zum Hauptinhalt
Generalmajor Hans-Werner Fritz ist Kommandeur des Regionalkommandos Nord der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (Isaf).

© ddp

Generalmajor Hans-Werner Fritz: "Wir haben mehr Feindkontakte"

Isaf-Regionalkommandeur Hans-Werner Fritz spricht mit Tagesspiegel-Redakteur Michael Schmidt über immer rabiatere Taliban und das Partnering mit Afghanistan.

Herr Generalmajor Fritz, acht Bundeswehrsoldaten sind allein in diesem Jahr im Afghanistaneinsatz ums Leben gekommen, insgesamt sind es 44. Die Nato blickt auf die verlustreichsten Monate zurück. Hinzu kommen zahllose getötete afghanische Zivilisten. Gibt es hier am Hindukusch irgendetwas zu gewinnen, das diesen Preis wert wäre?

Wenn es um Afghanistans Sicherheit geht, geht es auch um unsere. Und die Afghanen zählen auf uns. Darum sagen wir, jetzt erst recht. Die Opfer dürfen nicht umsonst gewesen sein. Ich glaube auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Die Aufständischen merken, dass wir an einem Kulminationspunkt angekommen sind.

Was heißt das?

Derzeit steigt die Zahl der Gefechte, die Zahl der getöteten Soldaten, die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorkommnisse. Die Leute unserer Quick Reaction Force (QRF) haben zuletzt das scharfe Ende unseres Berufes kennengelernt, das muss man schon sagen. Und wir müssen damit rechnen, dass es noch schlimmer werden könnte, bevor es besser wird.

Wie ist es um die Sicherheitslage in Afghanistan bestellt?

Die Reaktionen der Taliban werden immer irrationaler und ihr Vorgehen immer rabiater. Nehmen Sie das Attentat auf den Gouverneur von Kundus, Muhammad Omar, Anfang Oktober, an einem Freitag, beim Gebet in der Moschee – das ist so, als wenn man jemanden bei der Ostermesse in einer Kirche ermorde und dann erkläre, man sei ein überzeugter Christ.

In diesen Tagen und Wochen wird umgesetzt, was die internationale Gemeinschaft auf der Afghanistankonferenz zu Beginn des Jahres in London beschlossen hat: Eine verstärkte Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei, Stichwort „Partnering“. Was ändert sich damit?

Es geht um ein gemeinsames Vorgehen. Vom ersten Tag meines Einsatzes an als Kommandeur des Regionalkommandos Nord sehe ich meine afghanischen Partner mindestens einmal die Woche, den Polizeichef, den Kommandeur des 209. Afghanischen Korps und andere. Es gibt keine Operationsplanung, die wir nicht zusammen machten.

Wie stellt sich das in der Praxis dar?

Die Soldaten gehen Schulter an Schulter ins Gefecht. Wir haben uns gegenseitig eine Vertrauensbasis erarbeitet, die beeindruckend ist. Das ist ja nicht nur für unsere jungen Kompanieführer etwas Neues, dass hier zwei verschiedene Kulturen aufeinander treffen – das gilt ja auch für die afghanischen Kameraden. Wir vertrauen uns gegenseitig unser Leben an. Das ist nicht wenig. Und obwohl die Sprache, die Kultur, das unterschiedliche militärische Denken uns trennen, haben wir im scharfen Schuss erlebt: Es geht.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat gesagt, Partnering bedeute nicht, dass man Poncho und Isomatte miteinander teile. Wie also sieht die gemeinsame Ausbildung, das gemeinsame Rausgehen aus?

Die Zug- oder Kompanieführer kommen zusammen, besprechen wie sie im Gelände vorgehen wollen und dann kämpft man auf Sichtweite und in Tuchfühlung, gemeinsam. Man teilt eine Menge miteinander, sicher nicht Poncho und Isomatte, aber vielleicht die Verpflegung, die sanitätsdienstliche Unterstützung, die Erfahrung im Gefecht. Das sind Erlebnisse, die die Männer, bei aller anfänglichen Skepsis und Fremdheit, miteinander verbinden.

Wird das Leben und Arbeiten der Bundeswehrsoldaten durch Partnering gefährlicher?

Die Afghanen sollen zunehmend selbst die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen. Wir sagen, wir geben euch nicht nur guten Rat und gute Lehre, sondern, auch wenn es an die praktische Umsetzung geht, sind wir dabei – und das Risiko dabei tragen wir gemeinsam.

Und ist das größer als zuvor?

Ums mal mit einem Bild zu sagen: Wenn der Jäger in ein Waldstück geht, in dem er zuvor noch nie war, dann scheucht er dort das Wild auf. Will sagen: Wir haben jetzt mehr Truppen hier, wir gehen mehr raus, in die Fläche, verlassen das Lager – und deshalb haben wir auch mehr Feindkontakte. Das heißt durchaus nicht, dass alles immer schlimmer wird.

Was für Erfahrungen haben Sie mit dem afghanischen Partner bisher gemacht in Punkto Zuverlässigkeit, Korruption, Disziplin?

Je mehr wir zusammen arbeiten, desto besser wird’s. Die Afghanen sind ausgesprochen lernfähig und lernwillig. Im Gefecht erweisen sie sich als tapfere Männer.

Dessen ungeachtet gibt es immer wieder Berichte über mangelnde Loyalität, Überläufer zu den Taliban und dass die Partner zu
verabredeten Operationen einfach nicht erscheinen...

Das gibt’s. Wir wollen das nicht, wir wollen zuverlässige Partner haben, aber solche Vorkommnisse kann man nie hundertprozentig ausschließen. Wenn wir offen mit den Afghanen zusammenarbeiten, laufen wir auch immer Gefahr, dass Informationen weiter gegeben werden. Das ist nun einmal so. Aber generell gilt: Wenn sie einmal vertrauen gefasst haben, arbeiten die Afghanen loyal mit uns zusammen.

Sind die deutschen Soldaten für die Aufgabe bestmöglich ausgerüstet und ausgebildet?

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Auch während wir uns hier unterhalten, könnte eine Rakete einschlagen. Manches könnte besser sein. Aber ich glaube, dass wir trotz der zahlreicher werdenden harten Gefechte nicht noch mehr Opfer zu beklagen haben, ist auch dem Umstand zu verdanken, dass wir durchweg gut ausgerüstet und ausgebildet sind. Ich habe mich mehrfach mit verwundeten Soldaten unterhalten und gefragt: Unter uns – müssen wir etwas anders machen? Die Jungs haben gesagt, nein, wir liegen richtig mit dem, was wir tun.

Was könnte dennoch besser sein?

Das Regionalkommando Nord ist halb so groß wie die gesamte Bundesrepublik. Je größer der Verantwortungsbereich, desto wichtiger ist die Luftunterstützung des Einsatzes. Ich würde mir deshalb zum Beispiel mehr Hubschrauber wünschen. Im Moment wird das aufgefangen durch die Amerikaner, die hier mit Kampf-, Medevac- und Transporthubschraubern arbeiten. Das ist eine große Hilfe. Deshalb fehlt mir im Moment an dieser Stelle nichts, aber mittel- und langfristig wäre es schon gut, wenn wir diese Komponente selbst entwickelten und der Tiger und NH-90 einsatzfähig würde.

Man hätte denken können, Sie fühlten sich durch die Anwesenheit der Amerikaner düpiert...

Ganz und gar nicht. Das, was wir hier machen, ist der Leim, der die Nato schon immer zusammengehalten hat. Wir gehen gemeinsam rein, und wenn irgendjemand eine Fähigkeitslücke hat, dann macht es halt der andere. Ich bin dankbar für die Hilfe der Amerikaner. Ich habe sie unter meinem Kommando, das ist das erste Mal überhaupt, dass ein deutscher Kommandeur eine US-Truppe im Einsatz führt, und das läuft ganz prima.

Unterdessen sucht die Regierung Karsai das Gespräch mit den Taliban. Ist den Soldaten zu vermitteln, dass die Politik mit jenen verhandeln will, die man doch zugleich bekämpft?

Ja. Weil das unsere Männer hier im Norden auf der taktischen Ebene positiv erlebt haben, am Beispiel von Taliban, die sich in die Gesellschaft reintegrieren wollten. Die haben die Waffen niedergelegt, sich überprüfen und registrieren lassen. Wir haben in ihren Heimatdörfern gefragt, ob man bereit sei, sie wieder aufzunehmen, und wenn die Dorfältesten dem zustimmten, dann wurde das so gemacht.

Die Afghanen sind kriegsmüde?

Ja. Sie wollen Frieden und Sicherheit und sehen, wie ihre Kinder groß werden, wie jeder von uns. Alles andere, Demokratie, die Trennung von Staat und Kirche, muss sich weiterentwickeln. Das wird Zeit brauchen. Ein afghanischer Kollege sagte mal zu mir: Wir Afghanen fühlen uns wie Vögel, die lange, lange in einem Käfig eingesperrt waren, dessen Türchen plötzlich geöffnet wird – wir trauen uns nicht sogleich, hinaus ins Freie zu fliegen.

Das Gespräch führte Michael Schmidt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false