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Politik: Geiseldrama auf Jolo: Der Preis der Freiheit - Die Freilassung von Vater Wallert auf Jolo bedeutet noch größere Gefahr für den Sohn (Kommentar)

Endlich. Endlich kommt die erlösende Nachricht: Werner Wallert ist wirklich frei.

Endlich. Endlich kommt die erlösende Nachricht: Werner Wallert ist wirklich frei. Wer mochte den Ankündigungen so recht trauen nach all den enttäuschten Hoffnungen der letzten Wochen? Für den Göttinger Lehrer und vier weibliche Geiseln ist die Haft in Dschungelcamps auf der philippinischen Insel Jolo nach vier unendlichen Monaten vorbei. Doch Werner Wallert kann sich nicht so recht freuen. Er weint - genau wie seine Frau Renate nach ihrer Freilassung vor sechs Wochen. Die Fassung zu verlieren, das ist nur natürlich, wenn nach all den körperlichen und seelischen Qualen die Anspannung plötzlich abfällt: Seit Ostern waren sie in der Hand der Geiselnehmer. Die Belastungen, die traumatischen Bilder schüttelt man nicht so rasch ab.

Doch im Fall der Wallerts ist es noch viel brutaler: weil erst sie, weil nun er alleine ging - und weil noch einer dableiben musste. Renate Wallert ließ den Ehemann und den Sohn in der Hand der Kidnapper zurück. Sie überließ die beiden einem ungewissen Schicksal. Diese dramatische Formulierung trifft jetzt erst recht zu, da Werner Wallert Jolo ohne Sohn Marc verlässt. Denn während sich auf den ersten Blick der Eindruck aufdrängt, die Freilassung auf Raten komme verlässlich in Gang, und es sei nur noch eine Frage von Tagen, bis alle Geiseln wohlbehalten in ihre Heimat zurückkehren; während die deutsche Öffentlichkeit ihrer Erleichterung zum zweiten Mal Luft macht, sehen die Eltern Wallert die neue Gefahr womöglich umso klarer: Ihre eigene Freilassung hat die Bedrohung für ihren Sohn noch erhöht.

Die Strategie der Freilassung auf Raten bot nach den vielen fehlgeschlagenen Versuchen, alle Geiseln auf einmal freizubekommen, die einzige Aussicht auf Erfolg. Aber mit jeder Freilassung steigt das Risiko für die Zurückgebliebenen. Längst geht es nicht mehr um die Erpressung von Lösegeld. Die letzten Geiseln werden zur Überlebensversicherung für die Abu-Sayyaf-Rebellen: Was schützt sie vor Angriffen der philippinischen Armee, wenn sie keine westlichen Ausländer mehr als lebende Schutzschilde haben? Und was hält die Militärs, die den Ring um die Lager immer enger ziehen, zurück, wenn es nicht mehr um das Leben von zwölf Geiseln geht, sondern nur um einige wenige?

Solange keine Ausländer im Spiel waren, hatten die Streitkräfte meist mit Gewalt auf Entführungen reagiert. Ihre Wut ist mit jeder Woche gewachsen, in der die Rebellen die Ohnmacht der Militärs vorführten. Und nun müssen sie auch noch zusehen, wie der Libyer Gaddafi sich zum Helden der Vermittlung stilisiert - ausgerechnet er, der die moslemischen Rebellen durch jahrelange Unterstützung gegen die christliche Dominanz auf den Philippinen groß gemacht hat.

In der Zwickmühle steckt jetzt auch die Bundesregierung, an der Spitze Außenminister Fischer. Mit der Vermittlung, mit der Zahlung mehrerer Millionen Dollar will Libyen einen großen Schritt zurück in die internationale Gemeinschaft tun. Gaddafi sähe es am liebsten, wenn der deutsche, der französische Außenminister und ihre Kollegen aus den betroffenen Ländern die jeweilige Geisel persönlich in Tripolis abholen - und dabei ihm, Gaddafi, ihre Aufwartung machen. Aber Libyen hat über Jahrzehnte den internationalen Terrorismus unterstützt, Gaddafi steht im Verdacht, hinter dem Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" zu stecken und hinter dem Absturz des PanAm-Jumbos über dem schottischen Lockerbie. Es stimmt, Gaddafi hat die im Lockerbie-Prozess Angeklagten ausgeliefert. Es mag auch sein, dass er den Terrorismus nicht mehr unterstützt. Aber aus Einsicht oder weil ihn UN-Sanktionen und internationale Isolierung dazu zwangen? Den Opfern des von Libyen unterstützten Terrors hat Gaddafi noch keinen Cent angeboten.

Deutschland darf für die Vermittlung dankbar sein. Und die Bundesregierung soll diesen Dank auch zeigen. Aber Fischer muss dafür nicht persönlich nach Tripolis reisen. Dafür ist es noch zu früh. Libyen hat erst den halben Weg in die Völkergemeinschaft zurückgelegt.

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