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Ältere Dame mit Rollator.

© dpa

Kritik aus den eigenen Reihen: Gegenwind für Nahles' Rentenpläne

Die Kritik an der geplanten Rentenreform kommt nicht nur von außen, sondern auch aus den eigenen Reihen. Sie könnte „neue Ungerechtigkeiten“ schaffen, befürchtet die SPD-Linke. Und in der Union warnen sie vor einer neuen Verlockung zur Frühverrentung.

Die Rentenpläne der großen Koalition stoßen auch auf Widerstand in den eigenen Reihen. Die SPD-Linke kritisiert, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Langzeitarbeitslose bei der abschlagsfreien Rente mit 63 nun gar nicht zum Zuge kommen lassen will. Manchen Unionspolitikern wiederum geht schon die vorgesehene Berücksichtigung von Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I zu weit. Sie warnen vor der Verlockung für langjährige Beitragszahler, sich vor ihrem Ruhestand arbeitslos zu melden, um dann noch zwei Jahre früher mit vollen Bezügen in Rente gehen zu dürfen.

"Punkt für Punkt zu hinterfragen"

Er betrachte die Festlegungen im Gesetzentwurf „nicht als festgezurrt, sondern nur als Vorschlag“, sagte der Chef der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Klaus Barthel, dem Tagesspiegel. Man müsse das nun „Punkt für Punkt hinterfragen“ und zusehen, wie man es „gerecht gestaltet“. Gleichzeitig stellte Barthel klar, dass er bei seiner Forderung bleibe, bei der Rente mit 63 Zeiten von Arbeitslosigkeit unbegrenzt anzurechnen. Betroffene könnten schließlich nichts für ihre gebrochenen Erwerbsbiografien und hätten dem Arbeitsmarkt durchweg zur Verfügung gestanden. Alles andere, so ist sich Barthel sicher, würde „neue Ungerechtigkeiten schaffen“.

Sozialrechtsexperten erachten es zum Beispiel als überaus problematisch, dass Langzeitarbeitslose von der Regelung nicht profitieren sollen, für die zeitweise Rentenbeiträge entrichtet wurden. Für Hartz-IV-Empfänger war das zwischen 2005 und 2010 der Fall. „Verbeitragte Zeiten müssen berücksichtigt werden“, sagte die Politikwissenschaftlerin und frühere Berliner Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller dem Tagesspiegel. Allerdings mache dies „den Braten auch nicht fett“. Durch die Rente mit 63 würden „in Verbeugung vor den Gewerkschaften bestimmte Gruppen privilegiert, die sowieso schon bessere Renten und in der Regel auch noch Betriebsrenten haben“.

Positiv zu werten sei an dieser Regelung lediglich, dass dadurch der bisherigen „Tendenz aller Rentenreformen, die Erwerbsarbeit immer weiter zugunsten von Kapitalanlegern zu entwerten“ entgegnet werde, sagte Riedmüller. Ziel der SPD sei es gewesen, langjährige Beitragszahler zu belohnen. Doch durchhalten lassen werde sich diese Regelung aufgrund der hohen Kosten kaum, ist sich Riedmüller sicher. „Schon die nächste Regierung wird sie wieder kippen.“

Weniger Anspruchsberechtigte

Nebenher dürfte die Festlegung, bei der Rente mit 63 nur den Bezug von Arbeitslosengeld I zu berücksichtigen, die Zahl der Anspruchsberechtigten weiter senken. Schließlich wird diese Hilfe bis zum 50. Lebensjahr nur ein Jahr lang bezahlt, für Ältere sind es bis zu 24 Monate. In den Absprachen von Schwarz-Rot zum Koalitionsvertrag war noch vereinbart worden, bei der Rente mit 63 Arbeitslosenzeiten von bis zu fünf Jahren anzuerkennen. Nach Schätzungen des Arbeitsministeriums profitieren von der aktuellen Regelung anfänglich bis zu 200 000 Menschen. Nur ein Viertel davon sind Frauen – und es wären deutlich weniger, wenn nicht auch Kindererziehungszeiten mitberücksichtigt würden.

Der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, sieht durch die unterschiedliche Berücksichtigung von Arbeitslosenzeiten bei der Rente mit 63 „den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt“. Es sei „nicht einzusehen“, weshalb Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe und später von Arbeitslosengeld II nicht einbezogen würden, sagte er dem Tagesspiegel. Dadurch werde die Regelung, die ohnehin schon Menschen mit meist relativ auskömmlichen Renten privilegiere, „noch unausgewogener“. Sinnvoller wäre es aus der Sicht des Grünen-Politikers gewesen, dieses Geld „voll in die Erwerbsminderungsrente zu investieren“. Wenn die Erwerbsminderung eindeutig medizinisch bedingt sei, sollten den Betroffenen die bisherigen Rentenabschläge komplett erlassen bleiben, meinte er.

Regierung sieht keine Frühverrentungs-Gefahr

Der Wirtschaftsflügel der Union dagegen kritisiert, dass bei der Rente mit 63 überhaupt Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden. „Die Sorge, dass eine neue Frühverrentungswelle auf uns zurollt, bekommt durch den Gesetzentwurf neue Nahrung“, sagte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, Carsten Linnemann (CDU) der „Welt“. Das Arbeitsministerium wies dies zurück. Man sehe diese Gefahr momentan nicht, sagte ein Sprecher. Angesichts des Fachkräftemangels versuchten die Firmen eher, ihre Beschäftigten „an Bord zu halten“. Sollte es bei einem Konjunktureinbruch zu anderen Tendenzen kommen, werde allerdings „zu intervenieren sein“.

Auch die weitere Senkung des Sicherungsniveaus für künftige Rentner durch die Reformen von 44,4 auf 43,7 Prozent im Jahr 2030 ist aus Ministeriumssicht nicht weiter beunruhigend. Es gehe darum, dass diese Relation zu den Löhnen bis 2020 wie vorgenommen nicht unter 46 und bis 2030 nicht unter 43 Prozent sinke. Und diesbezüglich, so versicherte der Sprecher, bestehe keine Gefahr.

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