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Geschichtsstunde: Merkel spricht über die DDR

Die DDR-Straßenverkehrsordnung war gut, sonst nichts, sagt die Kanzlerin. Dagegen habe die West-CDU immer alles richtig gemacht.

Von Robert Birnbaum

Im Reichstag wird Angela Merkel nicht reden, das liegt in der Natur der Sache: Die Plenardebatte an diesem Donnerstag zum deutschen Doppeljubiläum ist die Stunde des Parlaments, nicht der Regierung. Umso öfter ergreift die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende derzeit jede andere Gelegenheit, ihre Sicht auf 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre deutsche Einheit vorzutragen: CDU-Festakt im Deutschen Theater, Besuch im früheren Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, erst am Dienstagabend wieder eine Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Und je häufiger diese Auftritte, desto deutlicher wird: Es geht bei dieser Art von Geschichtspolitik nur sehr am Rande um Geschichte.

Es geht vielmehr um die Deutung der Vergangenheit zu durchaus gegenwärtigen Zwecken. Es sei ja ein spannender Prozess, sinniert die Zeitzeugin Merkel in der Adenauer-Stiftung, wie nach nur zwei Jahrzehnten Ereignisse, die im eigenen Gedächtnis noch wie Gegenwart präsent seien, in Geschichte übergingen. Und schon jetzt könne man als jemand, der es miterlebt habe, die Überlieferung nur noch begrenzt beeinflussen. Umso wichtiger, darauf zu achten, „dass daraus kein Zerrbild wird“.

Gemeint ist damit konkret vor allem DDR-Nostalgie nach der Melodie „Nicht alles war schlecht“. Nein, spottet Merkel, natürlich nicht: „Die Straßenverkehrsordnung war alles in allem einigermaßen in Ordnung.“ Trotzdem sei die DDR als Staat „auf Unrecht gegründet“ gewesen, der immer dann, wenn er sich selbst infrage gestellt sah, „ganz brutal die Grenzen aufgezeigt“ hat. Die DDR in einen guten und einen schlechten Teil aufzuspalten, genau das gehe deshalb nicht. Merkel hat freilich aus der Erfahrung, dass Vergangenheit sehr schnell das wird, was man in ihr erkennen will, für sich selbst noch einen anderen Schluss gezogen: Geschichte kann man nutzbar machen. Das wird deutlich in ihrer Rückschau auf die Bundesrepublik. Eine vergleichsweise kurze Rückschau, in der als handelnde Personen nur Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl vorkommen und die sich bequem in zwei Sätzen zusammenfassen lässt: Was in der alten Republik gut und richtig entschieden worden ist, hat die CDU entschieden. Und diese Entscheidungen – zu ihrer Zeit höchst umstrittene wie die Westbindung, die soziale Marktwirtschaft oder auch das Festhalten an der Einheit – seien nur möglich gewesen, „weil es einen festen Kompass gab“.

Dessen Nadel, um im Bild zu bleiben, weist in Merkels Rückschau auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde, auf den Staat als „Hüter der Ordnung“, auf Freiheit, die aber stets „Freiheit in Verantwortung“ sein müsse. Erkannt hat die Kanzlerin aber vor allem, dass dieser imaginäre Kompass für sie den gleichen Zweck erfüllen kann wie August Bebels Uhr für die SPD-Vorsitzenden: Man kann ihn sich ausleihen als Beleg dafür, mit der eigenen Politik und Person in einer historischen Kontinuität zu stehen. In der symbolischen Aneignung steckt in beiden Fällen eine sehr einfache Botschaft. Wer das Erbe der Helden von einst verwaltet, kann auch gegenwärtig und in Zukunft nicht ganz falsch am Platz sein.

Merkel zieht diese Linie vom Gestern ins Morgen ganz ausdrücklich. Allzu selbstverständlich seien Menschenwürde, Freiheit, soziale Marktwirtschaft in 60 Jahren geworden. Dabei gelte es gerade jetzt in der Krise, ihnen Geltung zu verschaffen, weltweit. „Wenn wir unsere Werte erhalten wollen“, sagt Merkel, „müssen wir wieder lernen, für unsere Werte einzutreten.“ Dass das dann wieder am besten die CDU könne, muss Merkel nicht extra sagen. Das versteht ihr Publikum auch so.

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