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Trost. Michelle Obama umarmt den Mann von Gabrielle Giffords.Foto: Kevork Djansezian/dpa

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Gedenken in Tucson: Predigt an die Nation

Obama wählt in Tucson den Pastorenton – die Amerikaner sollen jetzt zusammenrücken

Tucson suchte nach einem Retter, der die Stadt aus dem Entsetzen über das Verbrechen in ihrer Mitte reißt. Ganz Amerika dürstete nach Trost. Am Morgen nach der Trauerfeier in der Universität von Arizona loben die Interpreten der öffentlichen Meinung den Präsidenten und sehen Zeichen, dass die verwundete Seele der Nation zu heilen beginnt.

14 000 Menschen fasst das McKale Memorial Center der Universität in Tucson. Doppelt so viele waren am Mittwochabend gekommen. Sie wurden in Hörsäle gelotst, wo sie die Reden auf Videowänden verfolgen konnten. Millionen schauten per Fernsehen zu und bekamen Einblick in die speziellen Verhältnisse Süd-Arizonas. Carlos Gonzales, Nachfahre lokaler Indianer, eröffnete die Feier mit einer traditionellen Segensbitte „an unseren Schöpfer“. Ein Drittel Arizonas besteht aus selbstverwalteten Reservaten. Sein Vater sei Yaqui, die Mutter stamme von der mexikanischen Seite der Grenze, „und ich bin kein Medizinmann, sondern Medizin-Dozent“, sagte er, ehe er mit Vogelfedern in die vier Himmelsrichtungen wies, die für Hilfen zur Heilung stehen: Familie, Humor, Kraft, Verantwortungsgefühl.

Die republikanische Gouverneurin Jan Brewer, die ein scharfes Landesgesetz gegen illegale Einwanderer durchgesetzt hat, wurde mit vereinzelten Pfiffen empfangen; Universitäten sind auch in konservativen Staaten meist demokratisches Territorium. Doch solche Aufwallungen parteipolitischer Konflikte blieben die Ausnahme. Amerika sehnt sich nach Harmonie in seiner Bedrückung und möchte Vorbilder sehen, auf die es stolz sein kann. Zum Beispiel den 20-jährigen Daniel Hernandez, den Universitätspräsident Robert Shelton als „einen unserer Helden“ vorstellte. Er ist Student der Uni und freiwilliger Mitarbeiter der Abgeordneten Gabrielle Giffords. Bei der Bürgersprechstunde vor einem Supermarkt, wo sie am Samstag niedergeschossen wurde, war er an ihrer Seite. Zu ihrem Glück ist er ausgebildeter Sanitäter und rettete ihr wohl durch fachkundige Erste Hilfe das Leben. Er wurde mit donnerndem Applaus gefeiert. Bescheiden wies er das Lob zurück: „I am not a hero.“ Helden seien andere: die Bürger, die den Attentäter überwältigten; die Chirurgen, die um Giffords Genesung kämpfen. Verdoppelter Beifall war die Antwort.

Damit war die Bühne bereitet für den Präsidenten. Auf ihn richteten sich die größten Hoffnungen. Er soll Trost spenden und Sinn stiften nach einer Katastrophe, die die Menschen als sinnlos empfinden – so wie Ronald Reagan nach der Explosion der Raumfähre „Challenger“, Bill Clinton nach dem Oklahoma-Bombenattentat und George W. Bush nach dem Terrorangriff an 9/11. Obama sprach teils wie ein Pastor, teils mit dem Pathos eines politischen Seelenheilers, das er im Wahlkampf 2008 erfolgreich benutzt hatte. Er zitierte aus der Bibel. Und appellierte an den speziell amerikanischen Geist, wonach die Menschen noch in der Stunde des Bösen das Gute entdecken sollen.

Damit traf er den richtigen Ton, das war am Echo im Saal zu spüren und ließ sich an den Mienen der Fernsehmoderatoren ablesen. Reagan, Clinton, Bush hatten jeweils nur wenige Minuten gesprochen. Obama redete eine halbe Stunde, länger als angekündigt. Der emotionalste Moment kam, als er von seinem Manuskript abwich und vom Besuch am Krankenbett Giffords’ erzählte. Kurz danach habe sie zum ersten Mal wieder die Augen geöffnet. Die 14 000 erhoben sich, jubelten und klatschten, als seien sie Zeugen einer Wunderheilung. „Gabby hat die Augen geöffnet“, bekräftigte Obama. Erneut brachen sich die aufgestauten Gefühle in befreienden Rufen Bahn. „Sie spürt, dass wir hier für sie da sind.“ First Lady Michelle Obama umarmte den neben ihr stehenden Ehemann Giffords, Mark Kelly.

Obama sprach über jeden der sechs Toten einige persönliche Sätze: Ganz Amerika habe in ihnen einen Bruder verloren wie Gabe Zimmerman, ein Mitarbeiter Giffords. Einen Familienvater wie Richter John Roll. Und ein Kind wie die neunjährige Christina. Man spürte, dass der Präsident an seine Töchter dachte. Er lehnte es ab, in der hitzigen politischen Rhetorik eine Mitursache der Tragödie zu sehen. Niemand könne mit Sicherheit sagen, was den Attentäter zur Tat getrieben habe. „Statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen und Schuld zuzuweisen“, solle die Nation sich darauf besinnen, dass „mehr Dinge uns miteinander verbinden als uns trennen“. Das war ein scharfer Kontrast zur Republikanerin Sarah Palin. Auch sie äußerte sich am Mittwoch nach tagelanger Zurückhaltung zur Kritik, ihre scharfen Angriffe auf Demokraten könnten labile Menschen zur Gewalt treiben. Dieser Vorwurf gleiche einer „Ritualmord-Anklage“. Ihre Wortwahl aus dem Kontext des Antisemitismus löste neue Empörung aus. Ob Palin nicht bedacht habe, dass Giffords Jüdin ist, fragten die Medien.

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