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Geburtenrate: Madame traut sich

Die Französinnen sind Europameister im Kinderkriegen – doch auch Deutschland steigert erstmals seit dem Jahr 2000 die Geburtenrate.

Zufriedenheit auf beiden Seiten des Rheins: Während die Französinnen noch vor den Irinnen Europameisterinnen im Kinderkriegen sind, freut sich die deutsche Familienministerin, dass endlich der Abwärtstrend bei der durchschnittlichen Geburtenrate gestoppt werden konnte. Zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau wieder gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt sind es vor allem die Frauen ab 30, die im Durchschnitt wieder mehr Kinder bekommen. Mit 1,38 Kindern pro Frau im Jahr 2008 liegen die Deutschen allerdings noch immer weit hinter den Franzosen. Das Nachbarland hatte 2008 eine durchschnittliche Geburtenrate von 2,07 Kindern pro Frau und konnte 828  404 Neugeborene zählen. Damit wurde sogar fast der Rekord von 2006 (829 352) erreicht. Der EU-Durchschnitt liegt bei 1,5 Kindern pro Frau.

Neu in Deutschland ist auch, dass die Frauen im Osten durchschnittlich mehr Kinder gebären als im Westen – zum ersten Mal seit 1990. 1,4 Säuglinge wurden hier im Schnitt geboren und korrigierten die Geburtenrate nach oben. „Das erklären wir uns unter anderem dadurch, dass die Frauen dort inzwischen auch erst später ihre Kinder bekommen“, sagte eine Sprecherin des Statistischen Bundesamtes. Im Westen blieb es bei einer durchschnittlichen Geburtenrate von 1,37.

Insgesamt jedoch wurden in Deutschland etwa 2000 Kinder weniger als im Vorjahr geboren, nämlich 682 000. Das erklärt sich aus der sinkenden Zahl von Frauen im gebärfähigen Alter. Im vergangenen Jahr sank die Zahl der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren um 176 000 gegenüber dem Vorjahr.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zeigte sich in einer Mitteilung erfreut über den Anstieg der Geburtenrate, betonte aber, dass Deutschland beim demografischen Wandel einen langen Atem brauche.

Die französische Familienministerin Nadine Morano dagegen jubiliert: „Das ist eine ermutigende Botschaft seitens der Mitbürger, die beweisen, dass sie sich die Zukunft in positiver Weise vorstellen.“ Solcher Zweckoptimismus ist verständlich, die Zunahme der Geburten um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr nimmt sich sehr schön aus im Kontext der sonst fast durchweg negativen Vergleichszahlen des französischen Statistischen Amts, vor allem jene der gegenwärtigen Entwicklung des Bruttoinlandprodukts oder der Arbeitslosigkeit.

Der Soziologe François de Singly sieht in den Infrastrukturen – Kinderkrippen, Schulkantinen, Vorschule, außerschulische Freizeitaktivitäten – und in der finanziellen Unterstützung der Familien und der alleinerziehenden Mütter den „wichtigsten Faktor“, wenn es darum geht, die besonderen Fortplanzungsbestrebungen in Frankreich im Vergleich mit Nachbarländern zu erklären. Die sogenannte „natalistische“ staatliche Geburtenförderung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, als die Franzosen von der Angst gepackt wurden, sie würden gegenüber den deutschen Nachbarn ins Hintertreffen geraten oder gar aussterben. Seither lassen sie es sich viel Steuergelder kosten, um die Berufstätigkeit der Mütter sozial und finanziell zu erleichtern. Dass eine Mutter schon wenige Wochen nach der Niederkunft wieder bei der Arbeit erscheint und ihr Baby in der Krippe abgibt und später die Kinder ab drei Jahren über Mittag in der Ganztagesschule lässt, gilt als Normalfall.

Die hohen Geburtenraten haben laut der Pariser Konjunkturforscherin Hélène Périvier auch Rückwirkungen auf die Wirtschaft. „Die wirtschaftliche Bedeutung ist langfristig betrachtet evident, kurzfristig gesehen aber wird höchstens der Kauf von Windeln und Kinderwagen gefördert“, scherzt sie.

Dass die Zahl der Kinder und damit der Erwerbstätigen von übermorgen in einer tendenziell alternden Gesellschaft ein entscheidender Beitrag ist, um die Zukunft der Altersvorsorge zu garantieren, versteht sich von selbst. Allerdings müsste Frankreich da ein anderes strukturelles Problem lösen: Obwohl in keinem anderen europäischen Land die 57- bis 65-Jährigen so früh und massenhaft aus der Berufswelt ausscheiden, ist parallel dazu die Jugendarbeitslosigkeit mit 24 Prozent eine der höchsten in der EU. Möglicherweise fehlt das Geld, das für die Geburten- und Familienförderung ausgegeben wird, für die Schaffung von Arbeitsplätzen für den Nachwuchs.

Rudolf Balmer[Paris], Robin Rothweiler[Berlin]

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