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Politik: Gefährliche Mischung aus Kraft und Chaos

BONN .Militärs sprechen vom potentiellen Gegner mit Respekt, Militärpolitikern gilt er als skrupellos und sprunghaft: Die Mischung aus Kraft und Chaos macht Rest-Jugoslawien zur schwer kalkulierbaren Größe.

Von Robert Birnbaum

BONN .Militärs sprechen vom potentiellen Gegner mit Respekt, Militärpolitikern gilt er als skrupellos und sprunghaft: Die Mischung aus Kraft und Chaos macht Rest-Jugoslawien zur schwer kalkulierbaren Größe.Man dürfe nicht davon ausgehen, was Slobodan Milosevic sinnvollerweise tun sollte, sagt Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), sondern müsse sehen, was er tun könne.Am Dienstag abend hat die Hardthöhe ihre Analyse vorgestellt.

Militärisch ist die jugoslawische Armee demnach auf die Konfrontation vorbereitet.Ein "sehr hohes Niveau an Kampfkraft und Verlegefähigkeit" bescheinigen die deutschen Planer der anderen Seite.Die Luftwaffe besteht zwar größtenteils aus Jagdbombern heimischer Produktion und älteren sowjetischen Kampfflugzeugen, verfügt aber auch über 24 MIG-29, die den modernsten NATO-Maschinen ebenbürtig sind.

Panzerverbände haben ihre Kasernen weitgehend verlassen.Auch die mobilen Luftabwehrsysteme, darunter moderne SA-6-Raketen, sind größtenteil im Land unterwegs, um der NATO kein leichtes Ziel zu bieten.Militärs sehen zudem die Gefahr, daß die Armee Zivilisten gewissermaßen als Geiseln nimmt und ihr Gerät auf Schulhöfen und nahe Krankenhäusern postiert.

Rund um das Kosovo stehen Panzer- und Infanterieverbände, die rasch in die Region einrücken könnten.Im Kosovo selbst sind mindestens 15 500 Soldaten, davon etwa 3000 in Kleingruppen außerhalb der Kasernen.Hinzu kommen 2500 Grenzschützer und mindestens 12 500 Polizisten und Spezialpolizisten, Tendenz steigend.Einige Verbände sind so aufgestellt, als gelte es einen Angriff aus Mazedonien abzuwenden, wo die NATO mehr als 10 000 Mann für einen eventuellen Friedenseinsatz bereithält.

Die serbischen Einheiten im Kosovo sind, so die Hardthöhe, zu Terror gegen Zivilisten, aber nicht zum großen Schlag gegen die albanische Untergrundarmee UCK imstande.Sie könnten zwar die von der UCK beherrschten Gebiete nacheinander überrennen, doch würde das Wochen dauern; um eroberte Räume zu halten, reiche die Kraft nicht.Zumal die UCK ihre Führungsfähigkeit verbessert habe und das zu Guerilla-Aktionen nutzen dürfte.Auf eine großflächige Offensive werde die UCK es nicht anlegen.Politisch befürchten die Planer angesichts des Terrors gegen Zivilisten, daß die Unterstützung der Albaner für das Rambouillet-Abkommen bröckelt, wenn die NATO nicht handelt.

Für die rund 3000 Bundeswehr-Soldaten in Mazedonien, die nur wenige Kilometer hinter der Grenze zum Kosovo stationiert sind, sehen die Militärplaner ein theoretisches Risiko durch Artillerie, Anschläge und vereinzelte Flugzeuge.In Tetovo und anderen Standorten sind inzwischen Vorkehrungen gegen solche Überraschungen getroffen worden, darunter die Ausrüstung mit tragbaren "Stinger"-Luftabwehrraketen.An eine Rückverlegung in den Süden Mazedoniens denkt Scharping nicht, weil auch die NATO-Partner das nicht erwägen.Ein wachsames Auge halten die Militärs auf Nachbargebiete wie Bosnien und die Republik Srpska.Noch ist es dort ruhig.Auch auf Terroranschläge in Westeuropa - einzige theoretische Möglichkeit, den Konflikt auf NATO-Gebiet zu tragen - gibt es keine Hinweise.

Größter Unsicherheitsfaktor ist die politische Führung in Belgrad.Scharping spricht von einem diktatorischen Regime, das irrational handele und über Leichen gehe.Alle, die Milosevic getroffen hätten, berichteten von Bunkermentalität.Daß Milosevic mehrere Spitzenmilitärs durch Parteigänger ersetzt hat, bestärkt die Furcht, daß der Präsident die Realität nur eingeschränkt zur Kenntnis nimmt.Das gilt wohl auch für Anzeichen von Kriegsmüdigkeit und interne Konflikte, die der Westen in Serbien ausmacht: Junge Wehrfähige tauchen bei Verwandten unter, es gab kleinere Demonstrationen gegen Einberufungen, Mazedonien grenzt sich vom Kriegskurs ab.Scharping warnt aber davor, auf Instabilität zu setzen.Er rechnet eher mit einem längeren Konflikt.Auch in Bosnien habe Milosevic erst eingelenkt, als die serbischen Schlüsselstellungen auf dem Berg Igman zerstört waren, deren Geschütze Sarajevo terrorisiert hatten.

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