwelt

Wie bei Thoreau ist auch das Verhältnis der Großstädter zur Natur teils illusorisch. Der städtische Park oder Garten kann nämlich nicht mit der ländlichen Natur gleichgesetzt werden. Man gibt sich nur der Illusion hin, gerade im rheinischen Weinberg oder japanischen Bonsaigarten zu verweilen. Ein genaueres Hinhören zieht einen aber meist in die Wirklichkeit zurück. Der städtische Garten ist eine Art Zoo der Pflanzenwelt. Eine domestizierte Form der wilden Natur. Wie alles andere in der Stadt sind auch die städtischen Grünanlagen purer Pragmatismus. Sie sind grüne Lungen, die das innerstädtische Klima verbessern, und die zeiteffizienteste Möglichkeit, zumindest einen Hauch frischer Luft zu schnappen. Die städtische Natur steht dem Optimierungsdrang der Stadt also nicht entgegen, sie ist ein wesentlicher Bestandteil von ihm.

Insofern ist jeder neu geschaffene Park lediglich der neueste Ausdruck eines althergebrachten Paradoxons: Städter sind ihres selbst gewählten Lebensraumes oft überdrüssig, allerdings nicht willens, diesen auf Dauer für tatsächliche Natur zu verlassen. Stattdessen domestiziert der Städter die Natur und dreht sonntägliche Runden um die immer gleichen Rosenbeete, während der Bundespräsident zur Entspannung Laub entsorgt. Vielleicht war Thoreau seiner Zeit einfach nur sehr weit voraus.

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