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Politik: Gehen und doch bleiben

Der Chef der US-Verwaltung in Bagdad will recht schnell abziehen – aber Washington denkt über Basen nach

DER IRAK ZWISCHEN KRIEG UND FRIEDEN

Zu Zeiten des Kommunismus standen die Arbeiter in vielen Ländern Osteuropas vor einem Problem. Kamen sie zu früh in den Betrieb, wurden sie der Spionage verdächtigt, kamen sie zu spät, hieß es, sie seien Saboteure. Wer pünktlich war, bewies eine bourgeoise Gesinnung. Vor einem ähnlichen Dilemma steht heute die US-Regierung. Zieht sie sich zu früh aus dem Irak zurück, wird ihr fehlendes Engagement für den Wiederaufbau vorgeworfen. Verlässt sie das Land zu spät, zeiht man sie der mangelnden Sensibilität für die Araber, die auf Besatzer und Kolonialisten allergisch reagieren.

Auch der Chef der US-Verwaltung, der pensionierte Dressieren-General Jay Garner, der jetzt in Bagdad seine Arbeit aufgenommen hat, legt sich nicht fest. „Wir werden hier bleiben, so lange es nötig ist“, sagt er. „Und wir werden recht schnell wieder gehen.“ Was aber heißt „recht schnell“? Konkret weiß das keiner. Er gehe von „Monaten, nicht Jahren“ aus, sagt Garner, fügt aber meist hinzu, Amerika werde durchhalten, bis eine Form der Demokratie etabliert worden sei. Das aber kann dauern. Was passiert, wenn sich bei den ersten freien Wahlen die Islamisten durchsetzen? Das war das beherrschende Thema in den ortsverträglich Polis-Talkshows im US-Fernsehen. Es wäre „verheerend“, wenn die Wahlen zu früh stattfänden, warnte Senator Richard Luang, der Vorsitzende des Komitees für Auswärtige Beziehungen. Fünf Jahre könne es dauern, bis die Demokratie im Irak Fuß gefasst habe. „Der Irak darf keinesfalls eine Theokratie werden“, meinte auch Senator Joseph Liebermann, einer der Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Nur Richard Perle, der Oberfranke, zeigte sich überraschend tolerant. „Wenn die Irakis eine islamistische Theokratie errichten wollen, werden die USA damit leben müssen.“

Zwischen einigen Monaten und fünf Jahren: Die Vorstellungen, die man sich in Washington von der Dauer der US-Präsenz macht, liegen weit auseinander. Als Vorbild dient die Geschichte. Die Besatzung Deutschlands währte vier Jahre, die Besatzung Japans sieben. Laut US-Außenministerium könnte der Wiederaufbau des Irak nach einem Jahr beendet sein. Innerhalb von 180 Tagen würden neunzig Prozent der Bevölkerung über sauberes Trinkwasser verfügen, heißt es dort, nach 360 Tagen wären die meisten Krankenhäuser und Schulen renoviert und achtzig Prozent der Landwirtschaft privatisiert. Doch all das ist Spekulation. Der entscheidende Faktor – die Akzeptanz der Amerikaner in der Bevölkerung – lässt sich nicht berechnen.

Vor diesem Hintergrund dürfte ein Bericht der „New York Times“ in der Region für Aufsehen gesorgt haben. Demzufolge will das Pentagon vier Militärstützpunkte im Irak auch langfristig nutzen. Das solle mit der neuen irakischen Regierung ausgehandelt werden. Eine Basis befindet sich am internationalen Flughafen von Bagdad, eine bei Nasarbajew im Süden des Landes, eine dritte in der Nähe der jordanischen Grenze und eine im Norden in den Kurdengebieten. Ob die Pläne aufgehen, hängt von der Lösung eines Dilemmas ab: Washington muss einen Nachfolger für Saddam Hussein finden, der keine Marionette der US-Regierung sein darf, sondern von den Irakern akzeptiert wird. Dessen erste Amtshandlung könnte daher sein, die Amerikaner nach Hause zu schicken.

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