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Politik: Geschichte vor Gericht

Im Demjanjuk-Prozess sollen Plädoyers beginnen Neues Verfahren gegen den 90-Jährigen in Spanien

Berlin - Vom ersten Tag an war es ein ungewöhnlicher Prozess. Das Verfahren könnte einer der letzten großen NS-Prozesse in Deutschland sein, und angeklagt ist einer der sogenannten ausländischen „Hilfswilligen“ der SS. John Demjanjuk ist mittlerweile 90 Jahre alt. Er wird im Rollstuhl in den Gerichtssaal gefahren, während der Verhandlung liegt er auf einem Krankenbett. Dem in der ukrainischen Sowjetrepublik geborenen Angeklagten wird vorgeworfen, als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor 1943 an der Ermordung von 27 900 Juden beteiligt gewesen zu sein. Nach mehr als 15 Monaten und 77 Verhandlungstagen, die oft zur Geschichtsstunde wurden, nähert sich der Prozess vor dem Münchner Landgericht nun seinem Ende. An diesem Dienstag soll der Staatsanwalt mit dem Plädoyer beginnen, noch im März könnte nach der Planung des Gerichts das Urteil gesprochen werden.

Doch Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch könnte diese Pläne noch durchkreuzen, weil er am Dienstag weitere umfangreiche Beweisanträge stellen will. Bereits vom ersten Prozesstag am 30. November 2009 an hat Busch mit Befangenheitsanträgen und einer Fülle von weiteren Eingaben operiert. Erreicht hat er damit bisher nichts: „Ich habe eine Erfolgsquote von 0,00 Prozent“, sagt Busch. Der Verteidiger bezeichnet das Verfahren gegen Demjanjuk als „selektive Einzelverfolgung“, die „verfassungswidrig“ sei.

Demjanjuk bestreitet, überhaupt in Sobibor gewesen zu sein. Er sieht sich als Opfer, weil er als Soldat der Roten Armee in deutscher Kriegsgefangenschaft war. Doch selbst wenn er Wachmann in Sobibor gewesen und zuvor im SS-Ausbildungslager Trawniki geschult worden wäre, müsste er sich nach Ansicht Buschs auf einen Befehlsnotstand berufen können – so wie deutsche SS-Offiziere, die in den 60er Jahren freigesprochen wurden. An einen Freispruch für seinen Mandanten glaubt Busch nicht: „Ich gehe davon aus, dass er schuldig gesprochen wird.“ Auch der Nebenklagevertreter Michael Koch hat nach eigenen Angaben keinerlei Zweifel an einem Schuldspruch. Er verweist auf den Dienstausweis Demjanjuks und auf Verlegungslisten, die zeigten, dass dieser in Sobibor war, und auf die Aussagen anderer „Trawniki“, wie die im gleichnamigen Lager ausgebildeten Wachleute genannt werden. In Anspielung auf Äußerungen des Verteidigers sagt Koch, die Geschichte vom internationalen Justizkomplott gegen Demjanjuk sei eine „Chimäre“. Zum Ende des Prozesses werden auch einige Nebenkläger selbst zu Wort kommen. Demjanjuk war im Mai 2009 aus den USA abgeschoben worden und ist seitdem in München in Haft.

Doch selbst wenn Demjanjuk freigesprochen werden sollte, sind nicht zwangsläufig alle Verfahren gegen ihn zu Ende: Das Nationale Gericht in Spanien erhob im Januar Anklage gegen ihn wegen Beteiligung an Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dabei geht es um den Tod von 60 spanischen Häftlingen im nationalsozialistischen Konzentrationslager Flossenbürg. Der Richter Ismael Moreno beantragte daher einen europäischen Haftbefehl gegen den 90-Jährigen. Allerdings ist der Haftbefehl aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft München zu allgemein gehalten: „Es muss näher beschrieben werden, was die strafbare Handlung ist“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Alfons Obermeier. So fehlten genaue Angaben zu den Opfern und zur Tatzeit. Daher bat die Generalstaatsanwaltschaft die spanischen Kollegen um eine Präzisierung des Haftbefehls.

Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit, bestätigt, dass in dem Konzentrationslager 60 spanische Häftlinge gestorben sind. „Allerdings waren nur 30 von ihnen im Stammlager untergebracht, wo Demjanjuk von Oktober 1943 bis Ende 1944 Wachmann war“, sagt Skriebeleit. Die übrigen 30 wurden in den Außenlagern ermordet – ihr Tod kann Demjanjuk gar nicht angelastet werden. Ermittler aus Spanien sind bisher in Flossenbürg nicht aufgetaucht. Es sieht also danach aus, als müsste Demjanjuk auch im Falle eines Freispruchs keine baldige Auslieferung nach Spanien fürchten.

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