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Politik: Geisel für drei Stunden

Die Bundeswehr bereitet ihre Soldaten auf einem Truppenübungsplatz in Unterfranken auf Entführungen vor

Berlin - Drei Monate nach der Entführung von zwei Deutschen im Irak ist das Schicksal der Verschleppten weiter ungewiss. Das letzte Lebenszeichen der Geiseln stammt von Anfang April. Die 61-jährige Hannelore Krause und ihr 20-jähriger Sohn Sinan waren am 6. Februar aus ihrem Haus in Bagdad entführt worden. Zwei Ultimaten der Geiselnehmer, die sich „Brigade der Pfeile der Rechtschaffenheit“ nennen, waren ergebnislos verstrichen. Die Entführer drohen mit der Ermordung der Geiseln, falls die Bundeswehr nicht aus Afghanistan abzieht. Die Bundesregierung lehnt dies ab.

Während man beim Auswärtigen Amt in Berlin weiterhin um die Freilassung der deutschen Irakgeiseln kämpft, bereiten sich die deutschen Streitkräfte auf einem Truppenübungsplatz in Unterfranken darauf vor, eines Tages in Geiselhaft zu geraten. Jeder Soldat, der in den Auslandseinsatz geschickt wird, muss vor seiner ersten Mission an der Übung am Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg teilnehmen, vom Obergefreiten bis zum General.

Was sich in der Realität, wie im Fall der Ende März im Persischen Golf gefangen genommenen britischen Marinesoldaten, über Tage oder Monate hinziehen kann, dauert bei der Hammelburger Übung nur zwei bis drei Stunden. In dieser Zeit schlüpfen die Soldaten bei einer simulierten Busentführung auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken, einer Außenstelle des Ausbildungszentrums, in die Rolle der Geisel: Sie sollen dabei am eigenen Leib erfahren, welcher physische und psychische Druck auf einem Gefangenen lastet, und lernen, damit umzugehen. Dabei werden in ständiger Anwesenheit eines Truppenpsychologen verschiedene Phasen einer Geiselnahme von der Verhaftung über Verhöre bis hin zur Freilassung durchgespielt. „Sie haben mir die Augen verbunden und mich an einen unbekannten Ort gebracht“, erinnert sich ein Übungsteilnehmer. „Ich habe jedes Zeitgefühl verloren“, sagt der Offizier. Irgendwann habe er plötzlich jemanden neben sich atmen gehört – für den Soldaten eine beängstigende Situation. „Ich konnte ja nicht sehen, wer es war“, sagt er. „Es hätte ein Freund oder ein Feind sein können.“

Nicht jeder hält dieser Belastung stand. Wer nicht mehr kann, hebt die Hand oder sagt das vor Beginn der Übung vereinbarte Kennwort. Auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken ist scheitern erlaubt, disziplinarische Konsequenzen für den Einzelnen gibt es nicht. Für die Soldaten sei das Geiseltraining eine Grenzerfahrung, sagt eine Bundeswehr-Truppenpsychologin. Auch sie musste vor ihrem ersten Auslandseinsatz in Hammelburg antreten. „Jeder reagiert anders, wenn er unter Druck gerät“, erklärt die Psychologin. Um der Belastung standzuhalten, sei es wichtig, auf mögliche körperliche und seelische Reaktionen vorbereitet zu sein: „Wer sie kennt, kann im Ernstfall besser Herr der Situation bleiben.“

Herr der Situation bleiben: Für die Geiseln heißt das, sich möglichst unauffällig zu verhalten und nicht mit den Entführern auf Konfrontationskurs zu gehen. Deeskalation heißt das Zauberwort – doch gerade diese Zurückhaltung ist offenbar besonders für junge, unerfahrene Soldaten eine Herausforderung. „Einige haben versucht, den Helden zu spielen“, erinnert sich ein Sanitätsoffizier an sein Geiseltraining. „Aber sie haben schnell gemerkt, dass sie damit auf dem Holzweg sind und keine Chance haben“, sagt der Soldat. „Die Geiselnehmer sitzen immer am längeren Hebel.“

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