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Mehr Tempo. Die deutschen Städte brauchen dringend zusätzlichen Wohnraum. Immer mehr Menschen kehren vom Land zurück.

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Geschäftsführer des Deutschen Städtetags: „Wir müssen den sozialen Wohnungsbau antreiben“

Helmut Dedy ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Im Interview spricht er über den Mangel an Bauflächen, mehr Polizeipräsenz und den Sinn von Gesichtsscannern.

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Herr Dedy, wie sicher sind die deutschen Städte?

Nach wie vor können sich die Menschen in unseren Städten sicher fühlen. Trotzdem befassen wir uns gerade jetzt intensiv mit dem Thema. Denn natürlich betrifft es die Kommunen unmittelbar, wenn Fragen nach Präsenz von Polizei oder kommunalen Ordnungsdiensten gestellt werden, oder die Frage, was man für das Sicherheitsgefühl an öffentlichen Plätzen tun kann. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel denkt das Land gerade über ein Programm „1000 helle Plätze“ nach. Es geht dabei um Lösungen, die den Bürgern auch abends ein höheres Sicherheitsgefühl geben, wenn sie in der Stadt unterwegs sind. Auch über die Sicherheitskonzepte bei Großveranstaltungen sprechen wir.

Werden an öffentlichen Plätzen in Zukunft Videoanlagen mit Gesichtsscannern stehen, die jeden durchleuchten?
In dem Maße, wie sich Bedrohungsszenarien verändern, ändern sich auch Einstellungen in der Gesellschaft. Vor einigen Jahren war es noch undenkbar, dass Videoüberwachung zum Standard städtischer Sicherheitskonzepte gehört. Heute gibt es daran kaum noch Kritik. Gesichtserkennungssoftware ist aber eine andere Sache, das hätte eine neue Qualität und muss deshalb gut überlegt werden. Ich persönlich bin sehr zurückhaltend, aber darüber werden wir im Kreis der Städte diskutieren müssen. Ganz zentral finde ich: Die Gestaltung unserer Städte dürfen wir uns nicht von der Terrorismusgefahr bestimmen lassen. Wir müssen genug tun, damit die Menschen sich sicher fühlen. Aber Städte müssen unbedingt Orte des Zusammenlebens bleiben, in denen man sich nicht ständig mit Misstrauen begegnet.

Angela Merkel hat vor einem Jahr, zu Beginn der Flüchtlingskrise, ihr „Wir schaffen das“ versprochen. Seither sind vor allem die Kommunen mit Unterbringung und Integration beschäftigt. Ein Fazit nach zwölf Monaten: Haben wir es geschafft?
Wir haben einen erheblichen Teil der zunächst anstehenden Aufgaben geschafft, und das ist zum großen Teil den Kommunen zu verdanken. Die Erstaufnahme von Flüchtlingen läuft inzwischen halbwegs in guten Bahnen, auch die Abwicklung der Asylverfahren. In den Städten legen wir den Fokus schon seit einiger Zeit nicht mehr in erster Linie auf Themen der Aufnahme und Versorgung, sondern richten das Augenmerk auf Fragen der Integration. Dabei ist natürlich noch lange nicht alles geschafft. Aber das erwartet auch niemand, Integration ist schließlich ein Prozess über Jahre.

Helmut Dedy.
Helmut Dedy.

© Mike Wolff

Beim Thema Wohnungsbau – auch für Flüchtlinge – scheint die Bilanz nicht ganz so gut auszufallen. Woran liegt das?
Trotz der steigenden Zahlen der Baugenehmigungen haben wir in Städten mit starker Wohnungsnachfrage ein Problem, weil Flächen fehlen und Wohnungen nicht schnell genug entstehen. Dabei spielt es keine so große Rolle, ob der Bund nun, wie die Bauministerin will, sich mit eigener Zuständigkeit am sozialen Wohnungsbau beteiligt, oder ob er die Länder weiter finanziell unterstützt. Wichtig ist, dass Bund und Länder einen gemeinsamen Weg finden. Das gilt auch für den frei finanzierten Wohnraum. Klar ist: Wohnraum reicht derzeit in vielen Regionen nicht aus.

Was muss getan werden?
Wir müssen den sozialen Wohnungsbau antreiben und im frei finanzierten Wohnungsbau über steuerliche Erleichterungen oder Investitionszuschüsse reden. Die Koalition muss sich dazu kurzfristig verständigen. In den Kommunen werden darüber hinaus viele Möglichkeiten geprüft. Das geht über weniger Bauauflagen, etwa Stellplätze, bis hin zu der Frage, wie man die Eigentümer von unbebauten Grundstücken dazu bewegen kann, diese für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht es denn bei den Kommunen aus, etwa bei der Abgabe von städtischen Grundstücken zu Preisen, die sozialen Wohnungsbau möglich machen?
Da passiert schon einiges. Voraussetzung ist, dass man überhaupt eigene Flächen hat. Und wo das der Fall ist, sind die Kommunen auch aktiv. Sie haben ja ein ureigenes Interesse daran, Wohnraum zu schaffen. Ein strategisches Flächenmanagement ist in vielen Städten bereits Standard, um sowohl Flächen zu günstigen Preisen zu mobilisieren als auch Investoren genügend Anreize zu bieten.

Ein Thema, das jetzt wieder aufkommt, auch im Zusammenhang mit den Wohnungsbauförderplänen des Bundes, ist die Verdichtung in Innenstädten. Die galt jahrelang als falscher Ansatz und kommt auch bei Bürgern oft nicht gut an. Warum soll das nun plötzlich die Lösung sein?
Es gab lange Zeit den Trend, auf das Land zu ziehen, aufs Dorf. Angesagt war das Haus in der Uckermark. Seit einiger Zeit hat sich die Wanderung in die urbanen Zentren wieder verstärkt, die Städte kümmern sich seit einigen Jahren wieder um eine nachhaltige Innenentwicklung. Die Kunst besteht dabei darin, für neuen Wohnraum zwar Zentren zu verdichten, aber gleichzeitig Lebensqualität für die Menschen zu schaffen, etwa durch attraktivere Grünflächen. Zudem verstärken Städte die interkommunale Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden, um sowohl Chancen für Wohnraum zu nutzen als auch Freizeitflächen zu erhalten.

Der Städtetag klagt über die Haushaltslage vieler Kommunen. Wo stecken die Probleme?
Trotz der Entlastung durch den Bund, vor allem bei der Grundsicherung im Alter und durch die zugesagten fünf Milliarden Euro für die Kommunen ab 2018, sind für viele Städte die Sozialausgaben eine erhebliche Belastung. Wo sie höher sind, sind die Haushaltsprobleme eben auch größer. Und die Investitionen damit geringer. Wir hoffen auf die in der Bundesregierung derzeit besprochene Neuausrichtung der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsstruktur, die sich Bund und Länder teilen. Sie muss zielgenauer werden, damit sie sowohl für das Ruhrgebiet als auch für andere strukturschwache Regionen passt, unabhängig davon, wo sie in Deutschland liegen. Ob die bisher in dem Programm für die Infrastruktur eingesetzten Mittel von 320 Millionen Euro reichen, bezweifle ich allerdings. Damit wird es sicher nicht gehen.

Ein Thema der Kommunalpolitik ist die Luftreinhaltung. Wie groß ist das Problem?
Wir sind mittlerweile in einer Situation, in der Fahrverbote eigentlich nicht mehr zu verhindern sind, wenn die Grenzwerte eingehalten werden sollen. Aber dann legen wir die Städte lahm, und das wollen wir nicht. Beim Feinstaub haben wir bewiesen, dass wir in der Lage sind, die gesetzlichen Vorgaben durchzusetzen. Aber bei den Stickoxiden gibt es in Deutschland etwa 80 Städte, die damit Schwierigkeiten haben.

Woran liegt das?
Einerseits an der enormen Zunahme der Zahl der Diesel-Pkw – sie hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt auf einen Anteil von einem Drittel heute. Der zweite Grund ist, dass diese Fahrzeuge – wie der Abgas-Skandal bewiesen hat – mehr Schadstoffe ausstoßen, als in den Papieren steht. Die Vorschriften zur Luftreinhaltung wurden aber auf der Grundlage der niedrigeren, von der Automobilindustrie in Aussicht gestellten Abgaswerte gemacht. Wenn jetzt nichts passiert, werden Städte wahrscheinlich durch Gerichte bald gezwungen, Fahrverbote zu erlassen.

Was soll geschehen?
Die Automobilindustrie muss endlich handeln und die Fahrzeuge sauberer machen. Nur leider wird dies wohl nicht kurzfristig die Werte reduzieren. Deshalb muss die Bundesregierung mit der Europäischen Union über eine lebensnahe, realistische Verlängerung der Fristen zur Einhaltung dieser Luftreinhaltungswerte reden. Das ist unsere Forderung, um Fahrverbote zu vermeiden, die wir alle nicht wollen können.

Gibt es nicht andere Möglichkeiten, etwa eine blaue Plakette?
Die blaue Plakette könnte vielleicht helfen, aber da müssen wir genau hinschauen. Zum Beispiel stoßen sogar Diesel-Autos mit der neuesten Norm Euro 6 im Fahrbetrieb auf der Straße zu viel Schadstoffe aus. Aktuell kann man eigentlich nur sagen: Die Ursache für das Problem liegt nicht in den Städten, die Schadstoffe müssen an der Quelle bekämpft werden. Und Bund, Länder und Kommunen müssen den öffentlichen Personennahverkehr weiter verbessern.

Helmut Dedy (58) ist seit Juni neuer Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Der Jurist ist seit 1992 in den Diensten der Kommunalverbände.

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