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Gauck vereidigt: Worte, die auf Taten folgen

Fünf Tage lagen zwischen Wahl und Vereidigung des neuen Bundespräsidenten. Tage, in denen Joachim Gauck noch einmal stummer Gast sein konnte. Seit Freitagmorgen ist das vorbei.

Von Antje Sirleschtov

Als Schluss ist, steht im Foyer des Bundestags ein grauhaariger Mann im hellbraunen Sakko und grinst. Um seinen Hals liegt ein roter Schal, der ist das Markenzeichen des ewigen Rebellen Hans-Christian Ströbele, einem der grünen Urgesteine. Gerade wurden ihm für sein frühes Lebenswerk allerhöchste Würden zuteil. Von keinem geringeren als dem Bundespräsidenten. In dessen erster großer Rede im höchsten Staatsamt durfte Ströbele erfahren, dass er in seiner Jugend als 68er nicht weniger als ein Wegbereiter für das „deutsche Demokratiewunder“ war, in dem seither Millionen Deutsche in Freiheit und Wohlstand leben dürfen. Mehr noch: Die Ströbeles dieser Welt, so in etwa hatte es Joachim Gauck gesagt, sie hätten „die historische Schuld“ der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ins kollektive Bewusstsein gerückt und damit ein Beispiel gesetzt.

Nun ist Hans-Christian Ströbele wahrlich keiner, der solch ausführliche Huldigung aus dem Munde des Staatsoberhaupts nicht gern hören würde. Und doch will das Öl nicht so recht runterlaufen an diesem Freitagmorgen in seiner Kehle. Irgendwas stört ihn an der Lobpreisung – vielleicht der pastorale Ton, in dem sie vorgetragen wurde, vielleicht auch das Pathos. Hinter Ströbele wird im Plenum in diesem Moment ein Antrag der Linksfraktion zur Notwendigkeit beraten, Millionären höhere Steuern abzuknöpfen, um mit dem Geld Schulen besser auszustatten. „So viel zu den Wundern der Demokratie“, zischt Ströbele noch zwischen den Zähnen hervor, dann verschwindet er.

Dr. h.c. Joachim Gauck wird da bereits in einer schwarzen Limousine vor dem Schloss Bellevue vorfahren und auf einem roten Teppich zu den Klängen der Nationalhymne die Ehrenformation der Bundeswehr abschreiten. Vor vier Wochen haben alle Parteien des Bundestags, bis auf die Linken, Joachim Gauck zu ihrem Kandidaten erklärt. Vergangenen Sonntag wurde der Nominierte dann mit übergroßer Mehrheit der Bundesversammlung zum elften deutschen Bundespräsidenten gewählt. An diesem Freitag hat er schließlich im Bundestag feierlich die rechte Hand erhoben und aus der Urschrift des Grundgesetzes die offizielle Formel zur Vereidigung verlesen. Vier ehemalige Präsidenten nebst Gattinnen, das ganze Kabinett und beinahe alle Ministerpräsidenten waren eigens dazu angereist. „So wahr mir Gott helfe“, hat Gauck feierlich gelobt. Nun ist er auch ganz offiziell das, was er schon 2010 werden wollte: Oberhaupt der Deutschen. Der Erste unter allen.

Der letzte Bundespräsident musste schmachvoll abtreten. Bilder von den Protesten, die den Zapfenstreich begleiteten.

Um etwas über das Verhältnis der Deutschen zu ihrem neuen Präsidenten zu erfahren, musste man nicht erst die eingefallenen Wangen und die hängenden Schultern seines Vorgängers Christian Wulff an diesem Freitagmorgen sehen. Dessen wenig kritische Nähe zu befreundeten Unternehmern, die ausfluchtverdächtigen Auskünfte dazu und letztlich Untersuchungen der Staatsanwaltschaft haben ihn Mitte Februar zum Rücktritt gezwungen. Seither ist Wulff so etwas wie die Personifizierung der Verachtung des Volkes für die Politiker. Ein Gefallener. Und ganz gleich, wer ihm nachfolgt: Die Menschen erwarten, dass der neue Präsident dem Amt die Würde zurückbringt, von der sie glauben, dass Wulff sie ihm genommen hat.

Schon am Dienstag waren in Leipzig tausende Menschen ins Stadtzentrum gekommen, um den Mann zu sehen, der das jetzt schaffen soll. Die Sachsen wollten an diesem Tag den 800. Geburtstag ihres weltberühmten Thomanerchors feiern. Doch dann gab es noch Wichtigeres: Joachim Gauck, ihren frisch gewählten Präsidenten. In dichten Reihen standen die Menschen vor der Kirche Spalier, sie winkten, sie drückten seine Hände und applaudierten minutenlang, obwohl Gauck noch nicht mehr als drei Worte gesagt hatte: „Guten Morgen, Leipzig.“

Mit seiner Rede umarmt Gauck seine Gegner.

Und auch zwei Tage später, im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg, wo die Preisverleihung eines Ideenwettbewerbs für Bürgerstiftungen stattfand, standen plötzlich weder Preisträger noch Bürgerengagement im Zentrum. „Was für ein schöner Donnerstag“, wurde Gauck in Abwandlung seines eigenen Zitats vom vorigen Wahl-Sonntag überschwänglich begrüßt. Und die Gastgeberin Susanne Klatten wünschte sich, an den Präsidenten Gauck gerichtet, „dass Sie uns teilhaben lassen an der Suche nach einer neuen Ernsthaftigkeit in der Politik“.

Strahlende Gesichter überall. Er ist gekommen, er gibt sich die Ehre. Am Dienstag in Leipzig, am Donnerstag in Berlin. Auch hier sagt er kein einziges Wort.

Das Wort richtet Gauck zum ersten Mal an diesem Freitag an sein Volk. Den „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ spricht er Mut zu. Sie sollen nicht verzweifeln an der immer größer werdenden Kluft von Arm und Reich, an den Unwägbarkeiten der Globalisierung, drohenden Kriegen und Einschüchterungsversuchen von religiösen Fanatikern, sagt Gauck und wirbt um Vertrauen in die Zukunft. Denn Deutschland, findet Gauck, „verfügt über genügend Demokraten, die dem Ungeist wehren“. Es ist das Bekenntnis eines Mannes, der die meisten Jahre seines Lebens in der Unfreiheit des DDR-Staats gelebt hat und der die Demokratie des Westens seither uneingeschränkt begrüßt. „Weil wir nie zuvor eine bessere gesehen haben.“

Und so wurde Gauck gewählt:

Eine knappe halbe Stunde dauert sie, die erste Rede des Bundespräsidenten, der am kommenden Montag zu seinem ersten Staatsbesuch nach Polen aufbrechen will. Nur ein paar Stunden wird er Warschau besuchen, ein Abendessen, ein paar wenige Gespräche, dann geht es zurück nach Berlin. Polen zu besuchen, das ist wegen der nachbarschaftlichen Nähe, aber vor allem wegen der besonderen Verpflichtung Deutschlands aus dem Zweiten Weltkrieg, so etwas wie ein Pflichttermin zur Amtsübernahme eines jeden deutschen Präsidenten.

Gaucks Biografie – Pfarrer, Stasi-Jäger, Ostdeutscher – gleicht zwar nicht gerade denen seiner Vorgänger, weshalb er seine erste Reise an einem anderen Ort mit einer ganz eigenen Botschaft hätte begleiten können. Doch Gauck scheint alles richtig machen und nicht anecken zu wollen. Mancher mag darin bereits Anzeichen eines Staatsoberhaupts sehen, dem das Ankommen ganz oben Lebensziel genug ist. Andere sehen darin einen klugen Schachzug. Schließlich ist Gauck nicht nur beliebt bei den Leuten, er hat in den vergangenen Jahren auch viele vor den Kopf gestoßen. Weil er über sein Lebensthema Freiheit gesprochen hat, ohne zu erwähnen, dass er damit nicht die Freiheit der Ellenbogen meint. Oder durch missverständliche Äußerungen über das migrantenfeindliche Buch von Thilo Sarrazin.

Eine Biografie in Bildern:

An diesem Freitag jedenfalls umschlingt er erst mal alle seine Kritiker. „Unser Land“ solle eines der sozialen Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen sein, sagt er. „Unser Land“ solle ein „Zuhause sein für die, die hier leben“, unabhängig von Tradition und Religion. Gauck ehrt die Väter des Wirtschaftswunders im Westen, benennt den Mut der Menschen, die 1989 die Mauer einrissen, er verankert sich und das Land fest in Europa, er droht den Rechtsradikalen. „Euer Hass ist unser Ansporn“, sagt er und fordert alle, Politiker wie Bürger, auf, einander zu vertrauen, sich zu achten und nicht zu verachten.

Als Joachim Gauck seine Rede beendet hat, stehen alle im Bundestag von ihren Plätzen auf und klatschen ihm mit erhobenen Händen zu. Von Rainer Brüderle, dem Liberalen, bis weit hinüber zu Gesine Lötzsch, der Parteichefin der Linken. Und auch die zahlreichen Gäste stehen und applaudieren immer weiter, als wollten sie nicht mehr aufhören, da verlässt der Bundespräsident schon seinen Platz hinter dem Rednerpult und geht auf die vier für ihn und seinen Vorgänger bereitgestellten Stühle im Zentrum des Bundestags zu. Er ist gerade als Bundespräsident vereidigt worden, er hat gerade seine erste Rede gehalten, er blickt ernst und feierlich nach vorne. Zuerst greift Joachim Gauck die Hand von Wulff, drückt sie kurz und dreht dann zu dessen Ehefrau Bettina hin, der er ebenfalls die Hand für einen Moment gibt.

Dann steht der erste Mann im Staate vor seiner eigenen Frau, seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt. Sie trägt ein elegantes Kleid, sie lächelt ihn an. Und er? Joachim Gauck reicht ihr seine Hand. Dann setzt er sich auf seinen Stuhl, faltet die Hände vor dem Bauch und senkt mit ernstem Blick den Kopf. Noch immer stehen alle um ihn herum und beklatschen ihn – den Mann ganz oben.

Mitarbeit Elisabeth Binder

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