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Irans starker Mann: Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei (rechts) bestimmt seit Jahren die Geschicke seines Landes. Auch in der Atomfrage gilt er als entscheidende Instanz. Erst vor Kurzem hat er Präsident Hassan Ruhani wegen seines Annäherungskurses gegenüber den USA kritisiert. Foto: dpa

© dpa

Politik: Geschäft und Gegengeschäft

Für die neue Runde der Atomgespräche in Genf hofft der Iran auf eine Lockerung der Sanktionen – Teheran könnte sich deshalb beim Thema Urananreicherung kompromissbereit zeigen.

So hoch die Erwartungen, so hoch offenbar auch die Belastung der Nerven. „Ich kann weder laufen noch sitzen und muss sofort zum Arzt“, schrieb Irans Außenminister Mohammad Dschavad Sarif am Mittwoch auf Facebook an seine 420 000 Follower. Am Morgen im Büro habe ihn der Schlag getroffen, als er in der erzkonservativen Zeitung „Kayhan“ die Schlagzeilen las. Das Blatt behauptete, Sarif habe in einem Gespräch das historische Telefonat zwischen US-Präsident Barack Obama und Irans neuem Präsidenten Hassan Ruhani als Fehler bezeichnet – eine dreiste Falschmeldung. Da brach der Körper des Chefdiplomaten für einen Tag unter dem enormen Druck zusammen. Sarif sagte alle Termine ab, ließ sich ins Krankenhaus fahren. Dort diagnostizierte der Arzt „Stress und Muskelverspannungen“ – eine Woche vor den von der ganzen Welt mit großen Hoffnungen erwarteten Atomverhandlungen in Genf.

Zwei Tage lang werden sich die Delegationen am Dienstag und Mittwoch gegenübersitzen. Außenminister Sarif führt Irans Unterhändler, EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton die Experten der „5+1-Gruppe“. Zu ihr gehören sämtliche Vetostaaten im UN-Sicherheitsrat – USA, Russland, China, England und Frankreich – plus Deutschland. Man werde per PowerPoint einen Plan präsentieren, der hoffentlich in einem angemessenen Zeitraum zu Ergebnissen führt, hieß es am Wochenende von iranischer Seite, ohne dass Einzelheiten bekannt wurden.

Teherans neue Führung erwägt offenbar Kompromisse auf zwei Feldern: der Urananreicherung und dem Zugang zu den Atomstätten. Aus westlicher Sicht müssen die Verhandlungen in erster Linie um Irans Vorräte des auf 20 Prozent angereicherten Urans gehen. Von dort aus ist eine waffenfähige Konzentration auf 90 Prozent technisch sehr leicht zu erreichen. Gut 370 Kilogramm besitzt der Iran bereits, von denen die Hälfte für den Einsatz in Brennstäben weiterverarbeitet ist. Die Islamische Republik könnte anbieten, die Hochanreicherung zu stoppen, wenn der Westen dafür komplette Brennstäbe für den Medizinreaktor in Teheran liefert.

Gleichzeitig wird es in Genf aber auch um den künftigen Zugang der Wiener Atomkontrollbehörde IAEO zu Irans Atomanlagen gehen, allen voran die unterirdischen Stollen von Fordor bei Qom sowie der Militärkomplex Parchin im Süden Teherans, wo der Westen Testanlagen für Atomsprengköpfe vermutet. „Wenn die IAEO Parchin ohne Behinderungen evaluieren kann und sich das Areal als sauber erweist, wäre das ein großer Fortschritt für das gegenseitige Vertrauen“, erläutert Gary Sick, langjähriger Iranspezialist im Nationalen Sicherheitsrat der USA unter den Präsidenten Gerald Ford, Ronald Reagan und Jimmy Carter.

Im Gegenzug möchte der Iran in den nächsten drei bis sechs Monaten die Lockerung der Sanktionen erreichen, die Wirtschaft und Währung so schwer zusetzen. Am meisten zu schaffen macht dem Iran der blockierte Zugang zum internationalen Bankensystem. Zudem haben sich die Ölexporte durch den internationalen Boykott halbiert.

Trotzdem bleibt der Chor der Skeptiker beträchtlich und reicht von Irans Konservativen über Israel bis zu Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Es dürfe keinen „faulen Kompromiss“ geben, warnte Premier Benjamin Netanjahu und kündigte an, sein Land werde notfalls alleine militärisch gegen Teheran vorgehen. SaudiArabien fürchtet, eine Verständigung der beiden Erzfeinde USA und Iran über seinen Kopf hinweg könnte Teherans Einfluss im Mittleren Osten stark beflügeln. Aber auch den iranischen Konservativen schmeckt das diplomatische Tauwetter nicht. Die Neujahrswünsche Ruhanis an Juden in aller Welt sind ihnen genauso ein Dorn im Auge wie der viel umjubelte Auftritt des 64-jährigen Geistlichen bei der UN-Vollversammlung in New York.

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