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Politik: Geduldsprobe

Wenn der Bonner Gehirnforscher Oliver Brüstle im vergangenen Jahr eins gelernt hat, dann ist es Geduld. Im August 2000 hat Brüstle gemeinsam mit seinem Kollegen Otmar Wiestler einen Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt.

Wenn der Bonner Gehirnforscher Oliver Brüstle im vergangenen Jahr eins gelernt hat, dann ist es Geduld. Im August 2000 hat Brüstle gemeinsam mit seinem Kollegen Otmar Wiestler einen Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt. Sie wollen embryonale Stammzellen aus Israel importieren, um daraus Nervenzellen für das Hirn- und Rückenmark zu gewinnen. Der geplante Import ist gesetzlich zwar nicht verboten, aber ethisch umstritten. Zwar gelten embryonale Stammzellen als Wunderheilmittel, da man aus ihnen nahezu jede Art an menschlichem Gewebe züchten kann, das Kranken als Ersatzgewebe helfen könnte. Um diese Zellen zu gewinnen aber muss menschliches Leben vernichtet werden. Deshalb ist die Importfrage eine politische Frage.

Die Politik aber konnte sich bisher nicht entscheiden. So musste die DFG Brüstles Antrag zweimal verschieben, weil sie zugesagt hatte, ein Votum des Bundestages zu berücksichtigen. Dieser wiederum wollte sich in der heiklen Frage zunächst beraten lassen: von der eigenen Enquete-Kommission und vom Nationalen Ethikrat, den der Kanzler berufen hat. Die DFG wollte dann am 7. Dezember endgültig entscheiden. Denkste. Der Termin wackelt erneut. Die Enquete-Kommission wird frühestens am Montag ihren Bericht zur Importfrage vorlegen. Der Nationale Ethikrat erst Anfang Dezember. Einen eindeutigen Handlungsvorschlag werden beide Gremien nicht liefern, allenfalls ein Meinungsbild. Zu wenig Zeit für die Abgeordneten, sich ausreichend in die Materie einzuarbeiten, sagt nun eine breite Koalition der Befürworter eines erneuten Aufschubs. Es wäre der dritte.

Bei der DFG in Bonn liegt inzwischen eine entsprechende Bitte in Briefform vor - verfasst von SPD-Fraktionschef Peter Struck, in Absprache mit den anderen Parteien. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse rief selbst in Bonn an und bat um Verschiebung. "Hochgradig unbefriedigend", nennt Forscher Brüstle die Situation, der auf seine Kollegen im Ausland verweist, wo längst auf seinem Gebiet geforscht wird. "Irgendwann", sagt er, "brauchen wir gar keine Entscheidung mehr. Dann sind die Dinge gelaufen. Woanders." Auch einigen in der DFG platzt allmählich der Kragen. Es sei keineswegs sicher, dass der Hauptausschuss am 7. Februar der Bitte nach einer erneuten Aufschiebung folge, heißt es aus DFG-Kreisen. Wenn er aber entscheidet, gilt als sicher, dass der Hauptausschuss Brüstles Importvorhaben fördern will.

Grund für die zögerliche Arbeit der Politik im Umgang mit der Stammzellenforschung ist keinesfalls nur der 11. September und seine Folgen, den viele Politiker nun als Rechtfertigung angeben. Die tiefmoralische Entscheidung über die Stammzellenforschung ist nach wie vor Sprengstoff für alle Parteien. Vor allem bei der Union und der SPD sind die einzelnen Positionen innerhalb der Fraktionen weit auseinander, ein Konsens so unwahrscheinlich wie vor sechs Monaten. Für Brüstle hingegen gibt es einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Sollte sich sein Gefühl bestärken, dass die embryonale Stammzellenforschung in Deutschland keine Zukunft hat, will er gehen. Ihm liegen interessante Angebote aus anderen europäischen Ländern vor.

Markus Feldenkirchen

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