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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundestag in Berlin.

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Generaldebatte im Bundestag: Angela Merkel: "Wir müssen jetzt einfach anpacken"

Die Generaldebatte im Deutschen Bundestag steht im Zeichen der Flüchtlingspolitik. Sie hat für Kanzlerin Merkel "allerhöchste Priorität". Der Schlagabtausch im Überblick.

Das Thema Flüchtlinge bestimmt in diesem Jahr die Haushaltsberatungen im Bundestag. Sechs Milliarden Euro hat die Koalition dafür in Aussicht gestellt. Der Opposition ist das zu wenig. Was die Fraktionsvorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel am Rednerpult im Detail sagten, können Sie in unserem Live-Blog nachlesen.

Scharfe Ansage an Bundesländer: Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat Kritik aus den Reihen der Bundesländer am Flüchtlingspaket der Koalition zurückgewiesen. Nicht nur der Bund habe Steuermehreinnahmen, sondern auch Länder und Kommunen. Und nicht nur der Bund müsse sich auf die Versorgung der Flüchtlinge konzentrieren, sondern auch die Länder und Kommunen.

Keine Kompromisse möglich: Bei Wirtschaftsflüchtlingen dürften keine Kompromisse gemacht werden, sagt Volker Kauder. "Sie können eben nicht in diesem Land bleiben."

Selten so einig wie im Moment: Wie die Finanzkrise sei die Aufnahme der Flüchtlinge eine Aufgabe, die sich die Regierung "nicht ausgesucht" habe, aber man nehme sich der Herausforderung an. Zur Arbeit der Koalition sagte Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Selten waren wir uns so einig wie am vergangenen Wochenende was gemacht werden muss."

Asyl nur zweitbeste Lösung: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann spricht sich für gleiche Asylregeln in ganz Europa aus. Asyl zu gewähren sei aber nur die zweitbeste Lösung. Noch wichtiger sei es, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Deswegen fordert er einen stärkeren Akzent der Fluchtursachen in der Entwicklungspolitik.

Für ein Einwanderungsgesetz: SPD-Fraktionschef Oppermann wirbt für ein in der großen Koalition umstrittenes Einwanderungsgesetz. Damit könnte die Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitnehmern gesteuert werden, sagt er im Bundestag. Außerdem sei es ein Gebot der Fairness, Menschen, die sich ein besseres Leben in Deutschland erhofften, aber keine Chance auf Asyl hätten, das vorher zu sagen.

Verschiebe-Bahnhof muss aufhören: „Wir werden auch in Zukunft mehr Flüchtlinge aufnehmen als andere“, sagt Oppermann. Aber: „Wir brauchen ein einheitliches Asylrecht in Europa. Dieser Verschiebe-Bahnhof muss aufhören." Er lobt den schwedischen Premier Stefan Löfven für seine Worte, es handele sich um keine Flüchtlings- sondern eine Verantwortungskrise. „Ohne gemeinsame Flüchtlingspolitik stehen die offenen Grenzen in Frage“, sagt Oppermann.

Nicht davonkommen lassen: Den britischen Premier David Cameron dürfe man so nicht davonkommen lassen. Großbritannien hatte angekündigt 20.000 Flüchtlinge aufzunehmen – „so viele wie allein am Wochenende in München angekommen sind“, sagt Oppermann. "Ganz Europa muss sich der Flüchtlingskrise stellen"

Sechs Milliarden, aber auf welcher Basis? Die Grünen-Fraktionsvorsitzende lobt zwar die sechs Milliarden mehr für den Bundeshaushalt 2016, kritisiert aber eine nachvollziehbare Basis für diese Summe. Sie fragt: „Mit welcher Zahl ist da eigentlich gerechnet worden?“ – noch mit den 150.000 erwarteten Flüchtlingen, 450.000 oder den erwarteten 800.000. „Wir brauchen Verlässlichkeit – und das kann man ja wohl von der Bundesregierung erwarten“, sagt sie. Man brauche mehr als „Verwaltungspolitik“.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, spricht am Rednerpult.
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, spricht am Rednerpult.

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Das Problem wurde verschlafen: Die Flüchtlingspolitik sei in der Krise, sagt die Grünen-Vorsitzende Karin Göring-Eckardt. Man habe das Problem schon viel früher erkennen und darauf reagieren müssen. Das europäische und deutsche Asylsystem würde schon länger nicht mehr funktionieren. Wie ein Dominospiel sei es zusammengebrochen. "30 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland) haben einen Migrationshintergrund, dabei habe ich die 'Ossis' noch nicht mitgerechnet."

Was sie sich fragt: Warum war Horst Seehofer die letzten Tage nicht am Hauptbahnhof in München?

Was würde Til Schweiger tun? Göring-Eckardt stichelt gegen den Vize-Kanzler: "Herr Gabriel, da müssen Sie sich fragen: WWTST – Was würde Till Schweiger tun".

Angela Merkel wieder im Verwaltungsmodus: Karin Göring-Eckardt kritisiert, dass Merkel erst so spät ein Flüchtlingsheim besucht habe. "Sie haben sehr spät, aber dann die richtigen Worte gefunden", sagt sie. Worte gefunden. Heute habe ich aber wieder das Gefühl, Sie sind im Verwaltungsmodus." Jetzt müssten Taten folgen. Schnelligkeit sei nötig, statt verwalten und merkeln. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende fordert einen nationalen Flüchtlingspakt zur Integration der vielen hunderttausend Schutzbedürftigen gefordert. An dieser gemeinsamen Anstrengung müssten Länder, Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitgeber, Kirchen und Wohlfahrtsverbände teilnehmen.

Was Europa einmal ausmachte: Angela Merkel hat die Partnerstaaten in der Europäischen Union davor gewarnt, mit einem Versagen in der Flüchtlingsfrage die Fundamente der Gemeinschaft zu beschädigen. „Wenn Europa in der Flüchtlingsfrage versagt, dann ginge ein entscheidender Gründungsimpuls eines geeinten Europas verloren. Nämlich die enge Verbindung mit den universellen Menschenrechten, die Europa von Anfang an bestimmt hat und die auch weiter gelten muss.“ Innerhalb Europas sei Solidarität bei der Versorgung der Flüchtlinge gefordert. „Insgesamt brauchen wir eine verbindliche Einigung über eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen nach fairen Kriterien zwischen allen Mitgliedsstaaten.“ Nur dann würden sich alle EU-Mitglieder um die Behebung von Fluchtursachen und internationalen Konflikten kümmern.

Merkel sicherte zu, Deutschland werde auch künftig bei der Lösung von Problemen mit vorangehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) unterhalten sich am 09.09.2015 im Bundestag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) unterhalten sich am 09.09.2015 im Bundestag in Berlin.

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Wirtschaftsflüchtlinge können nicht bleiben: Gegenüber Armutsflüchtlingen bleibt Merkel hart: „Die, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, werden nicht blieben können.“ Die Rückführung solcher Flüchtlinge solle aber schneller durchgeführt werden als bislang. "So schwer ihr persönliches Leben auch sein mag, so gehört dies dennoch zur Wahrheit." Wer Asyl in Deutschland erhalte, solle dagegen schnell integriert werden. Die Flüchtlingskrise sei eine Herausforderung für Europa. „Wenn Europa hier versagt, geht ein Kernelement der Europäischen Union verloren: Die Achtung der Menschenrechte. Dafür werden wir kämpfen."

Gegen Rechtsradikale vorgehen: Die Konflikte erreichten Deutschland in ihren Folgen. Die Flüchtlingsproblematik sei eine nationale Aufgabe. Regelungen müssten überdacht und zeitweise außer Kraft gesetzt werden, , Abläufe verbessert und Entscheidungen schneller getroffen werden. "Wenn wir es gut machen, bringt es mehr Chancen als Risiken." Dass Heime angegriffen und Menschen angepöbelt werden, nennt Angela Merkel "abstoßend und beschämend". "Dagegen werden wir mit der ganzen Härte des Rechtsstaats vorgehen. Auch im Internet."

Anpacken statt Schuld zuschieben: „Wir brauchen uns nicht gegenseitig die Schuld zuzuschieben, wer dies und jenes noch nicht gemacht hat“, sagte Merkel weiter. „Sondern wir müssen jetzt einfach anpacken und alle konkreten Hindernisse aus dem Weg räumen.“ Dann sei ein friedliches Zusammenleben mit den Menschen möglich, die nach Deutschland kämen. „Wir können letztlich nur gewinnen“, sagt Merkel.

Generaldebatte im Bundestag
Generaldebatte im Bundestag

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Für viele sei 2015 furchtbares Jahr: Auch international gebe es Lichtblicke. Zum Beispiel die Atomeinigung mit dem Iran. Aber: "Für viele Menschen ist 2015 bislang ein furchtbares Jahr." Nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt herrschten Krieg, Tod, Verzweiflung. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe es noch nie so viele Menschen gegeben, die fliehen, wie heute. 250.000 Menschenleben habe der Krieg in Syrien gekostet, es gebe sieben Millionen Binnenflüchtlinge, der IS kontrolliere Teile des Iraks und Syriens.

Angela Merkel lobt Finanzpolitik: Die deutsche Wirtschaft sei stark, der Arbeitsmarkt robust, Deutschland befinde sich momentan in einer guten Verfassung. Ein entscheidender Grund dafür sei, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Generaldebatte im Bundestag sagt, die solide Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung. „Solide Finanzen machen es auch möglich, dass wir auf plötzlich auftretende neue Herausforderungen reagieren können.“ Damit meint Merkel die sechs Milliarden Euro für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. im nächsten Jahr. Auch wenn noch viel zu tun sei, betont die Kanzlerin: " Es ist ein Privileg und ein Glück, in guten demokratischen Verhältnissen zu leben."

Sigmar Gabriel und die Zeichen: Den Hang zum Populismus kann man Sigmar Gabriel einfach nicht absprechen. Da wird auch kaum eine Gelegenheit ausgelassen. Deshalb trägt er im Bundestag auch den Button der "Bild"-Aktion "Wir helfen", bei der es um die Hilfe für Flüchtlinge geht. Tolle Aktion, keine Frage. Aber muss der Vizekanzler das tragen? Er muss wohl nicht, manchmal bleibt auch einfach so etwas haften - auch ohne Button. Merkel hat ihn übrigens nicht am Revers hängen.

"refugeeswelcome - wir helfen" steht auf dem Anstecker, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Sitzung des Bundestags trägt.
"refugeeswelcome - wir helfen" steht auf dem Anstecker, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Sitzung des Bundestags trägt.

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Gregor Gysi kritisiert Waffenexporte: Die Debatte eröffnet Gregor Gysi, Noch-Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion. Er kritisiert die Waffenexporte Deutschlands. So verdiene Deutschland an jedem Krieg. Die Regierung trage eine Mitschuld an den Krisen und Kriegen in Syrien, Jemen, dem Irak oder der Ukraine. Er sagt außerdem, dass die Menschen aus Armut und Not fliehen würden. "Armut, bittere Armut führt zu Flucht. Dagegen unternimmt die Regierung nichts", sagt er. Gleichzeitig wachse der Reichtum weniger an.

Mumm, Frau Bundeskanzlerin: Gysi kritisierte die mangelnde Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in den osteuropäischen Ländern und forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, dagegen härter vorzugehen. "Da muss man mal mehr Mumm zeigen, Frau Bundeskanzlerin."

Die Politik von Viktor Orbán nennt Gysi "schlicht indiskutabel". Weiter sagt er zur Flüchtlingsproblematik, dass er von dem Engagement der Menschen in vielen Städten begeistert sei. "So etwas hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben." Gleichzeitig verweist er auf die Anschläge auf Flüchtlingsheime. "Dagegen müssen wir geschlossen auftreten, egal wie groß ansonsten unsere Meinungsunterschiede sind". Gysi fordert, soziale Ungleichheit abzubauen. Damit die Argumente Rechtsextremer ins Leere laufen.

Gregor Gysi kritisiert Regierungspolitik.
Gregor Gysi kritisiert Regierungspolitik.

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Mehr Logik in der Asylpolitik: Natürlich könne Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht sämtliche Fluchtursachen alleine bekämpfen. Doch was, fragt er in ihre Richtung, bespreche sie auf den Gipfeltreffen? Ein richtiger Schritt sei es, sechs Milliarden Euro im nächsten Jahr für die Flüchtlinge einzuplanen. Ein strukturelles Problem aber bleibe trotzdem. Die Regierung müsse außerdem eine Logik in ihre Asylpolitik bringen. Er selbst sei zwar gegen Quoten, aber für eine Kostenverteilung in der Europäischer Union.

Zu dem Bürgerkrieg in Syrien sagt Gysi: Natürlich sei es nachvollziehen, dass man Assad nicht leiden könne. "Aber Frieden ohne Assad wird man nicht finden." Er glaubt nicht, dass Angela Merkel die Fluchtursachen in Zukunft wirksam bekämpfen werde.

Angela Merkel und die Flüchtlingskrise: Offiziell geht es um den Kanzleretat in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages. Traditionelle ist dies aber der Termin für eine große Generaldebatte im Bundestag. Diesmal wird sie sicher im Zeichen der Flüchtlingspolitik stehen. Und an der gibt es nicht nur von der Opposition Kritik, sondern auch aus den Regierungsparteien. Der CSU geht es an einigen Stellen nicht weit genug. Teile der Christsozialen fordern, dass auch syrische Flüchtlinge zurückgeschickt werden können. Hannelore Kraft, der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin und SPD-Vize geht das Maßnahmenpaket der großen Koalition wiederum nicht weit genug. In diesem Spannungsfeld wird sich wohl auch Angela Merkel in ihrer Rede bewegen. (mit AFP, dpa, Reuters)

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