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Monika Ertl

© Patmos Verlag

Geschichte: Die Frau, die Che Guevara rächte

Zwei Welten: Als junges Mädchen lebte sie unter Altnazis in Bolivien. Dann wurde Monika Ertl Revolutionärin - und einsame Mörderin.

Ist das Herz ein einsamer Jäger? Wäre als Frage kein so schlechter Einstieg in diese nun folgende Geschichte. Wäre ohne Fragezeichen ein überraschender erster Satz. Würde zumindest neugierig machen. Wie wichtig zum Anfang eines Textes die Melodie ist, der verblüffende Klang der Wörter, um Leser zu bezaubern und zu verführen, weiß jeder gute Reporter. Jürgen Schreiber beherrscht auch das Handwerk der Recherche, pflegt den journalistischen Dreisatz Trau, schau wem. Was bedeutet, nichts ungeprüft zu glauben, nur weil es sich überzeugend anhört und unglaublich liest.

Das Herz ist ein einsamer Jäger. Keine Frage, Punkt. Wäre als Einstieg zwar immer noch gut, ist aber nur geklaut. Genau so nämlich lautet der Titel eines 1940 erschienenen Romans der damals 23-jährigen Carson McCullers. Auch wer das Buch nie gelesen hat – was ganz unter uns unverzeihlich ist – hat eigene Erfahrungen mit jenem einsamen Jäger, und deshalb berührt ein solcher erster Satz das Herz. Schreiber dagegen fühlt mit dem Kopf. Sein erster Satz in seinem Faktenthriller ist aber dennoch ziemlich gut: „Der Rache ist kein Weg zu weit“. Sofort möchte man wissen: Warum? Wohin? Wer führt sie aus? Wen wird sie treffen?

Und der Autor hat seine Leser gefangen. Die schieren Fakten dieser deutschen Biografie, die mit Monika Ertls Geburt am 7. August 1937 in München begann und am 12. Mai 1973 in einer nächtlich verlassenen Straße in einem Kugelhagel in La Paz endete, sind zwar bekannt. Aber der unbeirrbare Rechercheur Schreiber hat bei seiner Spurensuche im Fall Monika Ertl nicht nur vieles entdeckt, was für immer auf Friedhöfen oder in Archiven oder bei verschwiegenen Zeitzeugen begraben zu sein schien, er hat als Detektiv, dessen Fähigkeiten man bei journalistischen Ermittlungen eben auch braucht, viele lose Fäden zu einem roten Faden verbunden.

Wer ihm bei der Reise in die Vergangenheit und zu den Überlebenden folgt, hat lesend mitunter das Gefühl, Schreiber habe zu oft das Wort ICH gebraucht, sich auf einen Egotrip begeben, höchst eigene Ein- und Aussichten für ebenso wesentlich gehalten wie das, was er kühl besichtigen wollte. Eitelkeiten also? Eher nicht. Er braucht auch dünnes Eis, auf dem er Pirouetten drehend um sich selbst kreist, er benutzt diese zweite subjektive Ebene als Stilmittel, um die Spannung zu erhalten, Lücken zu füllen, nicht nur aus Indizien, sondern auch aus Vermutungen ein Gebäude zu errichten.

Betonharte Fakten jedoch sind sein Fundament. Monika Ertl, behütet aufgewachsen in Bayern, dann als junges Mädchen mit Vater, Mutter und Schwestern ausgewandert nach Bolivien, ist die gebrochene Heldin der Geschichte. Sie hat zweimal gelebt. In La Paz war sie die zu schönsten Hoffnungen berechtigende Tochter des Dokumentarfilmers Hans Ertl, einst ein wagemutiger Alpinist und kreativer Kameramann für Leni Riefenstahls Olympiafilm, bis zum Ende Kriegsberichterstatter für die propagandistische Wochenschau der Nazitäter. Ihr zweites Leben begann 1969, dauerte aber bis zu ihrem Tod nur vier Jahre, nachdem sie sich der nationalen Befreiungsarmee Boliviens verschrieben hatte.

Da im Untergrund der Diktatur ist sie nicht die Einzige mit deutschen Wurzeln. Tamara Bunke aus der DDR, Deckname „Tanja“, so alt wie Monika Ertl, angeblich mal eine Geliebte des leidenschaftlichen kubanischen Revoluzzers Ernesto Guevara, den sie Che nannten, erschossen im August 1967, gehörte auch zur ELN (Ejército de Liberación Nacional). Ihr charismatischer Macho-Leader Che wurde wenige Monate nach Tanjas Tod gefangen und vor Ort im Urwald auf Befehl des bolivianischen Präsidenten exekutiert. Zurück blieb danach ein Haufen Desperados, gejagt von der Militärjunta, verraten von denen, die sie befreien wollten. Dass es mehr geben musste in ihrem Leben als das, was ihr bisher als Frau gestattet war, ahnte Monika Ertl wohl schon lange. Zunächst aber schien sie in der Rolle der starken Tochter Ertls widerspruchslos aufzugehen. Weil sie das überzeugend verkörperte, war sie sogar vorbildliches Covergirl einer Illustrierten im heimatlichen München. Ertl hätte wohl lieber einen Sohn an seiner Seite gehabt. Von seinen Töchtern kam Monika diesem Wunsch am nächsten. Im Urwald stand sie ihren Mann.

Erst nach einer gescheiterten Ehe mit einem staatstreuen Langweiler, in der Liebe und Sex nicht mal Utopie blieben, sondern real dahinvegetierendes Desaster waren, brach sie mit allem, was bisher ihr Leben bestimmte. Sie schloss sich erst heimlich der ELN an, dann unheimlich naiv. Denn spätestens, als sie bei einem Banküberfall den Fluchtwagen steuerte, wofür sie ihren eigenen Straßenkreuzer benutzte, was der Polizei nicht verborgen blieb, war sie eine Outlaw, musste fliehen. Wohin? Kuba, zu Fidel Castro. Auch nach Chile, wo Salvador Allende regierte. Sichere Häfen.

Ihre Flucht war auch die Flucht vor der Welt des Vaters. Schreiber lässt in der Interpretation des Konflikts seiner nachgetragenen Fantasie freien Lauf. Die dritte nützliche Eigenschaft eines Journalisten, im Bedarfsfall Psychologe zu sein, erhebt er hier zum Prinzip. Immer jedoch deutlich erkennbar trennend zwischen dem, was er belegbar weiß, und dem, was er nur vermuten kann, weil es keine Belege gibt. Etwa zur gleichen Zeit, Ende der sechziger Jahre, befreien sich lautstark auch 11 000 Kilometer entfernt in Deutschland aufmüpfige Kinder von ihren autoritären Vätern, den treuen und nicht nur verführten Söhnen der Nazis.

Hans Ertl war kein NSDAP-Mitglied, aber die Anerkennung der Herrschenden genoss er stolz. Die fehlte ihm nach 1945. Auch deshalb wanderte er in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit seiner Familie nach Bolivien aus. In der südamerikanischen Diktatur konnte er auf ihm gleich Gesinnte der in Deutschland untergegangenen Art bauen. Mittelpunkt der Nazigemeinde in Bolivien, wo über die sogenannte Rattenlinie dank der Fluchthelfer von O.D.E.S.S.A (Organisation ehemaliger SS-Angehöriger) viele hochrangige Schreibtischtäter lebten, war Klaus Barbie, auch Schlächter von Lyon genannt, weil er während der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen nicht nur zu morden befohlen, sondern liebend gern auch selbst gemordet hatte. Fürs bolivianische Innenministerium bildete er jetzt die Agenten aus, die Guevara jagen sollen. Für das Mädchen Monika, katholisch erzogen, Golfspielerin, Kameraassistentin des Vaters bei seinem Urwalddokumentarfilm „Hito-Hito“, war er der vertraute „Onkel Klaus“. Ihr Versuch gemeinsam mit Regis Debray, ihn 1972 nach Chile zu entführen, wird scheitern. Ob sie aber überhaupt dabei war, ist fraglich. Erst 1983, nach dem Ende der Diktatur, wurde der Verbrecher nach Frankreich ausgeliefert, dort zu lebenslanger Haft verurteilt, in der er 1991 starb und endlich zur Hölle fuhr.

Monika Ertl muss sich ab 1969 verstecken, sie wird in Bolivien gesucht. Ein internationales Netzwerk verbohrter Maoisten, revolutionstrunkener Träumer, schießwütiger Fanatiker, fern der proletarischen Massen, die sie vom Joch des Kapitalismus befreien wollten, bald selbst schuldig werdende Kinder eines schuldig gewordenen Bürgertums, helfen klandestin. Einer ihrer Helden ist der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der sich selbst in die Luft sprengen wird, weil bei einem Anschlag sein Dynamit zu früh explodiert. Monika Ertl kannte ihn. In Zürich, Ziel aller möglichen Anarchisten, seit Lenin auf dem Bahnhof dort seine Fahrt zur Weltrevolution begann, haben sie sich getroffen. Von ihm stammt auch die Waffe, mit der sie ihre Rache vollstreckt. Von Zürich aus fährt sie nach Hamburg zur Vorbereitung des Mordes, durch den Imilla, wie sie jetzt heißt, am 1. April 1971 berühmter wird, als es ihr Vater je war. Morgens um 9 Uhr 50 erschießt sie Roberto Quintanilla Pereira, einen der brutalsten Geheimdienstler Boliviens, der nach Guevaras Hinrichtung befohlen hatte, als Trophäe dem Toten beide Hände abzuhacken. Als Generalkonsul seines Landes an der Elbe wähnte er sich aus der Schusslinie. Ein tödlicher Irrglaube.

Fortan gilt Imilla bei denen, die an Gerechtigkeit nicht erst im Himmel und auf Erden an die Weltrevolution glauben, als Che Guevaras Rächerin. Das erhebt sie zur Legende und für die Junta in Bolivien zum Staatsfeind Nummer eins. Zwei Jahre später, am 12. Mai 1973, wird sie in La Paz von Sondereinheiten in einen Hinterhalt gelockt und erschossen. Ähnlich wie das Foto von Che Guevaras Leichnam, das die Mörder als Zeichen ihres Sieges präsentieren, seine Jünger aber an Jesus erinnert und deshalb zu deren unsterblicher Ikone wird, brennt sich das Bild der aufgebahrten toten Monika Ertl in die kollektive Erinnerung. Bestückt mit diesen Fakten, gedruckt in Zeitungen und Illustrierten, 1988 aufbereitet in Christian Baudissins Dokumentarfilm „Gesucht: Monika Ertl“, hat sich Jürgen Schreiber erneut auf Spurensuche begeben. Drehte jeden Stein um auf seiner Reise und entdeckte dabei auch, was unter den scheinbar offenliegenden Fakten lange verborgen lag.

Er beginnt die Geschichte nach jenem ersten Satz, dass der Rache kein Weg zu weit sei, mit dem Mord am bolivianischen Generalkonsul in der Heilwigstraße 125 in Hamburg, erster Stock rechts, auf dem Fidel Castros Fluch lastet, „jeden zu vernichten, der die Exekution seines Blutsbruders Che zu verantworten hat“.

Trifft den Mann, inzwischen ein hanseatischer Herr um die siebzig, der ihm in vielen Gesprächen die Situation in der damaligen Apo-Hochburg schildert, wo das linksliberale Bürgertum nächtens mit künftigen RAF-Terroristen und blauäugigen Kommunarden ein Tänzchen wagte.

Der Konfident, der aber ihm nie alles erzählt, was er weiß, gehörte zu den Spielern auf dieser vorrevolutionären Bühne. Nicht zu erwähnen vergisst der würdig gewordene Informant eine blaue Umhängetasche der Firma Leder-Schüler. Von der wissen die den Mord untersuchenden Kripobeamten des Kommissariats 42. Auf der Flucht ist sie Monika Ertl von Quintanillas Frau entrissen und anschließend wie auch das Bekennerschreiben „Sieg oder Tod“ im Treppenhaus gefunden worden. So steht es in den Protokollen der Spurensicherung, so verzeichnet in den Skizzen vom Tatort – Material, das Schreiber benutzte. Aber von dem Indiz weiß auch Schreibers Gesprächspartner, weil er sich nach dem Mord, der in Zeitungen und Magazinen detailliert beschrieben worden war, daran erinnert, dass „eine seiner Bekannten“ eine solche Tasche gekauft hatte. Das war Monika Ertl. In ihr trug Imilla an jenem Hamburger Aprilmorgen den Colt Cobra 38 Spezial, die Tatwaffe. Angemeldet hatte sie sich im Konsulat als Reiseleiterin, die für ihre Gruppe Visafragen für Bolivien klären wollte. Das schien dem ehemaligen Geheimdienstmann, der aufgrund seiner mörderischen Vergangenheit bei Anrufen von Fremden misstrauisch hätte sein müssen, ein verständliches Anliegen. Er kannte nicht die Zeilen in einem Gedicht Monika Ertls, wie sollte er auch. Sie lauten: „Quintanilla, Quintanilla. Du wirst in deinen Nächten keinen Frieden mehr finden“.

Was Schreibers Buch ( Jürgen Schreiber: „Sie starb wie Che Guevara“, 288 Seiten mit vielen Fotos, Verlag Artemis & Winkler, 19,90 Euro) zu einem Thriller macht, ist nicht nur die Genauigkeit seiner Recherchen im Fall mit dem Aktenzeichen 141 Js 527/71. Er weiß sogar zu erzählen, dass die Mächtigen vom „Spiegel“ den klein- und großbürgerlichen revolutionären Spießern der Kommune Schlüterstraße 54 a 11 000 Mark dafür bezahlten, dass sie für ein Cover des Magazins die Büste von Mao benutzen durften, die in der Wohnung zwecks Anbetung durch anwesende Jünger und Jüngerinnen aufgestellt war. Was er nicht belegen kann, stellt Schreiber infrage. Auch sich. Könnte es so gewesen sein oder eher nicht? War der Mord am Konsul der nachgetragene Mord am Vater? Ist die Tat verständlich, gar akzeptabel, weil Monika Ertl im übertragenen Sinne alle Faschisten tötete, damit auch den Nazischlächter Onkel Klaus? Oder war es eher die leidenschaftliche Rache einer Frau, deren große Liebe auf Befehl des Mannes, den sie mit drei Schüssen niederstrecken wird, ermordet worden war? Schreiber nähert sich zwar witternd jeder Wahrheit, aber umschleicht sie gleichzeitig misstrauisch hinterfragend. Und hat endlich auch eine Erklärung dafür, wie verdammt noch mal die Mörderin entkommen konnte. Knapp fünf Minuten nach der Tat war doch schon die Polizei, alarmiert durch Nachbarn, die Ertls Schüsse gehört hatten vor dem Haus eingetroffen. Durch die Gärten hätte sie auch nicht ungesehen abhauen können. Dennoch keine Spur von ihr. Nur eine Perücke. Eine Brille mit Fensterglas. Und jene Tasche. Wo also hatte sie sich versteckt?

Eigentlich ist die Lösung einfach. Eigentlich. Was könne man durch die Lektüre der Pater-Brown-Krimis von Chesterton lernen, wird Schreiber von seinem merkwürdigen Gesprächspartner gefragt, jenem Hanseaten mit der begrabenen Vergangenheit eines Kommunarden. Dass man einen Baum am besten da versteckt, wo schon viele Bäume stehen. Im Wald.

In der Heilwigstraße 125 wohnte in einem Stockwerk über dem Konsulat eine Kommune, was damals noch nicht WG hieß. Dahin kamen Tag oder Nacht viele, und wenn einer den anderen nicht kannte, war das nur normal, weil es zum Lebensstil gehörte. Wo also hat sich Monika Ertl so lange verborgen, bis die Polizei die Suche in der Gegend aufgegeben hat und an die Grenzen verlegt? Genau dort, wo viele Bäume standen.

Und wo ist sie begraben? Das weiß bis zu seinem eigenen Tod im Jahr nicht mal ihr dann 92-jähriger in Schwermut auf seiner Farm „La Dolorida“ versunkener Vater. Die Junta ließ den Leichnam irgendwo verscharren. Auf dem deutschen Friedhof von La Paz steht nur ihr Name auf dem Grabstein, der an ihre Mutter erinnert.

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