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Politik: Gegen den Antisemitismus

In der FDP-Fraktion gibt es Überlegungen, das Thema in einer Enquete-Kommission zu behandeln

Von Frank Jansen

Berlin - Mehr als 1600 antisemitische Straftaten zählte die Polizei im vergangenen Jahr, und ein Rückgang ist nicht in Sicht. Auch 2007 werden jüdische Friedhöfe geschändet, verbreiten Neonazis und fanatisierte Muslime Hassparolen, Extremisten wie Horst Mahler leugnen den Holocaust. Vereinzelt werden Juden Opfer tätlicher Angriffe. Außerdem sind antisemitische Ressentiments auch in „besseren Kreisen“ keine Ausnahme. In der FDP-Fraktion wird nun erwogen, den Bundestag zu einer aufwändigen Auseinandersetzung mit dem dunklen Thema zu bewegen. Abgeordnete der Liberalen machen sich stark für eine Enquête-Kommission „Antisemitismus in Deutschland“. Mit einem solchen Gremium, in dem Vertreter aller Fraktionen und Wissenschaftlern sitzen, sei eine „höhere Sensibilisierung in Staat und Gesellschaft zu erreichen“, sagt Markus Löning, europapolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Chef der Partei in Berlin. Die Chancen stehen offenbar nicht schlecht: In der SPD wird Zustimmung signalisiert.

Enquête-Kommissionen haben sich in der Geschichte des Bundestages großen, zeitgeschichtlichen Themen gewidmet. Da ging es beispielsweise um die Ethik in der modernen Medizin, derzeit befasst sich ein Gremium mit „Kultur in Deutschland“. Um eine Enquête-Kommission durchzusetzen, müssten die Freidemokraten ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages zusammenbringen. Lönings Gruppe will sich nun an die anderen Fraktionen wenden und hofft, im Frühjahr könne die Kommission gebildet werden. Der Vorschlag der FDP-Parlamentarier ist auch die Antwort auf eine Bitte, die der prominente jüdische Historiker Arno Lustiger an alle Abgeordneten des Bundestages gerichtet hat. Lustiger, der mehrere KZ überlebte, fordert einen jährlichen „Bericht der Bundesregierung zur Antisemitismusbekämpfung“. Der Bericht sollte „über die Verbreitung antisemitischer Strömungen in allen Gesellschaftsteilen und -institutionen einschließlich der Medien Auskunft geben sowie darlegen, welche Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden“, schrieb der Holocaust-Überlebende im September den Mitgliedern des Parlaments.

In einem Brief an Lustiger betont Löning, die öffentlichen Anhörungen einer Kommission böten die Chance „zu einer vielfältigen Beteiligung betroffener Bevölkerungskreise und damit zu einer komplexeren Erfassung des Antisemitismus in Deutschland“. Bei einem Regierungsbericht bestünde die Gefahr, es würden nur „Daten der Kriminalitätsstatistik reproduziert“. Lustigers Antwort steht aus.

In anderen Fraktionen sind die Kommentare positiv bis abwartend. Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus, sieht den „großen Vorzug, dass man wissenschaftlichen Sachverstand an sich zieht und sich nicht in kleinlichen Auseinandersetzungen verliert“. Es sei zudem denkbar, dass eine Kommission den von Lustiger geforderten Regierungsbericht empfiehlt. Skeptisch äußert sich Siegfried Kauder (CDU), der den BND-Untersuchungsausschuss leitet und mahnt, eine Enquête- Kommission „ist ein Riesenaufwand, das muss man sich genau überlegen“. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) favorisiert eine „unabhängige Beobachtungsstelle gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“. Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, hat „ein offenes Ohr“ für eine Enquête-Kommission, möchte jedoch erst alle Ideen zur besseren Bekämpfung des Antisemitismus sammeln.

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