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Politik: Gefeiert wird zum Schluss

Für die Grünen ist das Ende des Atomkraftwerks Stade nur der Anfang– die Betreiber hoffen auf Regierungswechsel

Die Bundesregierung hat am Freitag in mehreren Tageszeitungen großformatige bunte Anzeigen veröffentlichen lassen: „Was macht Jürgen Trittin heute? Abschalten", heißt es dort. Im Vordergrund ist ein Liegestuhl zu sehen, im Hintergrund das Atomkraftwerk Stade. Die Grünen feiern das Aus für Stade als ihren großen Erfolg innerhalb der Berliner Koalition, die Hamburger Grünen malten gestern Mittag in der Innenstadt der Hansestadt ein graues Kraftwerks-Modell grün an, verteilten Schoko- Atommeiler an die Passanten und jubelten: „Der Atomausstieg beginnt.“

Dabei könnte er schon bald wieder beendet sein. Wenn Rot-Grün in zwei Jahren von einer CDU-geführten Bundesregierung abgelöst werden sollte, wäre das Ende des Ausstiegs besiegelt. Daran haben CDU-Chefin Angela Merkel und ihr Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, keinen Zweifel gelassen. Dann wären Stade und das Atomkraftwerk Obrigheim, das 2005 abgeschaltet werden soll, nicht mehr als zwei Uralt-Reaktoren, von denen sich die Atomwirtschaft ohnehin verabschieden wollte.

Während der Bundesumweltminister das Ende von Stade mit einem Empfang mit Sekt beim Italiener beging und Schauspieler Manfred Krug dazu Gesangseinlagen beisteuerte, ist Atomkraftgegnern und Umweltschutzorganisationen kaum nach Feiern zumute. Greenpeace-Atomexpertin Susanne Ochse will „erst dann eine Party machen, wenn der letzte Reaktor vom Netz geht“. Zugleich warnte sie vor dem „gefährlichen Erbe" des Meilers in Stade. Dass Hauptbetreiber Eon nun die Möglichkeit hat, verbliebene Stader Reststrommengen auf die Nachbarkraftwerke Brokdorf oder Brunsbüttel zu verteilen, verleiht dem Aus für Stade aus Sicht der Atomgegner einen mehr als bitteren Beigeschmack. Das Risiko werde lediglich an andere Orte verlagert und zeitlich gestreckt, moniert die Anti-Atom-Initiative „X-tausendmal quer".

Für diejenigen, die in der Vorwoche im Wendland gerade noch gegen den neuen Atommülltransport nach Gorleben protestiert hatten, ist die gestrige Prozedur ohnehin nur ein „billiger Trick von Trittin, auf den wir nicht hereinfallen", wie Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, schimpft. Trittin dürfte auch damit, dass er gestern an „die Verdienste der Anti-Atomkraft-Bewegung der 70er und 80er Jahre“ erinnerte, keinen Boden bei Ehmke und seinen Mitstreitern gutgemacht haben.

Aber auch die Atomwirtschaft nennt es „geschmacklos", dass Umweltminister Jürgen Trittin das Abschalten von Stade feiert. Für Walter Hohlefelder, den Aufsichtsratschef der Eon-Kernkraft, ist Stade ohnehin längst Vergangenheit und abgehakt. Er schaut nach vorn, und das heißt vor allem das Jahr 2006. CDU-Chefin Merkel hatte im August angekündigt, eine von ihr geführte Partei werde den Atomkonsens aufkündigen. Und für Christian Wulff könne Deutschland „auf absehbare Zeit auf die Atomenergie nicht verzichten".

Aus der Perspektive des niedersächsischen Ministerpräsidenten, Landeschef sowohl von Stade als auch von Gorleben, ist der Atomkonsens ohnehin nichts anderes als ein „Diktat der Bundesregierung". Er plädiert stattdessen offensiv dafür, den Konzernen die Möglichkeiten zu eröffnen, auch in Deutschland neue, weiterentwickelte Kernkraftwerke zu bauen".

Im Klartext bedeutet das: Angela Merkel und Christian Wulff haben der Atomwirtschaft im Fall einer Regierungsübernahme auch den Neubau von Kraftwerken in Aussicht gestellt – und auch das Aufschnüren des mühsam zusammengestellten Pakets über Restlaufzeiten für jedes deutsche Atomkraftwerk. „Wir können wirklich nicht sagen, dass die Option zur Nutzung von Kernenergie tot ist", sagt denn auch Klaus Rauscher, der Vorstandschef des Energiekonzerns Vattenfall Europe zufrieden. Und für Eon-Manager Hohlefelder wäre Stade dann „nur eine Episode".

Peter Stoeckenius[Hamburg]

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