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Geschichte: Das Grundgesetz und die Giraffen

Im Bonner Naturkundemuseum Koenig begann vor 60 Jahren die Arbeit an der Verfassung für die künftige Bundesrepublik.

Berlin - Die Atmosphäre war feierlich, nur die mit Tuch verhängten ausgestopften Giraffen irritierten etwas. Aber im Bonn der Nachkriegszeit gab es nicht viele repräsentative Bauten, die Festgemeinde musste daher in das vom Krieg verschonte Museum Koenig ziehen. Den Großteil der Tierwelt hatte man zwar ausgeräumt, aber die Giraffen waren zu groß. So hatten sie am 1. September 1948 Anteil am Auftakt zu den Verfassungsberatungen für einen westdeutschen Teilstaat, die Bundesrepublik Deutschland.

An jenem Tag versammelte sich im Museum der von den Landtagen bestimmte Parlamentarische Rat, 61 Männer und vier Frauen. Sie sollten ein Grundgesetz schaffen. „Wir beginnen mit dieser Arbeit in der Absicht und dem festen Willen, einen Bau zu errichten, der am Ende ein gutes Haus für alle Deutschen werden soll.“ Mit diesen Worten begrüßte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Karl Arnold die Gäste am Rhein. Der Bau stand knapp neun Monate später, am 23. Mai 1949. Ein Haus für alle Deutschen aber wurde erst 41 Jahre später daraus.

Dass der Parlamentarische Rat (der dann nicht mehr bei den Giraffen tagte, sondern in der Pädagogischen Akademie) neun Monate brauchte, verblüfft im Nachhinein. Denn die Vorarbeiten waren gründlich gewesen, zuerst in den Verfassungsberatungen in den Ländern, dann vor allem im Konvent von Herrenchiemsee, der im August 1948 einen vollständigen Verfassungsentwurf ausgearbeitet hatte. Dieser prägte das Grundgesetz nachhaltig. Aber in Bonn tagten weniger gediegene Verfassungsexperten als kalkulierende Parteipolitiker. Die wussten, dass dem Grundgesetz die Wahlen zum Parlament des neuen Staates folgen würden. Und so machten die beiden führenden Parteipolitiker – Konrad Adenauer bei der CDU als Vorsitzender des Rats und Kurt Schumacher als graue Eminenz der SPD von außen – die Verfassungsdebatten bisweilen zum versteckten Vorwahlkampf, genauer: Man versuchte, das Grundgesetz so zu formulieren, dass es die eigene Politik später erleichtern würde. Und das machte manche Entscheidungen etwas zäh.

Wobei sich Adenauer und Schumacher, die Kanzlerkandidaten in spe, zumindest in einem Punkt einig waren: Die Bundesebene sollte möglichst stark, die Länder möglichst schwach sein. Vor allem sollte der Kanzler ordentlich was zu sagen haben – und nicht wie in der Weimarer Republik Gefahr laufen, zur Marionette eines übermächtigen Präsidenten zu werden. Die Lehren aus dem Scheitern der ersten Demokratie führten dazu, dass der Bundespräsident heute eine mehr ornamentale Funktion hat. Dass der Bundestag einen Kanzler nur dann stürzen kann, wenn sich eine Mehrheit für einen neuen findet. Dass Parteien verboten werden können, wenn sie die Verfassung unterminieren. Und dass es eine Wahlhürde gibt, um einer Parteienzersplitterung entgegenzuwirken.

Union und SPD hatten jeweils 27 Abgeordnete, dazu kamen fünf Liberale und jeweils zwei Politiker des damals noch existierenden katholischen Zentrums und der bürgerlichen Deutschen Partei. Die beiden Kommunisten im Parlamentarischen Rat führten eine Randexistenz – sie wollten das Grundgesetz grundsätzlich nicht. Die Mehrheitsverhältnisse führten dazu, dass Konsens über Konflikt ging. Die spezifische Stellung des Bundesrats etwa geht auf einen Kompromiss zurück, den der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard außerhalb des Gremiums mit dem führenden SPD-Verfassungspolitiker Walter Menzel bei einem Abendessen im Hotel Königshof vereinbarte. Die Länder bekamen so die gewünschte Länderkammer, die Anhänger einer starken Bundesmacht wurden damit besänftigt, dass der Bundesrat dem Bundestag nicht gleichgestellt war.

Überhaupt gehörten Fragen, wie der Bundesstaat funktionieren soll, zu den Kernstreitpunkten. Manche klingen bis heute nach. Etwa die nach der Bundesfinanzverwaltung. Die lehnten die bekennenden Föderalisten vor allem aus dem Süden vehement ab. Unterstützung bekamen sie von alliierter Seite, wo vor allem die Amerikaner darauf drängten, die Machtbalance zwischen Bund und Ländern nicht zu stark zu Gunsten der Zentralbehörden zu gewichten. Über die Frage diskutiert gegenwärtig die Föderalismuskommission wieder, der Bund will sie dringend haben, die meisten Länder sträuben sich.

Möglicherweise mit guten Gründen, wenn man liest, wie der SPD-Politiker Menzel die Notwendigkeit einer zentralen Steuerverwaltung 1948 begründete: „Der Bund muss ein Mittel für den Bundeszwang haben“, forderte er. „Die Weimarer Verfassung hatte den Bundeszwang des Artikels 48 durch die Wehrmacht (…). Wir kannten aber auch damals bereits den Reichszwang durch die völlige oder teilweise Einbehaltung der Finanzzuweisungen.“ Wenn man also schon keine Armee im Innern marschieren lassen konnte, sollte der Bund den Ländern zumindest den Geldhahn zudrehen können. Diese autoritäre Regelung wurde 1948 verhindert, aber sie wäre wohl auch nie nötig gewesen. Bund und Länder vertragen sich ja leidlich. Wenn Bundestagspräsident Norbert Lammert am kommenden Samstag im Museum Koenig die 60-Jahre-Rede hält, wird er also ein Loblied singen können. Die Giraffen sind offenbar auch wieder dabei.

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