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Der Hass ist zurück in Amerika, und Donald Trump verstand es, den auf die Eliten zu richten - obwohl er selbst Teil davon ist.

© Neil Hall/REUTERS

Gesellschaft: Lasst uns alle Feinde sein

Von der Bereitschaft, sich aufhetzen zu lassen - oder: Warum die Zahl der Wütenden und Empörten wächst. Ein Essay zum emotionalen Klimawandel in der Gesellschaft

In einer Welt globaler Interdependenz bedroht neben dem bekannten Klimawandel noch eine andere Art Umweltverschmutzung die Koexistenz auf dem Planeten: eine zunehmende Erhitzung des emotionalen Klimas und damit einhergehend ein Verfall kooperativer Umgangsformen. Wellen der Feindseligkeit, Aufhetzung und Desinformation gehen um die Welt, Shitstorms, massenhafte Bedrohungen und haltlose Behauptungen verbreiten sich viral. Sie bedrohen die Koexistenz auf dem Planeten nicht weniger als der sorglose Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Wir riskieren eine gefährliche Erosion des sozialen Zusammenhangs. Neben der Ökologie der materiellen natürlichen Ressourcen brauchen wir dringend auch eine Ökologie der Emotion. Die Parallelen und Zusammenhänge der materiellen Klimaerwärmung und der mentalen Klimaerhitzung sind erstaunlich, und erstaunlich ist, dass sie so lange ignoriert wurden.

Global vernetzte Kommunikation bringt alle und alles in die Reichweite aller. Zugleich sorgen Wohlstandsgefälle und globale Verschiebungen der Arbeitsmärkte für weltweite Migrationsbewegungen. Die Komplexität, Unübersichtlichkeit und Geschwindigkeit der Globalisierung überfordert mehr noch als unsere rationale Kompetenz unsere emotionale (vgl. Dorothea Franck, Emotionale Klimaerhitzung). In welchem Ausmaß Ängste und diffuse Empörung zu undurchsichtigen Zwecken instrumentalisiert werden können, zeigen die politischen Verschiebungen der letzten Monate.

Entscheidend für das Verständnis dieser Verschiebungen ist die Frage, ob sie einen gemeinsamen Nenner haben. Die Antwort ist ein klares Ja. Im Vordergrund steht überall der Kampf um die Opferrolle. Die diffusen Ängste und wirren Abwehrhaltungen finden zusammen in einem geteilten Gefühl des Übergangen- und Abgehängt-Seins. Nicht nur im Verteilungskampf um die materiellen Nutzen und Kosten der Globalisierung, sondern auch im Verteilungskampf um die mediale Aufmerksamkeit. Der Mangel an sozialer Anerkennung ist deshalb so verletzend, weil er nicht äußerlich bleibt, sondern aufs Innerste der Person durchschlägt: auf das, was sie von sich selbst halten darf, auf ihr Selbstwertgefühl.

Der Selbstwert ist im Stress, das ist schlecht

Wenn es nun aber Entzugserscheinungen sozialer Anerkennung sind, die hinter der grassierenden Bereitschaft, sich aufhetzen zu lassen, stecken, dann sollte man sich zurückhalten mit jenen Diagnosen der Irrationalität und schieren Regression der agitierten Massen. Statt dessen sollten wir die Möglichkeit einer sinn- und verständnisvollen Interpretation ergreifen, die vielleicht auch neue Perspektiven der Gegenwehr erschließt.

Das Selbstwertgefühl ist die affektive Seite des Selbstbewusstseins. Und die hat eine eigene Logik. Im Gegensatz zur kognitiven Seite, der Selbst-Erkenntnis, stellt das affektive Selbstbewusstsein nicht den Anspruch auf Autonomie. Vielmehr weiß es um seine Abhängigkeit von äußerer Wertschätzung. Es hat zu spüren bekommen, dass das Ego, das man sich leisten kann, vom Einkommen an wertschätzender Aufmerksamkeit abhängt. Die eigene Logik des affektiven Selbstbewusstseins ist die der seelischen Ökonomie, die das Einkommen an zugeneigter Beachtung in Selbstwert umrechnet. Sinkende Einkommen setzen, wie steigende Ansprüche, diese Ökonomie unter Druck. Nur in dem Fall, dass diese Ökonomie unter Stress zusammenbricht und unberechenbar wird, wird jene Diagnose zutreffen, die den Entzugserscheinungen schiere Irrationalität und Regression bescheinigt. Wie also hält die Ökonomie des Selbstwerts den Stress aus?

Die Umrechnung des Einkommens an äußerer Beachtung in Selbstwert erweist sich nicht zuletzt dadurch als veritable Ökonomie, dass sie unter Stress Zuflucht zu Formen des „creative accounting“ nimmt. Da der Stress im Fall des affektiven Selbstbewusstseins sowohl von der Einnahmeseite als auch vom eigenen Anspruch der Selbstwertschätzung ausgehen kann, sollten auch unterschiedliche Formen der „kreativen Buchhaltung“ zu beobachten sein. Tatsächlich kennt die Bilanzfälschung des Selbstwerts zwei gängige Tricks. Der eine heißt Eitelkeit, der andere Ressentiment. Die Eitelkeit kommt zum Zug, wenn der innere Anspruch die äußeren Mittel überzieht. Der Trick besteht dann darin, die Einkünfte mit zweierlei Maß je nachdem zu messen, ob sie von schmeichelnder oder von ablehnender Seite kommen. Wenn man die Wertschätzung opportunistisch anpasst, schlägt die Aufmerksamkeit der Schmeichler extra hoch zu Buch. Man kann die Bilanz also dadurch frisieren, dass man seine Bekanntschaften danach aussucht, ob sie einem schöntun.

Der Aufstand als Notwehrmaßnahme gegen Anerkennungsdefizite?

Das Phantom im Hintergrund: Georg Franck konstatiert eine wachsende Zahl an Empörten und Wütenden. Und nicht alle haben einen guten Grund.
Das Phantom im Hintergrund: Georg Franck konstatiert eine wachsende Zahl an Empörten und Wütenden. Und nicht alle haben einen guten Grund.

© Vadim Ghirda/AP/dpa

Wir alle kennen die Bestechlichkeit durch schmeichelhaftes Lob nicht nur, wir alle haben auch schon Bekanntschaft mit der entsetzlichen Not gemacht, dass man uns die Beachtung verweigert. Wir wissen uns nicht mehr anders zu helfen als durch einen Akt der Notwehr: Wir reden uns und anderen ein, dass diejenigen, die uns die ach so ersehnte Beachtung verweigern, selbst der Achtung nicht wert sind. Wir machen von dem Bewertungstrick, zu dem die Eitelkeit verstohlen greift, rabiaten Gebrauch. In der Notwehr darf man sich als Opfer fühlen, man hat die Lizenz zum hemmungslosen Schlechtmachen derer, von denen man sich so abhängig wie übergangen fühlt.

Hat der Aufstand der beleidigten Massen nicht etwas von einer Großveranstaltung solcher Notwehr? Ist es nicht die massenhafte Freisetzung von Ressentiment, die hinter dem emotionalen Klimawandel steckt? Wer andere schlechtmachen muss, um den eigenen Selbstwert zu retten, schert sich nicht um Faktentreue. Er oder sie hat nun ein ganz anderes Problem, nämlich das einer neuen Abhängigkeit von Beachtung. Ressentiment ist auf Resonanz angewiesen. Soll die Denunziation verfangen, muss sie von anderen, die nach Bestätigung ihres Ressentiments suchen, aufgesogen werden.

Die massenhafte Freisetzung von Ressentiment dürfte also zweierlei Gründe haben. Erstens müssen bedeutende Teile der Bevölkerung Bekanntschaft mit der Not gemacht haben, mit ihrem Einkommen an anerkennender Beachtung ein intaktes Selbstwertgefühl zu ernähren. Zweitens muss es leichter geworden sein, dieser seiner Not mediale Resonanz zu verschaffen. Wenn nicht alles täuscht, dann sind es eben diese beiden Bedingungen, die die jüngste wirtschaftliche und technische Entwicklung in den Gesellschaften, die der emotionale Klimawandel am heftigsten trifft, erfüllt. Erstens sind die an Sozialprodukt reichsten Volkswirtschaften auch die reichsten, was die Gruppenstärke der Globalisierungsverlierer betrifft. Zweitens sind die technisch fortgeschrittensten Massenkonsumgüter die sozialen Medien.

Alles, was auffällt, zieht Aufmerksamkeit an

Die Sorgen derer, denen die Abwanderung von Arbeitsplätzen und die Zuwanderung von Arbeitskräften zu schaffen machen, haben es schwer, in die Leitmedien der öffentlichen Meinung zu finden. Nicht nur, dass die Artikulation ihrer Vorbehalte allzu leicht am Filter der politischen Korrektheit scheitert. Ihre Möglichkeiten, ein größeres Publikum anzusprechen, blieben auch systematisch eingedämmt, solange der Hauptstrom durch den sanften Paternalismus eines engagierten Journalismus gesteuert wurde. Zur Berufsehre des klassischen Journalisten gehörte es, dem Volk, statt aufs Maul zu schauen, mit Sachlichkeit und Reflexion zu dienen. Freilich sind die Medien des klassischen Journalismus nun schon seit Längerem unter existenzgefährdenden Druck geraten, wo sie gegen neue Medien konkurrieren müssen. Neue Medien in dem Sinn, dass sie den Verkauf von Information gegen Geld hinter sich lassen, um sich nur noch aus Werbeeinnahmen zu finanzieren.

Einen regelrechten Dammbruch besorgte die Ankunft der sozialen Medien. Deren Geschäftsidee ist, das Geschäftsmodell der werbefinanzierten Massenmedien auf die Maßstabsebene des Bauchladens hinab zu skalieren. Sie machen es möglich, mit einem Smartphone im „www“ zu publizieren und an der Messung der gefundenen Aufmerksamkeit zu partizipieren. Wer im Netz publizieren kann, kann mit ebenfalls gemessenem Resultat mitmischen im globalen Kampf um die Aufmerksamkeit. Jeder und jede kann es nun zum Star bringen. Es genügt, dass Zahl und Zuwachsrate der Klicks auffällt, der Inhalt ist sekundär. Die neuen Medien reüssieren weniger der Inhalte als unserer Neigung wegen, darauf zu achten, worauf andere achten. Alles, was auffällt, zieht eben dadurch schon massenhaft Aufmerksamkeit an.

Diese Tendenz zur Selbstverstärkung der Auffälligkeit kommt ganz besonders dem Ressentiment auf der Suche nach Bestätigung entgegen. Schon von sich aus ist diese Suche ja mit potenzieller Synergie geladen, denn erst in der Resonanz ist das Ressentiment in seinem Element. Wo die Bereitschaft zur Empörung verbreitet ist, bedarf es nur noch des zündenden Funkens einer griffigen Bestätigung, um Lawinen an aggressiver Beleidigung, Hass und infamer Verdächtigung loszutreten, die, einmal freigesetzt, durch die neuen Medien bis hin zu Echoräumen in den geschwächten Altmedien hallen. Shitstorms und das Teilen negativer Emotionalität haben sich zu regelrechten Erfolgsrezepten im Kampf um „Likes“ und „Follower“ gemausert.

Der soziale Frieden gerät in Gefahr - also das, was Gesellschaft möglich macht

Der Hass ist zurück in Amerika, und Donald Trump verstand es, den auf die Eliten zu richten - obwohl er selbst Teil davon ist.
Der Hass ist zurück in Amerika, und Donald Trump verstand es, den auf die Eliten zu richten - obwohl er selbst Teil davon ist.

© Neil Hall/REUTERS

So ist es nicht nur zu erklären, wie grassierender Frust und mediale Resonanz zusammenfanden, sondern auch, dass das Bedienen von Ressentiments zur dominanten Strategie überdimensionaler Narzissten aufgestiegen ist. Mit nichts ist es leichter, diejenigen Massen an Aufmerksamkeit, von denen das ganz große Ego lebt, einzufahren, als mit der Beihilfe zur populären Empörung und dem Versprechen der Rache an den arroganten Eliten. So kommt es, dass man selbst noch als Teil dieser Eliten und in unübertrefflicher Arroganz sich zum Führer des Sturms auf die Bastionen dieser Eliten aufschwingen kann – nur zu dem Zweck, der eigenen Geltungssucht die Krone aufzusetzen.

Wenn es nun nicht schiere Irrationalität ist, die hinter der Aufheizung des emotionalen Klimas steckt, sondern das „creative accounting“ in der Bilanzierung des Selbstwerts, wohin geht dann der Appell des emotionalen Klimaschutzes? An zwei Adressen: an das Controlling der Selbstwertbuchhaltung und an die Verursacher des Frusts.

Der Aufstand der beleidigten Massen hat leider nichts mit einer Befreiung von Unterdrückung zu tun. Das Ressentiment gibt sich mit gut organisiertem Selbstbetrug und mit der Zerstörung sozialen Kapitals zufrieden. Soziales Kapital, wie von dem amerikanischen Soziologen Robert Putnam definiert, ist der Bestand an belastbarem Vertrauen, über den das gesellschaftliche Zusammenleben verfügt. Dieses Kapital ist von schwer überschätzbarem Wert, denn seine Verfügbarkeit macht den Unterschied zwischen einer zivilen Gesellschaft und einer in bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Wo die Meinung mehrheitsfähig wird, dass nur noch strategisches und opportunistisches Verhalten zählt, da ist es aus mit dem sozialen Frieden. Zudem wendet sich der Selbstbetrug auch gegen das, was man von sich selbst halten darf. Es ist nämlich keineswegs nur das äußerlich vermittelte Selbstwertgefühl, sondern auch die unmittelbare Selbstachtung, die über den Selbstwert bestimmt. Der Beifall kann das Ego zwar in Zustände des Größenwahns versetzen, das Selbstwertgefühl bleibt aber brüchig und unsicher, wenn das Selbst nicht auch den Ansprüchen genügt, die es an andere stellt. Selbstachtung meint aber genau dies: sich selbst mit denselben Maßstäben zu messen, wie man sie an andere anlegt.

Das soziale Klima als moralische Frage

Der Appell an die Selbstachtung geht nun allerdings nicht nur an die, die aus Not die Bilanz fälschen, sondern auch an diejenigen, die zur Fälschung einladen. Die Einladung zum Spiel mit dem Ressentiment geht erstens von der Selbstbezogenheit der Eliten und zweitens von der immer weiter sich spreizenden Diskrepanz zwischen deren Einkommen und Verdienst aus. Von der Elite verlangt die Selbstachtung, dass sie sich der Privilegien würdig zeigt, sie diese genießt. Wo die Privilegien in keiner Proportion mehr zu der Leistung für die Gesellschaft stehen, die sie gewährt (und bezahlt), da geht die verleumderische Denunziation derer da oben in stichhaltige Anklage über.

Nach beiden Seiten geht der Appell also nicht an das Ablassen von der Arbeit am Selbstwert, sondern an die größere Genauigkeit im Umgang mit diesem Wert, von dem wir nicht lassen können. Der Selbstwert beruht auf dem Einkommen an wertschätzender Beachtung und auf der unmittelbaren Selbstachtung. Die Selbstachtung verbietet das Messen mit zweierlei Maß und sie straft mit dem Wissen um den Selbstbetrug. Kein Ressentiment rettet aus der existenziellen Not des auf Anerkennung angewiesenen Selbstwertgefühls, und keine Elite darf sich ihres Glückes sicher wähnen, die sich ihrer Privilegien nicht würdig weiß.

Leider, das ist das Resümee, ist der emotionale Klimawandel eine durch und durch moralische Angelegenheit. Einer Moral allerdings, die nicht Sache der Pflicht oder religiösen Offenbarung, sondern der recht verstandenen Selbstachtung ist.

Von Georg Franck

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