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Politik: Gefühl und Härte

DER 1. MAI IN BERLIN

Von Gerd Nowakowski

Alles wie gehabt – und doch ganz anders. Steine und Flaschen, Feuerschein und Wasserwerfer. Tatsächlich aber ist der Kreislauf der ritualisierten Gewalt am 1. Mai zum ersten Mal durchbrochen. Es gab Scharmützel, aber keine Straßenschlacht; die Gewalttäter konnten isoliert werden. Das Bild bestimmten nicht ein paar hundert Randalierer, sondern die zehntausend Menschen, die friedlich auf der Straße feiern – und eingreifen, wenn es Not tut. Etwas Neues aus Berlin, der Hauptstadt der Gleichgültigkeit: Der Bürgersinn wird wiederentdeckt. Kreuzberg ohne Krawall am 1.Mai ist plötzlich nicht mehr unvorstellbar.

Vieles hat zur Veränderung beigetragen. Die Bewohner sind es überdrüssig, sich alljährlich das eigene Viertel zerstören zu lassen mit der Schutzbehauptung, es gehe um ein politisches Anliegen. Es wird kein Recht auf Krawall mehr geduldet. Die Kreuzberger erobern sich mit dem „Myfest“ ihren Stadtteil zurück. Wo Bürger-Party ist, hat Gewalt wenig Platz. Jeder, der zum Stein greift, muss anders als früher Konsequenzen fürchten: Wer randaliert, bezahlt dafür. Die Video-Aufnahmen der Polizei vom vergangenen Jahr überführten viele Straftäter, die Berliner Justiz verhängte härtere Freiheitsstrafen. Grenzen setzen, strafen und isolieren, das alles zusammen hat Wirkung gezeigt.

Nicht, dass die Lust auf Randale verschwunden wäre. Erlebnishungrige Jugendliche, unter ihnen viele türkische und arabische Kids, warteten wie in den Vorjahren nur darauf, dass die gut organisierten Autonomen losschlugen, um selber mitzumachen. Nur ist die Hemmschwelle bei denen höher geworden, die bislang glaubten, die deutsche Justiz sei zahnlos. Einige hielt ab, dass Vertreter der türkischen Vereine auf der Straße unterwegs waren und im Zweifel mehr Autorität gegenüber ihren Jugendlichen haben als die Polizei. Vor allem aber ist die Taktik der Polizei aufgegangen, die jeden Funken austrat, bevor er richtig brennen konnte.

Gefühl und Härte – beim sozialdemokratischen Innensenator Ehrhart Körting hat das alte Motto der Autonomen eine ganz neue Bedeutung erhalten. Deeskalation, das hat die Polizei in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren müssen, funktioniert nicht ohne die Bereitschaft, notfalls hart einzugreifen. Für die friedlichen Demonstranten gilt deshalb Körtings Konzept der ausgestreckten Hand. Die ganze Macht der Polizei aber droht jenen, die sich nicht daran halten.

Das klug zu dosieren, ist dem Polizeipräsidenten offenbar gelungen: Auf dem Kreuzberger Straßenfest bewährten sich die Beamten der Anti-Konflikt-Teams beim Aggressionsabbau, während Tausende von gut gerüsteten Beamten unsichtbar im Hintergrund blieben. Nicht provozieren, aber präsent sein, wenn es knallt – die Strategie hat funktioniert. In der Walpurgisnacht im Prenzlauer Berg half das Verbot von Flaschen, in Kreuzberg war das Halteverbot für Autos hilfreich: Wo nichts ist, kann nichts geworfen oder angezündet werden. Es scheint, als habe die Politik endlich das richtige Rezept gefunden, um die lähmenden Zwangshandlungen zu durchbrechen.

Warum das so lange gedauert hat? Der Rechtsstaat tut sich schwer, das rechte Mittel zu finden, ohne Übermaß, ohne falsche Liberalität – erst recht in einer schwierigen Stadt wie Berlin. Gescheitert sind in der Vergangenheit die christdemokratischen Berliner Innensenatoren wie Kewenig oder Schönbohm, weil sie allein auf Härte setzten und damit selbst bei den unbeteiligten Kreuzbergern Proteste und eine Solidarisierung erreichten, die lediglich den Krawallmachern nutzten. Gescheitert aber sind auch die sozialdemokratischen Innenpolitiker, deren Deeskalationsangebote als Freibriefe für umso ungehemmtere Gewalt verstanden wurden.

Der Bulle ist nicht mehr das Schwein, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele über die veränderte Stimmung in Kreuzberg, dem Armenhaus der notleidenden Hauptstadt. So einfach ist das. So schwer. Ein Bezirk befreit sich langsam von seiner Vergangenheit. Haut ab, das ist unser Kreuzberg, schrien die Randalierer in Richtung der Polizeieinheiten. Da irren sie sich.

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