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Politik: Geiseldrama auf Jolo: Libyens Staatschef Gaddafi will international wieder anerkannt werden - kommen alle Geiseln frei, steigen die Chancen

Die erste Reaktion war nüchtern. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer zeigte sich erleichtert über die Freilassung Werner Wallerts.

Die erste Reaktion war nüchtern. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer zeigte sich erleichtert über die Freilassung Werner Wallerts. Fischer dankte den Vermittlern, er dankte auch der libyschen Seite. Er dankte aber nicht explizit dem libyschen Revolutionsführer Muammar el Gaddafi. Womöglich muss Fischer dies aber noch tun. Ebenso wie der französische Außenminister und der finnische. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Libyen hat mit seinen guten Beziehungen zu den Abu-Sayyaf-Rebellen die Freilassung möglich gemacht. Aber zu welchem Preis? Die 2,17 Millionen Mark pro freigelassener Geisel, die die Stiftung des Gaddafi-Sohnes angeblich gezahlt hat, ist nur der eine. Der andere ist die politische Aufwertung, die sich Gaddafi von der Vermittlung in dem Geiseldrama verspricht. Und da könnte ein diplomatisches Problem für Fischer und seine Kollegen liegen.

Vor einer Woche, als es schon sicher schien, dass alle Geiseln auf einmal freikommen, sah das Szenario wie folgt aus: In Tripolis hängen die Fahnen der betroffenen Länder, die Hauptstadt Libyens schmückt sich für die große Zeremonie. Außenminister Fischer ist in der Stadt und holt den Deutschen Werner Wallert ab. Zuvor aber wird er mit den anderen Außenministern von Gaddafi empfangen. Sie müssen ihm die Hand schütteln, dann dürfen sie erst abreisen. Die Botschaft dieser Bilder, so hat es sich Gaddafi ausgedacht, lautet: Libyen ist wieder Teil der internationalen Gemeinschaft. Darauf musste Gaddafi bisher warten. Die Abu Sayyaf ließ auch ihn warten.

Eine Woche später bereitet sich Tripolis abermals auf das Szenario vor - wenngleich nicht alle Entführten frei sind. Am heutigen Montag schon könnten die Geiseln in Tripolis ankommen. Staatschef Gaddafi weiß, die libysche Bevölkerung ist mächtig stolz auf ihn und auf seinen Unterhändler Azzarouq. Libyens Öffentlichkeit erwartet dementsprechend ein großes Medienspektakel. Die Medien schreiben Artikel darüber, dass es Libyen war, das in der Krise rasch handelte, während andere Staaten nur zusahen.

1992 war Libyen weltweit isoliert worden, die Vereinten Nationen verhängten Sanktionen gegen das Land wegen dessen angeblicher Verwicklung in den Anschlag auf ein Linienflugzeug über Lockerbie 1988, bei dem 270 Menschen starben. Im April 1999 willigte Tripolis ein, die möglichen Täter an ein in Holland tagendes schottisches Gericht auszuliefern. Der Lockerbie-Prozess läuft. Die UN hoben die Sanktionen wieder auf. Gaddafi aber hatte die Zwischenzeit genutzt, um politische Unterstützung zu organisieren, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Großzügig unterstützte er zahlreiche afrikanische Länder finanziell. Libysche Staatsfirmen spielen in den ärmeren Ländern West- und Zentralafrikas eine wichtige Rolle. Tripolis bastelt an seiner Großmachtstellung in Afrika, vor allem in Abgrenzung zu Südafrika. Wenn es einen Konflikt zu lösen gab, sei es der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea oder die Bürgerkriege in Sierra Leone, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo: Stets bot sich Gaddafi als Vermittler an. Eine Macht ist Libyen aber noch aus anderem Grund: Das Land gilt als Geheimtipp in der Ölindustrie.

Vielleicht hat es mit dieser exponierten Stellung für den Ölmarkt zu tun, dass für die Europäische Union die alten Berührungsängste schon seit geraumer Zeit nicht mehr so groß sind. Der Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle", hinter dem angeblich ebenfalls Libyen stand, liegt weit zurück. Europa ist inzwischen Hauptabnehmer libyschen Öls. Als Deutschland im letzten Jahr die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, war Libyen zum ersten Mal bei einer EU-Mittelmeer-Konferenz vertreten: Es schickte eine Beobachterdelegation nach Stuttgart.

Die Europäer haben also kein Problem mehr damit, Gaddafi die Hand zu schütteln. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht. Er traf Gaddafi während des EU-Afrika-Gipfels in Kairo. Die Italiener gehen vielleicht am weitesten, was den neuen Kontakt zu Tripolis anbelangt. Ministerpräsident Dini war schon in Libyen, Außenminister Dini besuchte das Land seit Verhängung der UN-Sanktionen viermal.

So spinnt Gaddafi geschickt sein neues diplomatisches Netz. Nun erinnerte er sich zudem an eine alte Bekanntschaft: die Abu Sayyaf. Sein Unterhändler Rajab Azzarouq war jahrelang Botschafter in Manila. Er soll bereits in anderen Entführungsfällen auf den Philippinen vermittel haben. Azzarouq reiste mit Gaddafis Sohn in den Dschungel, um die Rebellen der Moro Islamic Liberation Front (Milf) zur Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Manila zu bewegen.

Ob Libyen oder Iran - grundsätzlich hält Außenminister Fischer es für besser, reuigen "Schurkenstaaten" die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft durch Diplomatie zu erleichtern, als sie isoliert zu lassen. Anders als die USA. Ein Handschlag für Gaddafi - Fischer scheut ihn wohl nicht.

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