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Politik: Ganz langsam Österreich (Kommentar)

Der Kurswechsel war absehbar. An der Formulierung der österreichischen Volkspartei (ÖVP) nach den Wahlen vom 3.

Der Kurswechsel war absehbar. An der Formulierung der österreichischen Volkspartei (ÖVP) nach den Wahlen vom 3. Oktober, sie werde "die Weichen in Richtung Opposition stellen", war von Beginn auffällig, wie weich sie war. Zwei Monate hat sich die ÖVP im Bewußtsein ihrer Unentbehrlichkeit bitten lassen. Denn die Sozialdemokraten (SPÖ), immer noch die stimmenstärkste Partei, wollen auf keinen Fall mit den rechtspopulistischen "Freiheitlichen" (FPÖ) zusammengehen, die bei der Wahl knapp vor der Volkspartei auf dem zweiten Platz landeten. "Seht ihr: Ohne uns geht es nicht", hämmert die ÖVP-Führung den Österreichern als Begründung für ihren Schwenk ein.

Dass sich die Braut doch noch traut, bedeutet allerdings keine endgültige Entscheidung für ihre Partnerwahl. Da Bundespräsident Thomas Klestil angekündigt hat, er werde SPÖ-Chef Viktor Klima mit der Regierungsbildung beauftragen, führt bei den Verhandlungen über ein mehrheitsfähiges Kabinett an den Sozialdemokraten zunächst kein Weg vorbei. Mit seinen Äußerungen vom Wochenende hat der ÖVP-Vorsitzende Wolfgang Schüssel allerdings klar signalisiert, dass er die angenehme Rolle seiner Partei nicht aufgeben will, zwei Bewerber gegeneinander auszuspielen. Denn FPÖ-Chef Jörg Haider hat nicht nur seine Rhetorik verändert, um eine Regierungsbeteiligung seiner "Freiheitlichen" zu ermöglichen. Die FPÖ würde dafür wirklich manches tun.

Schüssel hat noch die Wahl. Dahinter allerdings steckt viel Qual. Denn in 13 Jahren als Juniorpartner der SPÖ hat die Volkspartei immer mehr an Kontur und damit an Stimmen verloren. So ist der beste Grund für die Große Koalition, dass die Alternative mindestens ebenso heikel ist: das Bündnis der ÖVP mit den Populisten von Rechtsaußen Haider. Denn dagegen haben nicht nur die Vertreter der exportorientierten Großindustrie innerhalb der ÖVP etwas einzuwenden, die Image- und Umsatzeinbußen befürchten. Außenminister Schüssel weiß selbst genau um den internationalen Schaden für sein Land, sollten FPÖ-Minister für Österreich auf Europaebene mitspielen. Präsident Klestil übt aus diesem Grund Druck auf den ÖVP-Chef aus. Die Befürworter einer Fortsetzung der Koalition haben zudem Verstärkung von einer Seite bekommen, die Haider bisher nicht eben feindlich gesinnt war. Die "Kronen-Zeitung", deren Reichweite in Österreich verglichen mit Boulevardblättern in anderen europäischen Ländern einmalig ist, hat in einer Kampagne ihre Sympathie für die etablierten Verhältnisse entdeckt.

In diesem Dilemma wird Schüssel versuchen, seine inhaltlichen Schwerpunkte in den Verhandlungen mit der SPÖ so festzuklopfen, dass die ÖVP-Handschrift im Regierungsalltag nicht verwischt werden kann. Die Frage ist, ob die Volkspartei dabei nicht die Schmerzgrenze der machtgewohnten Sozialdemokraten überschreitet. Sonst könnte die ÖVP doch noch die zweite Option wagen: Haider bleibt in Kärnten und Schüssel versucht als Kanzler, die FPÖ durch Regierungsbeteiligung zu entzaubern.

Ulrich Glauber

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