zum Hauptinhalt
Daum

© dpa

Christoph Daum im Interview: "Ich tauge nicht für den diplomatischen Dienst"

Er ist hoch geflogen. Und tief gestürzt. Nun kämpft sich Christoph Daum beim 1. FC Köln zurück. Geläutert? Zumindest nicht diplomatisch.

Mittagspause beim 1. FC Köln. Es ist 12 Uhr. Nach und nach kommen die Profis in den ersten Stock des Geißbockheimes, gehen nicht durchs Lokal, sondern, wie Hausrecht genießend, hinter dem Tresen her in den abgetrennten Raum zum gemeinsamen Mahl. Jetzt ist die Stimmung entspannt, kurz zuvor, als der Spieler Alpay aus der Kabine trat, hatte er noch einen Journalisten angeschnauzt: „Shut up!“ Man ist multikulti beim FC, und man ist ein wenig nervös. Denn gefühlt ist der FC Champions- League-Sieger, realiter aber nur Sechster der Zweiten Liga. Und damit Gefühl und Wirklichkeit mal wieder in Einklang kommen, haben sie einen Mann geholt, der berühmt ist in Fußballdeutschland, und berüchtigt. Aufgestiegen, hoch geflogen. Gestürzt, tief gefallen. Und nun gerne wieder groß: Christoph Daum. Wie er ist als Trainer, ist oben zu sehen, zweites Bild von links: frenetisch, fanatisch, obsessiv. Irre, sagen viele. Gerade hat Daum seine Lebensgefährtin Angelica Camm geheiratet – im Mittelkreis des Kölner Stadions. Dann kommt er, im Gefolge der Pressesprecher des Klubs, Christopher Lymboropoulos, beide im Anzug, Daum entspannt, herzlich, mehr weltläufig als FC. Und wo ist der flackernde Blick?

Herr Daum, vor knapp einem Jahr sind Sie nach sechs Jahren Abwesenheit zurückgekehrt in den Fußball Deutschlands. Was hat sich für Sie verändert nach der Zäsur?

Welche Zäsur meinen Sie? Die erste Zäsur war 1990, nach meiner ersten Entlassung hier beim FC. Dann gab es eine Zäsur nach meinem ersten Auslandsaufenthalt. Dann gab es den Vorfall im Jahr 2000, und der hat mich schon schwer getroffen. Dann kam wieder die Türkei, Wien, noch einmal die Türkei. Und jetzt die nächste Zäsur, nämlich die, dass ich hier, zurück in Deutschland, in der Zweiten Liga angefangen habe.

Sie meinen, der große Schnitt war nicht die Rückkehr nach Deutschland, sondern der Rückschritt in die Zweite Liga?

Richtig. Ich hatte Angebote von Klubs, die um die oder in der Champions League spielten. Vom Verstand her hatte ich längst abgesagt. Aber vom Herzen her nicht. Ich wusste, der FC ist krank, schwer krank, und ich habe die Medizin, ihn wieder gesund zu machen. Das ist wie bei einem Kind, das krank ist und dem man hilft.

Puh, Herr Daum. Was waren denn das für tolle Angebote, die Sie ausgeschlagen haben?

Sie glauben mir nicht, oder? Ich hänge an dem Verein, ich bin in dieser Stadt aufgewachsen, das zählt schon auch. Angebote? Hören Sie zu, ich sag es Ihnen, da war ein Verein, aber das schreiben Sie jetzt nicht …

... nachdem Christoph Daum jahrelang im deutschen Fußball gleichermaßen polarisiert und Erfolge hatte wie kaum ein Zweiter, sollte er im Jahr 2000 Bundestrainer werden. Gerüchte um seinen Kokaingebrauch, eine karnevaleske Pressekonferenz inklusive einer Lüge samt entlarvender Haarprobe plus einem spektakulären Prozess, der einem Promi-Scheinprozess glich und an dessen Ende zwar eine Geldstrafe, aber im Hauptvorwurf ein Freispruch stand, verhinderten den Aufstieg in den fußballerischen Olymp. Vorher leidlich anerkannt im deutschen Fußball, war Daum seitdem Persona non grata.

Das stimmt nicht. Ich war in all den Jahren immer hier präsent. Das Haus war hier, die Freunde waren hier, ich wurde zu Veranstaltungen eingeladen, ich war in den Medien.

Und als Sie hier in Köln anfingen, sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger sinngemäß, dass Sie erst einmal den Benimmbeweis antreten müssten.

Ich gebe zu, ganz passend fand ich das auch nicht. Ich sage dazu aber nicht mehr.

Nicht ganz passend? Es waren sechs Jahre vergangen nach einer Affäre, die juristisch keine war. Nicht ganz passend? Ein bisschen Kreide haben Sie schon gefressen, oder?

Wenn es der Sache dient, gerne. Dass ich immer einen Malus bekommen werde, ist klar. If you want to be everybody’s darling, you are everybody’s depp, so ist das eben. Ich weiß, dass ich nicht für den diplomatischen Dienst tauge.

Sie haben es mal wieder bewiesen, als sie vor zwei Wochen nach dem Auswärtsspiel in Aachen aufs heftigste, aber wohl auch aufs lächerlichste den Schiedsrichter attackierten. Sie können wohl nicht anders.

Das war eine sehr bewusste Aktion. Ich musste irgendetwas tun, damit die Mannschaft nicht in ihrem Frust stecken bleibt. Wir waren die bessere Mannschaft gewesen, haben aber kein Tor erzielt, nur eins, dem die Anerkennung verweigert wurde. Ich habe bewusst in Kauf genommen, dass ich dafür attackiert werde. Dass es dann gleich zwei Spiele Sperre wurden …

… eine Sperre mit strengen Auflagen. Während des Spiels und 30 Minuten davor und danach, durfte Daum keinen Kontakt zu Spielern oder Assistenztrainer haben. Christoph Daum hebt ein wenig die Schultern, hebt die Hände, man könnte das interpretieren, als wolle er sagen, „tja, so ist der DFB eben“. Aber er sagt es nicht. Die Schiedsrichterattacke bekam noch einen Nachschlag. Beim nächsten Spiel, Daum saß hoch oben im Stadion in einer VIP- Lounge …

… ich habe Zeugen, dass ich keinerlei Kontakt hatte, ich wusste, dass ich unter besonderer Beobachtung stehe, ich bin ja nicht einmal auf die Toilette gegangen …

… sagte Assistenztrainer Roland Koch in der Halbzeitpause in laufende Kameras, dass es einen kurzen Kontakt zu Daum gegeben habe.

Das war ein Versprecher. Wir arbeiten seit 20 Jahren zusammen, das ist ein eheähnliches Verhältnis. Wir haben immer Kontakt, auch wenn wir in diesem Moment keinen hatten.

… nun gut, auf jeden Fall ermittelte der DFB. Koch muss 6000 Euro Strafe zahlen.

Herr Daum, der DFB macht wegen so einer Lappalie ein Fass auf. Sie glauben wirklich, dass der Verband bei einem anderen Trainer ähnlich rigoros vorgegangen wäre?

Das möchte ich schon glauben wollen. Alles andere widerspräche meinem Rechtsempfinden, widerspräche wohl auch der Rechtsprechung und nicht zuletzt der Fairness. Ich versichere Ihnen, diese Attacke auf den Schiedsrichter wird eine einmalige Aktion bleiben.

Nein, das kann man nicht glauben.

Erinnern Sie sich an die vergangene Saison. Schon da kamen nach drei Spielen die Schiedsrichter zu mir und entschuldigten sich für Fehlentscheidungen. Bei einem Spiel, dem in Karlsruhe, ging es für uns noch um den Aufstieg. Die anderen waren nicht mehr so wichtig. Aber was heißt wichtig? Da ging es auch um die Platzierung, Platz 5 oder Platz 9, das sind schon ein paar hunderttausend Euro Unterschied bei den Fernsehgeldern. Und haben Sie mich da toben sehen?

Sie sind also tatsächlich ruhiger geworden?

Ich bin hier in Köln schon kritisiert worden, dass ich zu ruhig sei am Spielfeldrand. Doch, ich bin souveräner, älter, besonnener geworden, abgeklärter.

Auch skeptischer?

Total skeptisch. Ich reagiere nicht mehr so leicht, nicht auf Schulterklopfer, nicht auf Kritiker. Ich werde nicht kuschen, ich bin ja grundsätzlich kein anderer Mensch geworden. Aber wenn ich mal wieder von irgendjemandem kritisiert werde, meist von solchen, die mich nicht kennen, ja bitte, wir haben Presse- und Meinungsfreiheit in diesem Land.

Sie sind ja nachgerade nachsichtig geworden, die Nächstenliebe in Person.

Die ist ja auch ein großes Gut. Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, meine Prioritäten haben sich nach dem Sündenfall schon sehr verändert. Ein Beispiel: Mein großer Sohn ist jetzt zum Studium in die USA gegangen, nach Orlando. Früher hätte ich dort einen Freund angerufen, der hätte ihn am Flughafen abgeholt und alles organisiert. Heute habe ich gesagt, nein, das mache ich schon alles selber und bin mit ihm geflogen.

Haben Sie sich den Sündenfall verziehen?

Ich denke ja. Aber das hat lange gedauert. Drei, vier Jahre bestimmt. Ich wollte immer perfekt funktionieren, und das habe ich vor und während der Affäre ja nun nachweislich nicht getan. Mein gesamtes Koordinatensystem war durcheinander.

... das Gespräch dauert nun schon eine Stunde. Und wo ist der flackernde Blick? Nicht ein einziges Mal rasen Daums Hände wie früher über den Tisch. Einst war Daums Sprechtempo ein Stakkato, der ganze Mensch war ein Stakkato, davon scheint wenig geblieben zu sein.

Sie backen kleinere Brötchen?

Was meinen Job hier beim FC angeht, kann man das wohl so sagen. Auch wenn dieser Job hier der schwerste Trainerjob ist, der in Deutschland zu vergeben ist. Früher bin ich in Feinkostläden einkaufen gegangen, um Spieler zu holen, heute muss ich auf den Markt.

Das ist das Los eines Zweitligisten. Ist eine Überqualifikation das Problem? Der Präsident, Wolfgang Overath, hat die glorreiche Vergangenheit gestaltet, der Manager, Michael Meier, mit Borussia Dortmund die Champions League gewonnen, und Sie haben fünf Landestitel gewonnen in Deutschland, der Türkei und Österreich.

Überqualifikation ist nie ein Problem. Es hat eine Zeit gebraucht, bis wir alle in der Zweiten Liga angekommen waren, das stimmt. Der Anfang war extrem schwierig, es gab hier eine Menge Strukturen, die verbesserungswürdig waren, in der Mannschaft, im Umfeld, aber auch in der Stimmung und der Selbsteinschätzung. Da waren doch einige noch sehr stark in der Vergangenheit hängen geblieben. Und ich hatte von der Zweiten Liga nicht den blassesten Schimmer. Die Bundesliga, die habe ich immer verfolgt, auch in der Türkei, aber die Zweite Liga habe ich mir nicht auch noch angetan.

Dann kam der Kulturschock. Obwohl Sie doch als Messias gekommen waren. „Habemus Daum“ hatten Fans bei Ihrem Arbeitsantritt auf ein Transparent geschrieben.

Und da bin ich am Abend nach Hause gekommen und habe zu meiner Frau gesagt, dass ich eigentlich sofort wieder aufhören müsste. Weil die Erwartung kein Mensch erfüllen kann. Es kam ja dann auch, wie es kommen musste. Ich habe mich mit der Mannschaft, die ich hier vorgefunden habe, nicht identifizieren können, und mit Handauflegen ist es nicht getan. Ich habe die Mannschaft hart kritisiert und bin auf große Distanz gegangen.

Wo geht die Reise nun hin?

Nach oben, in die Erste Liga. Es kommt jetzt darauf an, sich auf einem der ersten drei Plätze festzusetzen. Und dann hier die Erwartungshaltung: Im nächsten Jahr sollen wir einen einstelligen Tabellenplatz erreichen und ein Jahr darauf einen Platz für die internationalen Wettbewerbe.

Da klingt ja doch noch die alte Bescheidenheit an. Der 1. FC Köln wird sich verstärken müssen.

Meinen Ehrgeiz und meine Spontaneität habe ich nicht verloren. Natürlich müssen wir uns verstärken. Ich brauche für die nächste Saison eine erheblich größere Summe, sonst wird das nichts.

Herr Daum, dass schlechte Trainer auch mal Erfolg haben können, das kennt man. Kann ein guter Trainer langfristig erfolglos sein?

Vor der Langfristigkeit setzt man sich zusammen und entscheidet darüber, ob man noch zusammen passt. Ich kenne den Weg zum Erfolg, ich weiß, was die Voraussetzungen dafür sind. Die müssen geschaffen werden.

Der Termin wird bei Ihnen am Ende der Saison sein.

Ja. Und wenn es nicht passt, muss man es eben beenden. Dem FC wird dadurch kein Nachteil erwachsen. Mir geht es dann nicht um eine Abfindung. Dann hätten wir es versucht, und es hätte eben nicht geklappt. Aber wir werden es schaffen, wir werden aufsteigen, auch mit diesem Kader.

Und Ihr persönliches Ziel, was wünschen Sie sich noch?

Das Gleiche, was ich mir mit dem FC wünsche. Und dann strebe ich das Ziel an, das ich mit Bayer Leverkusen schon nahezu erreicht hatte: eine Mannschaft, der man ansieht, dass sie von Christoph Daum trainiert wird. Diese Mannschaft spielt ein schnelles und frühes Pressing, sie mit hohem Tempo in die Spitze, viel über die Flügel, attraktiv, technisch ausgezeichnet und erfolgreich. Mit Galatasaray war ich auch fast so weit, wir sind mit 83 Punkten Meister geworden, mit fast 100 Toren, ich glaube, das hat es in Deutschland noch nicht gegeben.

Was Sie anstreben klingt nach dem FC Bayern München des Jahres 2007.

Wir sind der 1. FC Köln. Wir haben unsere eigene Philosophie.

Gibt es den Motivator Daum noch? Der, der Spieler über Glasscherben laufen lässt, der Geldscheine an die Kabinentüre nagelt oder einen Adler mitbringt?

Ich habe so etwas lange nicht mehr gemacht. Aber wenn es auf diesem Gebiet etwas Neues gibt, was Erfolg verspricht, dann bin ich dabei. Schließlich sind meine damals belächelten Methoden heute Alltag in der Liga.

Die neuen Wege, das war mal Ihr Markenzeichen.

Ja, und das war Teil eines der gigantischsten Werbekonzepte, das ich mir vorstellen kann. Sensationelle Fotos waren das damals. Ich in Schottland in einem Gebirgsfluss, mit einem Kind auf dem Arm. Oder ich in London in einem Irrgarten, aus dem ich den Ausgang finde. Ich beim Weichenstellen, oder vor einer Mauer, die ich einschlage. Das war großartig, und die Arbeit mit den besten Fotografen der Welt war es auch. Na ja, aber das habe ich mir ja dann selber verbockt, das tut mir heute noch weh.

Aber so sehen Sie sich schon noch: als Weichensteller, als Lotse, als der Mann, der Hindernisse überwindet oder ausräumt?

So sehe ich mich immer, bis an mein Lebensende.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false