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Politik: Generation Fischstäbchen

Die Kinder bestimmen den Speiseplan, wenn Familien überhaupt noch gemeinsam essen – wären kostenlose Schulmahlzeiten besser?

Berlin - Als Anfang Dezember Berliner Gesundheitsforscher beklagten, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien häufig ohne Frühstück, ohne Brote und ohne Geld für einen Pausensnack in die Schule kommen, da war das nur eine Beobachtung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dieser Beobachtung jetzt durch eine Umfrage die richtige Dimension gegeben: Wer kein oder nur wenig Geld verdient, der spart sich das gemeinsame Frühstück häufiger als Gutverdiener – oder er muss es sich sparen.

Das Problem dürfe man nicht bei den Eltern abladen, warnt Anja Ziegon, Vorsitzende des Elternrats: „Es ist doch gerade bei Schlechtverdienern so, dass beide Elternteile arbeiten und dass sie häufig schon vor den Kindern aus dem Haus gehen müssen.“ Deshalb findet Ziegon, dass Kindergärten und Schulen kostenloses Essen für alle anbieten sollten: „Es ist nicht richtig, dass die Leistungen, die Familien mit Kindern erbringen, sozialisiert werden, die Probleme aber wieder an die Familien zurückgereicht werden.“ Familien mit Kindern sicherten schließlich die Renten und die Sozialversicherungssysteme. Da sei es nur fair, wenn sich die Gesellschaft auch an der Lösung der Probleme beteilige, die sie in der Arbeitswelt hätten.

„Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt Gewerkschafter Norbert Hocke: „Die Arbeitszeiten von Müttern und Vätern werden so verändert, dass ein gemeinsames Frühstück möglich ist, oder aber die Schule übernimmt als gesellschaftliche Institution diese Aufgabe.“ Es könne nicht sein, dass sich die Gesellschaft über längere Ladenöffnungszeiten freue, „die sich viele Mütter und Väter nicht nur werktags, sondern auch an Wochenenden von der gemeinsamen Familienzeit abknapsen“ und sich dann darüber beklage, dass Kinder von ihren Eltern alleine gelassen werden. „Das ist zynisch“, sagt Hocke.

DIW-Forscher Jürgen Schupp bestätigt, dass es bei seiner Beobachtung nicht nur um das Frühstück geht, sondern um alle Mahlzeiten während der Woche: „Es ist sehr deutlich, dass sich die Familienzeiten auf das Wochenende verlagern“, erklärt er. Damit löse sich die Tradition der Familienmahlzeit immer weiter auf, „die Institution der Familie als Erziehungsort nimmt gleichzeitig an Bedeutung ab“. In der DIW-Umfrage wird deutlich, dass nur noch die Älteren, die Rentnerpaare, regelmäßig gemeinsam essen. Bei Jüngeren, vor allem bei Familien mit Kindern, wird in der Woche nur noch rund die Hälfte der 21 möglichen Mahlzeiten zusammen verspeist. Gemeinsame Mahlzeiten aber sind nicht nur die Zeit der Nahrungsaufnahme, sondern auch der Ort, an dem erzogen, geprägt und auch mal kontrolliert werde. Christine Brombach von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung sieht das ähnlich. Den Familien sei der Austausch immer noch sehr wichtig: „Es ist halt nur schwer, diese Zeiten in der Woche zu reservieren“.

Die Ernährungsforscherin beobachtet zurzeit weitere fundamentale Veränderungen: Kommt beispielsweise der Vater zum Mittagessen nicht mehr nach Hause, verlagert sich der Menüplan immer stärker in Richtung der Kinder. Es kommt zu einer „Infantilisierung des Essverhaltens“. Gab es früher „Männeressen“ wie Braten, Kartoffeln und Bohnen, wenn der Alleinverdiener seine Füße unter den Mittagstisch streckte, stehen da heute Milchreis, Fischstäbchen oder Nudeln, wenn sich Mutter und Schulkinder zum Essen treffen. Die Kinder essen nicht mehr, „was auf den Tisch kommt“, sondern die Mutter kocht, was ihnen schmeckt. Das kann dazu führen, „dass sich die Vielfalt der Ernährung deutlich reduziert“, warnt Brombach. Keine Kleinigkeit: Denn das, was es zu Hause gab, prägt später auch das Erwachsenenleben. „Die Verhaltensmuster der Eltern werden in aller Regel übernommen. Geschmackspräferenzen, die in der Kindheit ausgebildet werden, bleiben ein Leben lang erhalten“, beobachtet die Forscherin.

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