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Politik: Gesetz zu kaufen

Korruptionsskandal in Polen Premier soll aussagen

Zu Polens sozialistischen Zeiten sah sich der damalige Dissident Adam Michnik ständig den Lauschangriffen der Staatssicherheit ausgesetzt. Doch vor dem Treffen mit Lew Rywin, dem bekanntesten TV-Produzenten des Landes, ließ der heutige Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“ in seinem Bücherregal selbst ein verstecktes Mikrofon installieren. Seine Vorahnung sollte die einstige Galionsfigur der Gewerkschaft „Solidarnosc“ nicht trügen: In dem Mitte Juli aufgezeichnetem Gespräch bot Rywin, Koproduzent von „Schindlers Liste“ und „Der Pianist“, Michnik im Auftrag einer Gruppe „einflussreicher“ Politiker an, gegen ein Schmiergeld von 17,5 Millionen Dollar die Verabschiedung des neuen Mediengesetzes im Sinne von dessen Pressekonzern Agora zu „regeln". Ein halbes Jahr später hat der seltsame Mitschnitt auch die oberste Ebene von Polens Politik erreicht: Zu Beginn dieser Woche forderte Präsident Aleksander Kwasniewski, dass auch Ministerpräsident Leszek Miller in dem Fall befragt werden müsse. Rywin trat am Mittwoch von seinem Posten zurück.

Der Produzent hatte behauptet, dass er auch im Auftrag von Premier Leszek Miller das Bestechungsgeld einfordere: „Aber er ist nicht allein.“ Von Chefredakteur Michnik wenige Tage später auf die seltsame Offerte angesprochen, reagierte Miller völlig entgeistert: „Das glaubst du doch wohl nicht?“ Auf Bitte von Michnik stimmte der Premier einer Gegenüberstellung mit Rywin zu. „Brauchst du wirklich so viel Geld? Wer hat dir das diktiert?“, soll Miller laut Michnik den erblassenden Rywin zur Rede gestellt haben. „Rywin antwortete: Erschießt mich, ich begehe Selbstmord,“ erinnert sich der Chefredakteur an das Treffen.

Mit fast halbjähriger Verspätung hat der umtriebige Michnik in seiner Zeitung Ende Dezember den merkwürdigen Korruptionsskandal enthüllt – und damit in seiner Heimat eine Welle wilder Spekulationen über die Hintergründe ausgelöst. Handelte Salonlöwe Rywin tatsächlich im Auftrag von Regierungspolitikern? Wollten sich einige Sozialdemokraten mit den Millionen des Pressekonzerns Agora die Mittel zur Gründung eines linken Medienkonzerns oder einer neuen Mitte-Links-Partei verschaffen? Sollte der oft lästige Michnik mit dem Angebot selbst in die Falle gelockt werden? Oder sollte die zwielichtige Offerte die Regierung diskreditieren? Versuchte Michnik seinen Mitschnitt als Druckmittel im Ringen um das noch immer nicht verabschiedete Mediengesetz zu gebrauchen?

Geld ist in Polens seltsamem Watergate-Skandal offenbar keines geflossen. Doch die Veröffentlichung von Michniks Bandaufnahmen hat die Regierung veranlasst, endlich die Staatsanwaltschaft wegen des Verdacht der „bezahlten Protektion“ einzuschalten. Bisher wurde indes nur Michnik zum Verhör vorgeladen. Ungeduldig drängt Staatspräsident Aleksander Kwasniewski auf eine rasche Zeugenvernehmung von Premier Miller. Rywin weilt unterdessen im Ausland – und hüllt sich in eisiges Schweigen. Der Eindruck, dass sich mit dem passenden Kleingeld Gesetze kaufen lassen, droht unterdessen die Politikverdrossenheit der Polen weiter zu vergrößern. „Rywin und der ganze Rest sind der Grund, warum sich die Polen vor der Politik ekeln,“ titelt die Zeitschrift „Newsweek Polska".

Thomas Roser[Warschau]

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