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Politik: Gedrängtes Programm für die Kanzlerin

Bringt Merkel Bewegung in Verfassungsdebatte?

Angela Merkel übt sich in den Tagen vor dem europäischen Stabwechsel in Bescheidenheit – aus gutem Grund: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist nämlich, bevor sie am 1. Januar überhaupt beginnt, von überzogenen Erwartungen und Hoffnungen belastet, die auch eine klug taktierende und zupackende Bundeskanzlerin bei bestem Willen nicht erfüllen kann. Die Frau an der Spitze des größten und wirtschaftlich wieder boomenden EU-Landes soll, so erwarten viele Europäer, die EU wieder flottmachen, die seit mehr als einem Jahr gelähmt in der Verfassungskrise steckt. Unter „lahmen Enten“, die am Ende ihrer Amtszeiten stehen – von Jacques Chirac bis Tony Blair – ist sie geradezu eine Hoffnungsträgerin, die als einzige handlungsfähig ist.

Angela Merkel ist vom Vorschusslorbeer, der ihr in Kommentaren und Reden entgegengebracht wird, offenbar keineswegs geschmeichelt. „Ich bin alle Höhen und Tiefen der medialen Darstellung gewöhnt“, sagte sie kürzlich. Die Rolle als „Lichtgestalt“ der europäischen Politik bereite ihr eher Unbehagen. Seit Wochen versucht sie deshalb, die Ziele der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel und Berlin möglichst zurückhaltend zu beschreiben. Da ist dann von europäischer Energiepolitik die Rede, vom Abbau der Bürokratie, vom Nahost-Quartett, dem Balkan und den Beziehungen zu Russland. Doch auch in Berlin weiß man sehr wohl, dass sich die deutsche Präsidentschaft am Ende ihrer sechsmonatigen Amtszeit daran messen lassen muss, ob sie die blockierte EU-Verfassung doch noch auf den Weg bringt.

Der erste politische Paukenschlag, der Europa aus der Lethargie zwischen Erweiterungsmüdigkeit, Verfassungsskepsis und Resignation wecken soll, ist für den 25. März geplant. Merkel will dann beim Sondergipfel zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge in Berlin in einer „Berliner Erklärung“ an das „europäische Gemeinschaftsgefühl“ appellieren, ein Bekenntnis zur Einigung des Kontinents ablegen und eine Art Meilenstein auf dem Weg zur EU-Verfassung setzen. Der Wortlaut der Erklärung – laut Merkel soll er „kurz, einprägsam und sprachlich schön sein“ – wird erst kurz vor dem Sondergipfel veröffentlicht. Nur so könne man verhindern, dass schon vorab alles zerredet werde, meint die Kanzlerin.

Für Fortschritte auf dem Weg zur EU-Verfassung wird sich voraussichtlich jedoch erst Ende Juni ein Fenster auftun. Erst nach den Wahlen in Frankreich ist nämlich daran zu denken, einen neuen Fahrplan für den Verfassungsvertrag – oder wie immer er dann heißen mag – zu entwerfen. Für die Beratung vor dem entscheidenden Europäischen Rat Ende Juni bleiben nur wenige Tage Zeit. Wenn dabei erkennbar wird, dass „die Substanz“ des unterzeichneten, von 18 EU-Staaten ratifizierten und dennoch bisher auf Eis gelegten Verfassungstextes gerettet werden kann, wäre die deutsche EU-Ratspräsidentschaft tatsächlich erfolgreich.

Der neue Text des Verfassungsvertrags wird jedoch, so rechnet man in Brüssel, nicht in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, sondern gut ein Jahr später unter französischem Ratsvorsitz beschlossen werden. Denn tatsächlich sind die politischen Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten der von Halbjahr zu Halbjahr wechselnden EU-Ratspräsidentschaften begrenzt. Die Vorsitzenden leiten die Ministerräte, stellen zusammen mit dem Brüsseler Generalsekretariat des Rats die Tagesordnungen der Sitzungen zusammen, greifen Themen auf – oder lassen sie liegen – und üben sich als „ehrliche Makler“ bei Interessenkonflikten oder der Kompromisssuche.

Die Bundesregierung greift eine Idee auf, die im EU-Verfassungsvertrag vorgesehen ist: Das Arbeitsprogramm wird nicht nur für die sechs Monate der deutschen EU-Präsidentschaft festgelegt, sondern auch mit den folgenden zwei Präsidentschaften abgesprochen. Deutschland, Portugal, das am 1. Juli den Stab übernimmt, und Slowenien, das zum 1. Januar 2008 nachfolgt, bilden eine „Trio-Präsidentschaft“, die für 18 Monate politische Kontinuität verspricht. Doch auch schon die Finnen, die bis Ende des Jahres noch in der EU den Vorsitz führen, haben erfolgreich ihren deutschen Nachfolgern in die Hände gearbeitet.

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