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Generalkommissarin des UN-Hilfswerks: "So schlimm war es in Gaza noch nie"

Karen Koning Abu Zayd, seit 2005 Generalkommissarin des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, spricht über die Situation im Nahen Osten. Sie lebt in Gaza.

Die israelische Blockade des Gazastreifens begann am 5. November. Wie ist die Lage im Augenblick?



Wir sagen immer, die Lage in Gaza ist düster. Aber so schlimm wie diesmal war sie noch nie. Unsere Lagerhäuser sind absolut leer. Noch nie zuvor dauerte eine Totalblockade durch Israel so lang wie diesmal. Wir haben keine Reserven mehr, nichts. Wir durften seit Juni keine Reservelieferungen mehr in den Gazastreifen einführen. Wir haben jetzt alles Mehl von allen Getreidemühlen zusammengekratzt, um es an die Flüchtlinge zu verteilen. Alle Bäckereien in Gaza sind geschlossen.

Werden die Menschen hungern?

Wenn die Israelis nicht sofort Lastwagen hereinlassen, wird es Hunger geben. Wir versorgen rund 800.000 Menschen im Gazastreifen. Weitere 200 000, die keine Flüchtlinge sind, sind auf das Welternährungsprogramm angewiesen. Alle bekommen von uns 60 Prozent ihres täglichen Kalorienbedarfs. Schon letzte Woche gingen viele Menschen, die auf ihre Portionen warteten, leer aus. Und die fragen uns dann, was sie machen sollen. Sie haben Kranke zu Hause, mehrere Kinder und keinen Brocken Essen mehr im Schrank.

Haben die Menschen Strom und Wasser?

Bisher haben die Israelis uns schon öfter bis an den Rand des Abgrunds geschoben, wie wir hier sagen. Aber dann ließen sie am nächsten Tag die Lastwagen mit Nahrung oder Treibstoff wieder durch. Doch diesmal ist es anders. Es gibt nur noch einige Stunden Strom am Tag, die Leute können nicht kochen, das Wasser läuft nicht. Seit einigen Tagen hat Israel alle Banken in Gaza vom Geldverkehr mit dem Schekel abgekoppelt. Etwa 50 000 Menschen erhalten von uns zusätzlich zur Nahrung einen regelmäßigen Geldbetrag. Das sind die Ärmsten der Armen. Wir können ihnen nichts mehr auszahlen. Mich wundert, wie ruhig und gefasst die Leute das alles hier hinnehmen.

Wie beurteilen Sie die internationale Reaktion auf die Totalblockade durch Israel?

Es gab internationale Proteste bei der israelischen Regierung, auch von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon. Aber nichts passiert, auf israelischer Seite gibt es keinerlei Reaktion. Wir fühlen uns ziemlich hilflos und allein gelassen. Es fehlt an dem nötigen internationalen Druck auf die Israelis, der uns erlauben würde, wieder Essen in den Gazastreifen zu bringen.

Das Gespräch führte Martin Gehlen.

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