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Olympia-Attentat 1972: Ließ sich die damalige Bundesregierung einschüchtern?

Am heutigen Mittwoch jährt sich das Olympia-Attentat von München zum 40. Mal. Nach Medienberichten soll die damalige Bundesregierung bald danach gute Kontakte zum Umfeld der palästinensischen Terroristen gesucht haben. Wie bewerten Historiker die Vorwürfe?

Von Hans Monath

Im Rückblick war Hans-Dietrich Genscher durchaus zufrieden damit, wie die Welt das Krisenmanagement der Deutschen nach dem Überfall auf das Olympiadorf bewertete. Schließlich hatte der Innenminister der Regierung Brandt/Scheel selbst Mut gezeigt und sich zum Austausch gegen die israelischen Geiseln angeboten. Zwar starben neun Israelis, fünf der acht Terroristen und ein deutscher Polizist beim gescheiterten Befreiungsversuch auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck. Doch wenige Tage später, so urteilt Genscher in seinen Memoiren, „setzte sich im In- und Ausland der Eindruck durch, dass wir alles Erdenkliche und Mögliche getan hatten“.

Zumindest die Israelis gewannen einen völlig anderen Eindruck, wie jetzt in Jerusalem freigegebene Akten belegen. „Inkompetenz und Gleichgültigkeit“ warf der damalige Mossad-Chef den deutschen Behörden in einem Bericht vor, sie hätten die Sache wegen der Olympischen Spiele schnell hinter sich bringen wollen, seien kein Risiko eingegangen und hätten während des Kampfes auf dem Flugfeld „nicht die kleinste Anstrengung unternommen, die Lebenden zu retten“.

Noch weniger erbaut waren die Israelis allerdings in den kommenden Monaten und Jahren darüber, dass die Deutschen einem Erpressungsversuch palästinensischer Terroristen nachgaben und ungeachtet des Attentats Kontakte zu palästinensischen Gruppen und auch zum Umfeld der Attentäter pflegten. Wichtiger als die Strafverfolgung der drei überlebenden Attentäter und ihrer Hintermänner war der sozialliberalen Koalition dabei der Schutz Deutschlands vor weiteren Angriffen.

Das Olympia-Attentat von München in Bildern:

Viele Belege dafür finden sich in den Akten des Auswärtigen Amtes, an deren Edition Tim Geiger vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) arbeitet. Vor allem deutsche Diplomaten in arabischen Ländern drängten darauf, auch Palästinenserorganisationen aus dem Umfeld der Terroristen nicht völlig auszugrenzen. Was die Beziehungen zu den Palästinensern betraf, so urteilt Geiger, sei die Bundesregierung in der Europäischen Gemeinschaft nicht die treibende Kraft gewesen. „Sie hielt sich mit Rücksicht auf Israel zurück, während etwa Italien und Frankreich die Kontaktpflege viel offensiver betrieben“, meint der Historiker.

Als Sündenfall wertete die israelische Regierung vor allem die Bonner Reaktion auf die Entführung der Lufthansa-Maschine „Kiel“ von Beirut nach Zagreb durch ein PLO-Kommando weniger als zwei Monate nach dem Olympia-Attentat. Die deutschen Behörden gaben den Forderungen der palästinensischen Hijacker sofort nach und ließen die in Bayern einsitzenden drei überlebenden Attentäter ausfliegen. Kanzler Willy Brandt bemühte sich, das Einknicken zu rechtfertigen: Es habe in diesem Fall „keine andere Wahl“ gegeben, schrieb er an die erboste Ministerpräsidentin Golda Meir.

Terrorismusbekämpfung als internationale Aufgabe

Doch auch als fünf Jahre später ein Organisator des Olympia-Attentats in Frankreich verhaftet wurde, zeigte Bonn wenig Interesse, so dass Abu Daud aus Paris nach Algerien ausfliegen konnte. Auch die Regierung Schmidt/Genscher habe „vornehme Zurückhaltung geübt, wo es um die Strafverfolgung palästinensischer Terroristen ging“, urteilt der Historiker Geiger. Keiner der Mörder musste sich je vor einem deutschen Gericht verantworten.

Von „Appeasement- Politik“ der Bundesregierung will Geiger trotzdem nicht sprechen: „Das war Realpolitik.“ Auch sei es nicht moralisch-verwerflich gewesen, in den mit Konflikten aufgeladenen Nahen und Mittleren Osten politische Kontakte aufzubauen. „Im Vordergrund stand der Wunsch, Deutschland nicht zum Zielland neuer Terroranschläge zu machen“, sagt der Historiker. „Das war ein politisch legitimer Wunsch.“

Hartnäckig halten sich seit 40 Jahren Vermutungen, die Entführung der „Kiel“ sei 1972 mit deutschem Wissen erfolgt, um die Attentäter loszuwerden. Geigers Kollegin Eva Oberloskamp freilich urteilt in einem kürzlich veröffentlichten Aufsatz, für diese These fehlten „überzeugende Belege“. Die IfZ-Historikerin beschreibt in ihrer Untersuchung, dass die Bundesregierung nach dem Attentat innere Sicherheit nicht mehr nur als nationale Aufgabe begriff, sondern gezielt wegweisende Entscheidungen für die internationale Kooperation im Kampf gegen den Terror vorantrieb.

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