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Der schwarze Militärmusiker Gustav Sabec al Cher und seine Verlobte Gertud Perlig auf einem Gemälde des Berliner Malers Emil Doerstling.

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Afrikaner in Preußen: Gustav, der Kapellmeister

Er war ein Preuße durch und durch, trug stolz die Uniform, seine Orden und einen Bart wie Kaiser Wilhelm. Die Geschichte des schwarzen Militärmusikers Gustav Sabac el Cher.

Von Andreas Austilat

Das Bild hängt im ersten Stock, ein wenig abseits in einer Ecke des Deutschen Historischen Museums. Durch das Fenster daneben geht der Blick rüber aufs Kronprinzenpalais, jenes Haus, in dem Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, geboren wurde. "Preußisches Liebesglück" heißt das Gemälde von 1890, es zeigt ein Paar in inniger Umarmung. Beide strahlen, keine Frage, sie sind glücklich, so wie der Maler sie hier zeigt.

Es könnte ein Paar sein wie tausende andere, wenn da nicht eine Besonderheit wäre: Der Mann hat eine tiefdunkle, fast schwarze Hautfarbe. Sie hingegen hat die porzellanartige Blässe rotblonder Frauen. Ein schwarz-weißes Paar, er in preußischer Uniform, das wirkt in einer Zeit, in der sogenannte Völkerschauen Afrikaner vorführten wie Tiere im Zoo, wie ein Wunschbild aufgeklärter Zeitgenossen. Ein Gegenentwurf vielleicht zur Kongokonferenz, die 1884/85 in Berlin die endgültige Aufteilung Afrikas unter den europäischen Nationen vorbereitete und die schließlich der Bevölkerung des Kontinents jegliche Autonomie raubte.

In den Kolonien war eine Verbindung zwischen Schwarz und Weiß verboten, ein Bild wie das "preußische Liebesglück" undenkbar, mehr als das: ein Verbrechen. Die noch neue sogenannte Rassenfrage, sie hatte dort bereits juristische Konsequenzen, ohne dass es im Deutschen Reich eine entsprechende gesetzliche Grundlage gegeben hätte.

Die ungewöhnliche Romanze zwischen einem Schwarzafrikaner und einer weißen Berlinerin

Es könnte also sein, dass der Maler Emil Doerstling politische Motive hatte, doch das ist unwahrscheinlich. Doerstling war bekannt für seinen Hang zu exotischen Sujets, eine politische Stellungnahme dürfte ihm fremd gewesen sein. Was also wollte er zeigen? Ein preußisches Paradies, das keine gesellschaftlichen Zwänge kennt? Dann wäre das Bild eine Art gemaltes Märchen. Doch der Mann in Uniform ist keineswegs eine Fiktion, er ist eindeutig zu identifizieren.

Wahrscheinlich war er der einzige Schwarze, der 1890 eine preußische Infanterieuniform trug: Gustav Sabac el Cher, Unteroffizier im Musikkorps des Füsilierregiments Nr. 35 "Prinz Heinrich von Preußen". Dem Historiker Gorch Pieken und seiner Kollegin Cornelia Kruse ist es zu verdanken, dass Sabac el Cher kein Unbekannter geblieben ist. Die beiden haben seine Geschichte recherchiert und 2007 veröffentlicht. Das Buch heißt wie das Gemälde: "Preußisches Liebesglück."

Gustav Sabac el Cher wurde 1868 in Berlin geboren, als Sohn des August Sabac el Cher und seiner Ehefrau Anna Maria Jung, beide lebten in der Wilhelmstraße 102, in einer Wohnung im Palais des Prinzen Albrecht. 70 Jahre später sollte dort Himmlers Reichssicherheitshauptamt der SS Quartier nehmen, heute, nach weiteren 70 Jahren, erinnert dort die "Topographie des Terrors" an den Rassenwahn der Nazis.

Gustavs Vater, August Sabac el Cher, kam als Kind an den preußischen Hof. Prinz Albrecht, jüngster Bruder des Königs Friedrich Wilhelm IV., hatte ihn 1843 von einer Reise mitgebracht, ein Geschenk des ägyptischen Vizekönigs. Natürlich war August ebenso wenig sein Name wie Sabac el Cher, arabisch für "Guten Morgen". Niemand machte sich die Mühe, einen achtjährigen Sklavenjungen aus dem Sudan nach seinem wirklichen Namen zu fragen. Dass Prinz Albrecht den Jungen mit nach Berlin nahm, war so ungewöhnlich nicht. Der Archäologe Karl Richard Lepsius brachte aus Abessinien ebenfalls einen schwarzen Jungen mit. Fürst Pückler kaufte ein Mädchen, das ihn fortan auf seinen Reisen begleitete und zu dem er eine sexuelle Beziehung unterhielt. Zwar gab es in Preußen formal keine Sklaverei. Aber was bedeutete das schon in einem Land, in dem gerade erst die Fabrikarbeit wenigstens für Kinder unter neun Jahren verboten worden war.

Schwarze waren selbst in der preußischen Provinz keineswegs so selten, wie das für ein Land ohne große Kolonialgeschichte anzunehmen wäre. Der Historiker Peter Martin, der für sein Buch "Schwarze Teufel, edle Mohren" die Geschichte der Afrikaner in Deutschland erforscht hat, fand allein in einer Kleinstadt wie Neuruppin für das 18. Jahrhundert den Hinweis auf vier dort lebende Menschen afrikanischer Herkunft. Sie lebten in einer Art rechtlichem Niemandsland. Es konnte ihnen passieren, dass sie als Besitz ihres Herrn verkauft, vererbt, sogar verspielt wurden, während etwa in Holland bereits 1649 festgestellt wurde, dass Sklaven innerhalb der Grenzen des Landes auch gegen den Willen ihres Herrn freizulassen seien. In Preußen versuchte ein "erkaufter Mohr" 1780 seine Freilassung gerichtlich zu erstreiten. Vergeblich, das Berliner Kammergericht sah sich mangels gesetzlicher Grundlagen außer Stande, "im Sinne des Mohren" zu urteilen. Immerhin, der Prozess warf die Frage auf, ob es nicht an der Zeit sei, das holländische Recht einzuführen.

August Sabac el Cher legte eine bemerkenswerte Karriere hin, wie sie eigentlich für seine Zeit nicht mehr typisch war. Der "Kammermohr" wie man ihn damals nannte, war im Grunde eine Erscheinung aus der Renaissance des 16., noch typischer aber in der barocken Prachtentfaltung des 17. und 18. Jahrhunderts. Doerstlings Gemälde beschwört also so etwas wie "die gute alte Zeit".

Nicht nur Könige und Fürsten wollten in früheren Jahrhunderten ihren Status und ihre Weltläufigkeit mit dem exotischen Äußeren ihrer Bediensteten unterstreichen. Wobei diese dabei so schwarz wie möglich zu sein hatten, wie es Isabelle d'Este formulierte. Die Renaissancefürstin war in Sachen Mode eine Autorität ihrer Zeit. Selbst minderbemittelte Adlige versuchten da mitzuhalten, wenn es ihr Vermögen irgend zuließ. Ihr aller Vorbild war wahrscheinlich Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen, der sich Mitte des 13. Jahrhunderts bei seinen Auftritten mit einer schwarzen Sarazenengarde umgab, auf diese Weise demonstrierte, wie turmhoch sein Status alle überragte.

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. und der Sklavenhandel

August Sabac el Cher begleitete seinen Prinzen auf Reisen, bis hin zu dessen Feldzug im Kaukasus als Verbündeter des Zaren. Gemälde zeigen den Diener orientalisch gekleidet mit einem roten Fez als Kopfbedeckung. Die Mission brachte August Sabac el Cher eine goldene Taschenuhr ein. Sieben Orden wurden ihm im Lauf seines Dienstes verliehen, zum Aufseher über das prinzliche Tafelsilber stieg er auf, eine Vertrauensstellung. Schließlich erhielt er die Heiratserlaubnis. Ob es Einwände gegen die Verbindung gab, ist nicht überliefert. In der feudalen Ordnung aber, in der August Sabac el Cher lebte, waren solche bürgerlichen Bedenken von geringer Bedeutung. Wer der königlichen Familie so nahestand wie er, war eine gute Partie. 200 Jahre zuvor hätte August Sabac el Cher am Hof sogar eine ganze Reihe schwarzer Kollegen gehabt. Friedrich Wilhelm I., genannt der große Kurfürst, stieg in den Sklavenhandel ein, erwarb sogar einen Stützpunkt im heutigen Ghana. Das Kurfürstentum Brandenburg mit seinen beschränkten Mitteln blieb aber ein kleines Licht in diesem schmutzigen Geschäft, machte sich dennoch der Verschleppung von mindestens 20 000 Afrikanern schuldig, wie der Historiker Ulrich van der Heyden schätzt. Ein Handel, an dem sich trotz der vergleichsweise toleranten Gesetzgebung daheim im großen Stil auch die Holländer beteiligten.

Nur zwei Generationen nach dem großen Kurfürsten war Brandenburgs koloniales Intermezzo schon wieder vorbei. Es rechnete sich nicht, die Stützpunkte wurden an die Holländer verkauft. Und auch für die Kammermohren hatte der "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. eine andere Verwendung. Sie wurden, wenn möglich, im Musikkorps seines Heeres eingegliedert.

Das entsprach der Militärtaktik jener Zeit. Truppen marschierten im Gleichschritt in großen Blöcken über das Schlachtfeld. Trommler gaben den Marschtritt vor, Trompeter übermittelten Signale. Diese Art der Militärmusik, schreibt der Historiker Peter Martin, haben die europäischen Armeen den Türken abgeschaut. Die Preußen nannten ihr schwarzes Musikkorps folgerichtig nach dem Vorbild der türkischen Elitetruppe die Janitscharenkapelle. Die Kaserne des Korps lag in der um 1700 neu errichteten Friedrichstadt. Der Name Mohrenstraße soll auf die Truppe zurückgehen, wie Martin recherchiert hat. Eine Namensgebung, gegen die sich heute immer mal wieder Protest erhebt. Verschiedene afrikanische Organisationen regten schon an, die Straße umzubenennen, etwa nach Nelson Mandela.

Gustav Sabac el Cher, der Mann auf dem Gemälde im DHM, trat sozusagen das Erbe dieser Kapelle an. Und wie für seinen Vater gilt auch für ihn, solch eine Karriere ist zu dieser Zeit, der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, eigentlich schon untypisch. Doch die Hohenzollern hielten an der feudalen Ordnung und den damit verbundenen Traditionen fest. Sabac el Cher blieb kein Einzelfall. Ein Schwarzer trug beim Ersten Garderegiment den Schellenbaum der Truppe voran, bei den Husaren in Münster haute der Kameruner Wilhelm Sambo, ein Patensohn Kaiser Wilhelms, auf die Pauke, beim neumärkischen Grenadierregiment zu Pferde der Gefreite Mambo. Aber es gab auch Kommentare mit rassistischem Unterton: "Die Einstellung eines schmutzigen Niggers in die Armee ist nicht nur im höchsten Grade bedauerlich und bedenklich, sondern sogar skandalös", hieß es 1909 in der "Deutschen Tageszeitung".

Ob Gustav Sabac el Cher solchen Anfeindungen ausgesetzt war, ist nicht bekannt. Es spricht aber einiges dafür, dass ihm ein glücklicheres Los beschieden war. Zunächst wenigstens. Gorch Pieken hat in Gustavs Nachlass Fotos mit Widmungen von Kameraden gefunden, die ihm offenbar wohlgesinnt waren. Aus Königsberg ist eine Episode überliefert, die ihn als Frauenschwarm schildert, ein eleganter Tänzer und populärer Kapellmeister, der schließlich seine Liebe fand. Gertrud Perling, Lehrerstochter in Königsberg, ist zwar nicht die Frau auf dem Gemälde von Emil Doerstling, aber 1901 heiratete sie ihren "lieben Gustav", wie sie selbst auf ein Foto schrieb.

Als Obermusikmeister verließ Gustav Sabac el Cher 1909 den Militärdienst

Gustav, der die Musikhochschule in Charlottenburg absolviert hatte, wurde eine Berühmtheit. Er spielte vor dem Kaiser und dem Zaren, vor Königen und dem Kronprinzen. Doch 1909 schied der königliche Obermusikmeister nach 24 Jahren Dienst aus. Wohl nicht, weil Stimmen wie in der "Deutschen Tageszeitung" das forderten, eher aus gesundheitlichen, wahrscheinlich aber aus finanziellen Gründen. Als selbstständiger Kapellmeister hatte er bessere Verdienstchancen. Die brauchte er auch, das Paar hatte inzwischen zwei Kinder.

Seine Karriere ging auch zivil weiter, sogar im noch jungen Rundfunk spielte er in den 20er Jahren auf. Schließlich erwarb er 1930 eine Gaststätte in Senzig bei Königswusterhausen. Das Geschäft soll gut gegangen sein. Doch im Sommer 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt der Nazis, musste er das Lokal schließen. Die Gäste sollen ausgeblieben sein, vielleicht, weil sie sich nicht mehr im Haus eines Schwarzen zeigen wollten. Für den kaisertreuen Sabac el Cher muss das besonders bitter gewesen sein, stand er doch dem "Stahlhelm", einem radikal-konservativen Bund ehemaliger Frontkämpfer, sehr nahe und den Nazis keineswegs feindlich gegenüber. Er starb 1934, mit 66 Jahren. Der Kaiser kondolierte schriftlich aus seinem holländischen Exil.

Gustavs Sohn Horst Sabac el Cher übrigens wurde als "Mischling zweiten Grades" von den Nazis bei Kriegsbeginn für "wehrfähig" erachtet. Im Januar 1943 wurde er im Nordkaukasus als vermisst gemeldet. Nicht weit von jenem Ort, an dem sich sein Großvater rund 80 Jahre zuvor in Diensten des Prinzen Albrecht eine goldene Uhr verdient hatte. Er tauchte nie wieder auf.

Horst hatte keine Kinder, aber sein Bruder Herbert. Die Geschichte der Sabac el Chers ging also weiter. Familienältester ist heute Axel Sabac el Cher, 1939 geborener Enkel von Gustav. Am 1. Februar wird er voraussichtlich im Berliner Amerikahaus an einer Diskussion teilnehmen, im Rahmen des Black History Month.Was empfand Axel Sabac el Cher, als er dieses Bild im Deutschen Historischen Museum sah? Nun, überrascht sei er gewesen, den eigenen Großvater in einer Ausstellung über die Geschichte der Deutschen zu sehen. Aber auch stolz auf den Vorfahren, der sich diesen Rang erarbeitet hat.

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