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Politik: „Gauck schien keine kritische Aufarbeitung der DDR zu wollen“

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich erklärt, warum die Linke den rot-grünen Kandidaten nicht zum Präsidenten wählen will

Warum ist Joachim Gauck für die Linke als Bundespräsident nicht wählbar?

Es gibt Gründe, die in der gegenwärtigen Politik liegen. Seine Haltung zu Militäreinsätzen und zum Sozialabbau gefallen mir nicht. Außerdem teile ich seine strategischen Einschätzungen nicht: Er lehnt ein rot-rot-grünes Bündnis ab, das mir sehr wichtig wäre. Es gibt aber auch Gründe, die in der Vergangenheit liegen: Da geht es um seinen Umgang mit der DDR. Um ehrlich zu sein: Das ist das Thema, das viele unserer Parteimitglieder und auch Wähler am meisten berührt.

Was stört Sie an Gaucks Umgang mit der DDR-Geschichte?

Joachim Gauck hat als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde nicht den Eindruck vermittelt, dass er die kritische Aufarbeitung fördern will. Er wollte Schuldige finden, die dann möglichst nicht mehr in der Öffentlichkeit vorkommen sollten. Dabei gab es Anfang der 90er auch bei denen, die in der DDR Schuld auf sich geladen haben, eine Offenheit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Gauck hat aber dazu beigetragen, dass nach der Wende eher weniger als mehr über die Verbrechen der DDR geredet wurde.

Was hätte Gauck anders machen sollen?

Zu Wendezeiten gab es den Spruch: „Stasi in die Produktion“. Man wollte, dass die Leute, die beim Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen waren, sich wie alle anderen den Widrigkeiten des Alltags widmen. Doch dann gab es sehr schnell eine Veränderung, die von einer Minderheit in der DDR und einer Mehrheit aus den alten Ländern getragen wurden, die sagte: Wir wollen, dass diese Leute verschwinden und wir nicht mehr täglich damit konfrontiert werden. Wer seine Verstrickungen mit dem System zugegeben hat, war draußen, hatte keine Chance mehr auf eine Stelle im öffentlichen Dienst oder häufig auch nicht in der Privatwirtschaft – egal ob er sich seiner Vergangenheit kritisch stellte oder nicht. Das hat dazu geführt, dass es zu wenig Offenheit im Umgang mit Fehlern gab.

Hätte Gauck denn über das in der DDR begangene Unrecht hinwegsehen sollen?

Nein, überhaupt nicht. Meine Kritik bezieht sich auch ausdrücklich nicht auf die Stasi-Unterlagenbehörde oder das Gesetz, sondern auf die Person Gauck. Wir haben als PDS damals gesagt: Wir erwarten von denjenigen, die bei uns für Ämter oder Parlamente kandidieren, einen offenen Umgang mit der Vergangenheit. Aber wir haben auch gesagt: Wer aus seinen Fehlern gelernt hat, sollte eine zweite Chance bekommen.

Teilen Sie die Einschätzung Ihres Ex-Parteichefs Oskar Lafontaine, dass Gauck als Leiter der Stasi-Unterlagen seine Behörde instrumentalisiert habe, „um die DDR auf allen Ebenen zu delegitimieren“?

Nein. Dazu brauchte es nicht Joachim Gauck. Die DDR hat sich ja bis zum 18. März 1990 nicht einmal selbst durch demokratische Wahlen legitimiert.

Finden Sie Lafontaines Vorwurf gerechtfertigt, dass Gauck als protestantischer Pfarrer zu denen gehört habe, die von der Staatssicherheit Privilegien erhielten?

Ich möchte nicht im Nachhinein darüber richten, was man in der DDR hätte tun sollen oder nicht.

Mit der ablehnenden Haltung zu Gauck bestärkt die Linke den Eindruck, dass sie 20 Jahre nach der Wende immer noch ein unklares Verhältnis zum DDR-Unrecht hat. Wäre das nicht ein Grund, ihn zu wählen?

Ich glaube nicht, dass wir von der DDR-Vergangenheit befreit wären, wenn wir Gauck wählen würden, und hielte das auch für falsch. Als Nachfolgepartei der SED müssen wir uns der Vergangenheit immer wieder stellen, auch wenn es schmerzhaft ist. Und wichtiger ist, dass wir durch unser tägliches Handeln zeigen, was wir wollen: wie etwa beim Einsatz für eine bessere Entschädigung der Opfer des SED-Unrechts in der letzten Woche im Bundestag.

Gregor Gysi wirft Gauck die Fast-Gleichsetzung des Nazi-Regimes mit der DDR-Diktatur vor. Sehen Sie das auch so?

Das steht für mich nicht im Mittelpunkt, aber der Vorwurf ist berechtigt. Bei aller notwendigen Kritik an der Art und Weise, wie die DDR konstituiert war und wie sie gehandelt hat: Es gibt sehr große Unterschiede zum Nationalsozialismus. Beides in einem Atemzug zu nennen, ist falsch.

Halten Sie Gauck auch in einem dritten Wahlgang für nicht wählbar?

Ich gehe davon aus, dass es keinen dritten Wahlgang geben wird.

Das Interview führte Cordula Eubel.

Stefan Liebich (37) vertritt seit 2009 die Linke im Bundestag – als Direktkandidat des Berliner Wahlkreises Pankow. Der Betriebswirt war jahrelang Sprecher des Reformerflügels der Partei.

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