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Gaza-Konflikt: Israel droht mit Bodenoffensive - Westerwelle fordert Waffenruhe

Auch am Sonntag haben israelische Kampfjets Ziele im Gazastreifen angegriffen - und wieder wurden von dort Raketen abgefeuert. Israels Ministerpräsident Netanjahu lässt wenig Zweifel daran, dass er zu einer Bodenoffensive bereit ist.

Während sich Ägypten intensiv um einen Waffenstillstand bemühte, ging der gegenseitige Raketenbeschuss zwischen den Hamas-Brigaden und der israelischen Armee am Sonntag weiter – wenn auch mit geringerer Intensität. In Kairo trafen Delegation von Hamas und Islamischer Dschihad ein, aber auch ein Unterhändler aus Tel Aviv.

Vorausgegangen war eine relativ ruhige Nacht. Von Samstag zu Sonntag flogen zehn Stunden lang keine Raketen von Gaza in Richtung Israel. Tagsüber setzte das Feuer mit rund 35 Geschossen wieder ein, zwei davon in Richtung Tel Aviv, die von Israels Raketenabwehr abgefangen wurden. Im Gegenzug hat Israels Armee nach eigenen Angaben inzwischen nahezu tausend Ziele bombardiert, darunter den Amtssitz von Premierminister Ismail Hanija, das Hauptquartier der Polizei in Gaza Stadt sowie zwei lokale Medienzentren. Die Zahl der palästinensischen Todesopfer stieg auf 65, darunter 19 Kinder und Jugendliche. In Israel kamen drei Zivilisten ums Leben.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte, dass seine Truppen in weniger als fünf Tagen eintausend „Terroristenziele“ attackiert und zerstört hätten. Er drohte offen mit einer massiven Erweiterung des Kampfgeschehens, also mit einer Bodenoffensive, falls kein langfristiger Waffenstillstand vereinbart werde. „Die Operation im Gazastreifen geht weiter, und wir sind dazu bereit, sie noch bedeutend auszuweiten“, sagte Netanjahu. Tausende Reservisten werden nach Armeeangaben auf einen möglichen Bodeneinsatz vorbereitet. Bis zu 75 000 Reservisten müssen mit einer Einberufung rechnen. Ein Hamas-Sprecher in Gaza sprach seinerseits von deutlichen Fortschritten bei ägyptischen Vermittlungsbemühungen, so dass ein Waffenstillstand schon am Montag möglich erscheine.

Am Samstag hatten die Außenminister der Arabischen Liga in Kairo bei einer Dringlichkeitssitzung die Vermittlung von Präsident Mohamed Mursi vorbehaltlos unterstützt. Eine Delegation des Staatenbundes soll am Dienstag in die Enklave reisen. Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hat sich angesagt. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan traf am Wochenende in Kairo mit Mursi zusammen und erklärte, Israel werde „früher oder später“ für seine Massaker in Gaza international zur Verantwortung gezogen werden. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz kündigte Mursi an, es gebe Anzeichen für einen Waffenstillstand, wenn auch „keine Garantien“.

Die Verhandlungen stocken offenbar, weil die Palästinenser feste Garantien von dritter Seite fordern, unter anderem von den Vereinigten Staaten, dass Israel die getroffene Vereinbarung auch wirklich einhält. Sie verlangen für das Abkommen ein Ende der seit 2007 herrschenden Blockade des Gazastreifens durch Israel sowie ein Ende der gezielten Tötungen durch Drohnen. Israel dagegen will per Vertrag zugesagt bekommen, dass das Raketenfeuer aus Gaza „ein für allemal“ beendet wird.

Bereits Anfang vergangener Woche, drei Tage vor Beginn der Feindseligkeiten, hatte ein von Ägypten vermittelter Waffenstillstandsvertrag unterschriftsreif vorgelegen. Während auf palästinensischer Seite Hamas und Islamischer Dschihad ihre Zustimmung signalisierten, hielt sich Israels Kabinett bedeckt, wiegte die palästinensische Seite mit einem gezielten „Manöver der Desinformation“ in Sicherheit, wie die Zeitung „Haaretz“ schrieb. Am Mittwoch dann ließ Jerusalem wie aus heiterem Himmel Hamas-Militärchef Ahmed Jaabari mit einer Rakete aus der Luft töten, was die militärische Eskalation auslöste.

Berlin setzt auf Ägypten als Vermittler

Israelische Panzer an der Grenze zu Gaza. Plant die israelische Armee eine Bodenoffensive?
Israelische Panzer an der Grenze zu Gaza. Plant die israelische Armee eine Bodenoffensive?

© Reuters

Bei dem Treffen der Arabischen Liga in Kairo kritisierte der Premierminister von Qatar, Scheich Hamad bin Jassem al Thani, ungewöhnlich scharf den eigenen Staatenbund. „Unsere Treffen sind eine Verschwendung von Zeit und Geld“, sagte er. Auch heute sei man wieder zusammengekommen und werde eine Resolution verabschieden. „Aber diese Resolutionen bedeuten gar nichts.“ Die arabischen Staaten müssten die gesamte Lage in der Region einer schonungslosen und ehrlichen Analyse unterziehen. „Wir können nicht weiter Hoffnung verbreiten und dann nicht liefern.“ Scheich al Thani kritisierte vor allem, dass die versprochenen Hilfsgelder für die Palästinenser die Menschen bisher nicht erreicht hätten. „Sie brauchen Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser – wir haben so viele Dinge versprochen und dann doch nicht gehalten.“

US-Präsident Barack Obama bekräftigte am Sonntag das Selbstverteidigungsrecht Israels. Kein Land würde es tolerieren, dass von außerhalb seiner Grenzen immer wieder Raketen auf sein Territorium abgefeuert würden, sagte er. Zuvor hatte ein hochrangiger US-Sicherheitsberater gesagt, die israelische Regierung habe die Entscheidung über eine Bodenoffensive selbst in der Hand: „Wir wollen dasselbe wie die Israelis. Und das ist ein Ende des Raketenbeschusses aus Gaza.“

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein und betonte in einem Telefonat mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu das Recht Israels auf Selbstverteidigung und die Pflicht zum Schutz der israelischen Bevölkerung. „Sie war sich mit dem Premierminister einig, dass schnellstmöglich ein vollständiger Waffenstillstand erreicht werden müsse, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden“, hieß es in einer Mitteilung von Vize-Regierungssprecher Georg Streiter.

Merkel telefonierte demnach auch mit dem ägyptischen Präsidenten Mursi. Ihn ermunterte sie, „seine wichtige Vermittlerrolle weiter auszuüben und die palästinensischen Gruppen zu einer umgehenden Einstellung der Angriffe auf Israel zu bewegen“. Außenminister Guido Westerwelle rief Israel und die Palästinenser zu einer Waffenruhe auf. „Ich habe gerade eben vor wenigen Minuten mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas telefoniert. Wir sind uns einig darüber, dass die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand jetzt schnellstmöglich erarbeitet werden müssen“, sagte Westerwelle am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.

Eine besondere Verantwortung sah Westerwelle auf Seiten der Palästinenser. „Das heißt aber vor allen Dingen, dass der Raketeneinschlag und der Raketenbeschuss, der ja von Gaza aus seit Monaten in Richtung Südisrael geht, eingestellt wird“, sagte der FDP-Politiker. Dies sei „die wichtigste Voraussetzung für alles Weitere“.

Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi forderte Westerwelle in dem Interview auf, seine Rolle als Vermittler im Nahostkonflikt wahrzunehmen und dabei neutral zu bleiben. „Mein Eindruck ist, dass er auch das Gewicht Ägyptens in den gesamten Nahost-Prozess wieder einbringen will“, sagte der Minister. Das bedeute aber auch, „dass Waffenlieferungen, die ja von Ägypten aus nach Gaza mutmaßlich stattgefunden haben, unverzüglich auch gestoppt und beendet werden“.

Westerwelle erwägt einen Besuch im Nahen Osten. Israel hatte am Mittwoch eine Luftoffensive im Gazastreifen gestartet, um den von dort ausgehenden Raketenbeschuss seines Territoriums zu stoppen. Mittlerweile werden in Ägypten Gespräche über eine Waffenruhe geführt. Bei dem wieder aufgeflammten Konflikt kamen bislang mehr als 70 Menschen ums Leben, darunter drei Israelis. (mit dpa/AFP)

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