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Politik: Gesetz der Straße

In Brasilien greift die Regierung von Präsidentin Rousseff immer mehr Forderungen der Demonstranten auf.

Rio de Janeiro - Aufgeschreckt von den Massenprotesten sind Brasiliens Politiker in einen ungewohnten Aktionismus verfallen. Es ist fast schon atemberaubend, mitanzusehen, wie der Kongress in Brasilia ein Gesetz nach dem anderen so verabschiedet, wie es die Demonstranten gefordert haben. Zuletzt schlug Senatspräsident Renan Calheiros eine Regelung vor, die allen Studenten in Brasilien den kostenlosen Gebrauch der öffentlichen Verkehrsmittel garantieren würde. Dies war eine der Hauptforderungen der Demonstranten in São Paulo gewesen, von wo sich die Proteste vor zwei Wochen ins ganze Land ausgebreitet hatten.

Finanziert werden soll der Gratistransport mit den staatlichen Erträgen aus dem Erdölgeschäft. Bereits Mitte der Woche hatte das Repräsentantenhaus beschlossen, dass 75 Prozent der Öleinnahmen in die Bildung fließen sollen und 25 Prozent ins marode Gesundheitssystem. Der Senat mit den Vertretern der 26 brasilianischen Bundesstaaten muss dieser Regelung noch zustimmen, die von Präsidentin Dilma Rousseff in ihren „Fünf Pakten für Brasilien“ vorgeschlagen worden war. Weiterhin lehnte das Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit den umstrittenen Verfassungszusatz PEC 37 ab. Er hätte dem Ministério Público, einer Bundesbehörde aus Untersuchungsrichtern, die Möglichkeit zur Strafverfolgung krimineller Abgeordneter entzogen und sie der Polizei übertragen.

Dem in Brasilien respektierten Ministério Público war diese Aufgabe nach der Diktatur 1985 anvertraut worden, als die Polizei wegen ihrer Rolle im Unterdrückungsapparat als korrumpiert galt. Bei vielen Brasilianern hat sich dieser Eindruck bis heute gehalten. Bemerkenswert bei der Abstimmung über PEC 37: Von den 207 Parlamentariern, die das Gesetz einst unterstützt hatten, stimmten jetzt 149 dagegen.

So als ob der Senat angesichts der Entwicklungen im Repräsentantenhaus nicht zurückstehen wollte, stimmte er für eine Strafverschärfung bei Korruption. Die Senatoren stuften sie zu einem schweren Verbrechen, einem „crime hediondo“, herauf. Auch geduldete Korruption wird nun wie Erpressung im Amt und Vorteilsnahme als schweres Verbrechen geahndet. Die Mindeststrafe hoben die Senatoren auf vier Jahre an. Der Gesetzesvorschlag hatte ihnen bereits ein Jahr lang vorgelegen, war aber unbeachtet geblieben.

Nun aber geben die Forderungen der Straße die politische Agenda in Brasilia vor. Präsidentin Rousseff hat bereits damit begonnen, die Inhalte für das von ihr vorgeschlagene Plebiszit auszuarbeiten, in dem die Brasilianer über eine Reform des politischen Systems abstimmen sollen. Die Proteste auf der Straße richten sich nun stärker gegen die hohen Ausgaben für die Fußball-WM 2014. Philipp Lichterbeck

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