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Parteipolitik: Mit Gott und Hinterlist

Heute formiert sich die CSU neu. Die Intrige bestimmt die Parteipolitik. Das hat eine lange Tradition. Die Pauli-Affäre war da nur das letzte Beispiel. Doch sie kostete Edmund Stoiber endgültig das Amt.

Wenn sich Historiker dereinst mit der Ära Edmund Stoiber in Bayern beschäftigen und vor allem damit, wie diese zu Ende ging, dann werden sie an einem Telefonat nicht vorbeikommen, das der Büroleiter des Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden, Michael Höhenberger, irgendwann im Herbst 2006 mit einem Parteifreund im Fränkischen führte. Es war ein Gespräch unter Männern.

Öffentlich machte es jene Frau, um die es in diesem Telefonat ging, die Fürther CSU-Landrätin Gabriele Pauli. Demnach soll Höhenberger den Wirtschaftsreferenten der Stadt Fürth nach „Männerbekanntschaften“ von Pauli ausgefragt haben sowie nach „Alkoholproblemen“. Empört meldete sie sich am 17. Dezember im CSU-Vorstand zu Wort, um „etwas Persönliches“ zu sagen. Seit 17 Jahren saß Pauli im obersten Parteigremium, nie war sie dort besonders aufgefallen, es ist ja auch nicht so, dass die Beisitzer im CSU-Vorstand dazu da wären aufzufallen. Doch an diesem Montag verursachte sie einen Eklat.

Der Vorwurf der Bespitzelung war in der Welt, und zwar bevor irgendwelche Gerüchte gegen sie verwendet werden konnten. Die Intrige, mit der der Stoiber-Clan versuchen wollte, eine innerparteiliche Kritikerin kaltzustellen, richtete sich plötzlich gegen den Urheber selbst. Denn auch wenn es über den genauen Verlauf des besagten Telefongespräches unterschiedliche Darstellungen gibt, die CSU-Basis traute ihrem Vorsitzenden eine solche zu, und war empört.

Die Pauli-Affäre war der letzte Sargnagel der Karriere Edmund Stoibers. Seit er das Amt des Superministers unter Kanzlerin Merkel ausgeschlagen hatten und im Herbst 2005 quasi über Nacht aus der Hauptstadt geflohen war, hatte er viel Unmut auf sich gezogen und das Vertrauen der Wähler verspielt. Jetzt hatte die Partei genug. Vier Wochen später drängten ihn Parteifreunde zum Rücktritt.

Stoiber geht. Am 9. Oktober wird Innenminister Günther Beckstein ihn als Ministerpräsidenten ablösen. Bereits am heutigen Samstag vollzieht sich der Führungswechsel in der Partei. Weiß-blaue Fahnen wehen rund um die Münchner Messe, das Parteilogo mit der blauen Raute, dem gelben Löwen und dem grünen Bogen ist allgegenwärtig. Die Insignien einer einzigartigen politischen Vormachtstellung dürfen nicht fehlen, wenn die bayerische Staatspartei zur Krönungsmesse lädt.

Doch eines ist anders. Wer Stoiber an der Spitze der CSU nachfolgt, ist offen. Erstmals seit 1955 wird der Parteivorsitzende wieder in einer Kampfabstimmung gekürt. Dass dabei Bundesverbraucherminister Horst Seehofer gegen den bayerischen Wirtschaftsminister Erwin Huber nur Außenseiter ist, dies hat mit einer anderen Intrige zu tun, die erfolgreicher war als jene gegen Gabriele Pauli. Denn es war sicherlich kein Zufall, als die „Bild“-Zeitung auf dem Höhepunkt der CSU-Krise Mitte Januar auf der ersten Seite vermeldete, der Vater von drei Kindern habe eine Geliebte. So schließt sich der Kreis der Ära Stoiber. Denn als dieser 1993 nach einem innerparteilichen Machtkampf Ministerpräsident wurde, halfen ihm die in der Partei verbreiteten Gerüchte über die „ungeklärten Familienverhältnisse“ seines Konkurrenten Theo Waigel, der als Bundesfinanzminister und Parteivorsitzender eigentlich den ersten Zugriff auf das Amt hatte.

Die Intrige, das heißt die hinterlistige Machenschaft zum eigenen Vorteil, die Verstellung, die Lüge und das Komplott sind so alt wie die Zivilisation. In der Politik ist sie allgegenwärtig, vor allem dort, wo der politische Streit und der Kampf um die Macht nicht offen ausgetragen werden. Vielleicht hat gerade deshalb die CSU die Kunst der Intrige besonderes ausgeprägt entwickelt, schließlich ist sie das Pendant zur ihrer legendären Geschlossenheit. Gerade in Zeiten des Führungswechsels, wenn Macht labil ist und sich die innerparteilichen Kraftfelder neu bilden, kann sie ihre Wirkung entfalten. Deshalb reagierten viele CSU-Politiker auch besonders nervös, als Horst Seehofer sich kürzlich in einem Interview einerseits über den „Rufmord“ empörte, mit dem seine politische Karriere vernichtet werden sollte. Andererseits jedoch sagte er gleichzeitig über das Privatleben von Parteifreunden: „Ich bin gut informiert. Ich weiß viel. Ich habe viel Material.“ Gefolgt ist er dieser versteckten Drohung bislang nicht. Es mag sogar sein, dass es nur ein Bluff war. Aber das können diejenigen, die ihre Fehltritte zu verbergen versuchen, ja nicht wissen. Auch so kann das Ränkespiel funktionieren.

Nach außen allerdings stellt die Partei demonstrativ ihr Selbstbewusstsein zur Schau. Mir san mir, uns kann in Bayern niemand. Erst kommt der neue Parteichef, dann der neue Ministerpräsident, und anschließend werden die Christsozialen am 16. Oktober ein einmaliges Jubiläum feiern. Denn es jährt sich jener Tag, an dem der CSU-Politiker Hanns Seidel im Jahr 1957 zum Ministerpräsidenten von Bayern gewählt wurde. Ein halbes Jahrhundert ist die CSU seit dem ununterbrochen an der Macht. Zunächst regierte sie in einer Koalition mit der FDP und dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), seit 1962 mit absoluter Mehrheit. Sechs Ministerpräsidenten der CSU hat es seit 1957 gegeben und vier Parteivorsitzende. Nie war ihre Macht gefährdet, und wenn Experten in diesen Tagen gefragt werden, wie das Phänomen CSU zu erklären ist, dann sprechen sie über die Verknüpfung von Tradition und Moderne, über die Symbiose mit Bayern sowie die Fähigkeit zur Selbstregeneration.

Über die Machenschaften, mit denen die CSU ihre einmalige Vormachtstellung errang und sicherte, darüber reden sie nicht. Der Erfolg heiligt die Mittel. Es war auch eine Provokation, die sich im Jahr 1954 in Bayern ereignet hatte. Die CSU war bei den Landtagswahlen 1957 zwar stärkste Partei geworden, aber trotzdem von der Macht verdrängt worden, von einer Vierparteienkoalition unter Führung der SPD. Neben der FDP und dem BHE gehörte die Bayernpartei dieser Regierung an, ausgerechnet also jene Partei, der die CSU ideologisch und landsmannschaftlich nahestand. Ein „Staatsstreich“ hatte da aus Sicht der CSU stattgefunden, der „Antichrist“ und der „Sozialismus“ bedrohten nun den geliebten Freistaat. Als die Viererkoalition schon bald private Spielbanken in Bayern zuließ, da war dies „Teufelszeug“. Aber die CSU wusste dieses auf ihre Art zu nutzen. Sie verdächtigte die Bayernpartei, insbesondere den stellvertretenden Ministerpräsidenten Josef Baumgartner und ihren Innenminister August Geislhöringer, von der Konzessionsvergabe finanziell profitiert zu haben.

Bayern hatte seine Spielbankenaffäre. In einem Untersuchungsausschuss ließen sich die Bestechungsvorwürfe nicht einmal in Ansätzen belegen, der Einzige, der nachweislich die Hand aufgehalten hatte, war ein CSU-Politiker. Aber darum ging es gar nicht. Die Bayernpartei war sowieso im Niedergang begriffen, mit den unbewiesenen Vorwürfen wollte die CSU der unliebsamen Konkurrenz den Rest geben. Mehrere führende Politiker der BP traten zur CSU über, die Viererkoalition zerbrach. Die CSU war am Ziel, sie kehrte in die Regierung zurück.

Es folgte der Spielbankenaffäre und Rufschädigung zweiter Teil. Josef Baumgartner und August Geislhöringer waren honorige bayerische Landespolitiker und die Aushängeschilder der BP. Beide waren konservativ und bedächtig, aber auch sie hatten erkannt, dass sich Bayern modernisieren müsse, insofern unterschieden sie sich mit ihren politischen Vorstellungen wenig von der CSU. Der entscheidende Unterschied war, dass die CSU die politische Moral und das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild etwas weniger ernst nahm, und deshalb fanden sich die beiden BP-Politiker plötzlich völlig unvermittelt im Gerichtssaal auf der Anklagebank wieder. Die CSU hatte ganze Arbeit geleistet, auch wenn der Bundesgerichtshof die Verurteilungen von Baumgartner und Geislhöringer wegen Meineides später aufhob.

Auch ein anderes Urteil wurde aufgehoben, jenes gegen Friedrich Zimmermann, den Drahtzieher der Intrige, der damals ein ehrgeiziger Jungpolitiker war und zweieinhalb Jahrzehnte später Bundesinnenminister wurde. Zimmermann hatte unter Eid geleugnet, belastendes Material gegen die BP gesammelt zu haben. Wegen „fahrlässigen Falscheides“ wurde er zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Das Urteil der zweiten Instanz hingegen schrieb Rechtsgeschichte. Der CSU-Politiker konnte dem Landgericht München ein ärztliches Gutachten vorlegen, wonach er wegen „Unterzuckerung des Blutes“ als „Folge eine Überfunktion der Schilddrüse“ an „verminderter geistiger Leistungsfähigkeit“ gelitten habe.

Dem politischen Aufstieg schadete der fragwürdige Freispruch genauso wenig wie der Spitzname „Old Schwurhand“. Wer in der CSU die Drecksarbeit machte, konnte sich der Loyalität des Vorsitzenden Franz Josef Strauß gewiss sein. Der genauso legendäre wie umstrittene spätere bayerische Ministerpräsident war schließlich ein Meister der Intrige. Da fanden sich politische Gegner schon mal mit der Steuerfahndung konfrontiert oder mit dem Staatsanwalt. Parteifreunde, die den Vorsitzenden herausgefordert hatten, wurden abgestraft.

Dass ihn eine einfache Landrätin aus dem Amt mobbt, das jedenfalls wäre Franz Josef Strauß nicht passiert. Zu seinen Zeiten galt schon ein kritischer Kommentar und die Frage „Wie lange wir mit dem Mann leben müssen, der so gerne Weltuntergangspolitik macht?“ als Majestätsbeleidigung, die mit sofortiger Kündigung, Hausverbot und Parteiausschluss geahndet wurde. Noch schlimmer traf es Franz Heubl. Der Münchner gehörte zu den Gründungsmitgliedern der CSU, er war 1962 der jüngste Landesminister, und er hatte anschließend versucht, sich in der CSU als liberaler Gegenspieler zum hemdsärmeligen Strauß zu profilieren. Dass der „typischenAltbayer“, wenn es darauf ankommt, „seine eigenen Interessen“ mit einem „Schuss Brutalität“ durchsetzt, das war ihm bewusst. Nur traf ihn diese Brutalität alsbald selbst. Denn Heubl hatte im März 1976 Strauß’ Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten mit den Worten „Jetzt ist er besoffen“ kommentiert. Woraufhin einige Journalisten ein 75-seitiges Dossier aus dem „Büro Strauß“ auf ihren Schreibtischen fanden, das „Sündenregister“ des Parteifreundes Heubl. Dieser wurde darin unter anderem als „stinkfaul“, „krankhaft misstrauisch“ oder „bodenlos feige“ denunziert sowie als trinkfreudig, wobei die „kleinste Menge Alkohol“ für ihn eine „enthemmende Plauderdroge“ sei.

Die Medien waren empört ob dieser Methoden des Franz Josef Strauß, aber seine Macht schmälerte weder die Bespitzelung noch der gnadenlos vollzogene Rufmord. Denn der mächtige CSU-Politiker schürte so zwar die Verachtung seiner Gegner, aber er mehrte zugleich die Zahl seiner Bewunderer und Wähler. Der Erfolg heiligt alle Intriganten.

Franz Heubl zumindest kuschte, er war fortan ein handzahmer Diener am Hofe Strauß und durfte deshalb sogar noch Landtagspräsident werden. Der Schlag gegen seine Kritiker allerdings saß. Bis zu seinem Tod traute sich kein wichtiger Parteifreund mehr, die Unfehlbarkeit des Chefs infrage zu stellen.

Strauß starb im Amt, andere Ministerpräsidenten wurden gestürzt. Wie unlängst bei Stoiber halfen die Parteifreunde auch beim Abschied von Alfons Goppel und Max Streibl kräftig nach. Vermutlich gibt es neben dem Sturz keine andere Möglichkeit, in der Erbdemokratie die Nachfolge zu organisieren. Goppel las 1977 in der Zeitung, dass er sich mit Nachfolger Strauß über die Machtübergabe verständigt habe, und wusste fortan, dass seine Tage gezählt waren. Als Streibl 1993 nicht einsehen wollte, dass seine Zeit in der Staatskanzlei abgelaufen war, weil viele CSU-Politiker fürchteten, mit ihm würden sie keine Wahl mehr gewinnen, da erfuhr die Öffentlichkeit scheibchenweise von seinen lukrativen Nebentätigkeit und Traumreisen auf Unternehmerkosten. Da half es Max Streibl auch nichts, dass er sich noch einmal der Methoden seines Vorgängers Strauß besann, seine Anhänger auf dem Aschermittwoch mit einem forsch-frechen „Saludos Amigos“ begrüßte und im Parteivorstand einen Koffer hochhielt: „Hier drin befindet sich brisantes Material – über jeden von euch!“

Jetzt kommt Günther Beckstein, und auch er verdankt sein Amt einer Hinterlist. Bevor er seine Freunde zum Mobbing gegen Stoiber von der Leine ließ, hatte er sich mit Parteifreunden über die Verteilung wichtiger Posten verständigt. Ohne Intrige keine Macht, und deshalb gibt es in der CSU auch weniger die guten und die bösen, sondern vor allem die erfolgreichen Intrigen und die gescheiterten.

Monika Hohlmeier zum Beispiel ist nicht nur die Tochter von Franz Josef Strauß. Die ehemalige Kultusministerin galt auch als großes politisches Talent, als bierzelttauglich, skrupellos und zielstrebig. Doch die Methoden ihres Vaters brachten sie 2005 zu Fall. Weder ließ es sich die Basis gefallen, dass sie mit fingierten Parteimitgliedern nach dem Vorsitz im Bezirk München griff, noch ließen sie sich von der Drohung über mögliche Enthüllungen einschüchtern. „Gegen jeden von euch gibt es was“, soll sie im Vorstand gesagt haben. Hohlmeier bestreitet dies, sie sieht sich ihrerseits als Opfer von Machenschaften. Intrige und Gegenintrige, Täter oder Opfer, wer kann das am Ende noch unterscheiden. Die Strauß-Tochter hatte allerdings vor allem nicht verstanden, dass die ganz wilden Zeiten in Bayern vorbei sind. Die Öffentlichkeit ist kritischer geworden und die Parteibasis sensibler. Statt mit der Keule wird inzwischen vor allem mit dem Florett intrigiert.

Aber die Intrige ist geblieben. Nicht nur gegen Edmund Stoiber, der in diesen Tagen Abschied nimmt, sondern auch gegen diejenigen, die nach dessen Abgang nun auf neue Karriereperspektiven hoffen. Noch ist nicht klar, wer sich durchsetzen wird, Seehofer oder Huber. Die Landtagsfraktion oder die Landesgruppe im Bundestag. Aber es wird zwischen den Lagern und in ihnen gekämpft. Mit harten Bandagen und gemeinen Gerüchten. Wenn zum Beispiel in diesen Tagen in der Zeitung steht, die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär solle neue Generalsekretärin der CSU werden und alle Beteiligten sofort dementieren, dann liegt der Verdacht nahe, da habe jemand mit einer gezielten Indiskretion oder einer Lüge eine Konkurrentin aus dem Weg räumen wollen.

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