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Gesetzesbeschluss: Hunderttausenden Invaliden drohen Rentenkürzungen

Harter Schlag für Invaliden und Hinterbliebene: Die Kürzung ihrer Renten von bis zu 10,8 Prozent ist endgültig rechtens. Das hat das Bundessozialgericht in Kassel am Donnerstag entschieden und einen jahrelangen Rechtsstreit für beendet erklärt.

Die Kürzung von gut 1,6 Millionen Invaliden- und Hinterbliebenenrenten in Deutschland ist rechtens. Das Bundessozialgericht in Kassel bestätigte am Donnerstag die seit 2001 gültige Praxis, Erwerbsminderungsrenten um bis zu 10,8 Prozent zu kürzen, wenn die Invaliden sie vor ihrem 60. Geburtstag in Anspruch nehmen. Auch Hinterbliebene müssen Abschläge hinnehmen, wenn der Ehepartner vor dem 60. Geburtstag stirbt.

Betroffen sind nach Angaben der Rentenkasse 926.000 Erwerbsminderungs- und etwa 700.000 Hinterbliebenenrenten. Weil teilweise Doppelrenten bezogen werden, ist die Zahl der betroffenen Personen allerdings geringer. Ohne die Abschläge hätte die Rentenversicherung nach Berechnung der Bundesregierung bis zu 1,8 Milliarden Euro Mehrausgaben im Jahr. Das entspreche einer Erhöhung des Rentenbeitragssatzes um knapp 0,2 Prozentpunkte.

Altersrentner müssen, wenn sie früher in den Ruhestand gehen, einen monatlichen Abschlag von 0,3 Prozent an ihrer Rente hinnehmen. Dieses Minus kann bis zu 18 Prozent betragen. Analog dazu hat der Gesetzgeber auch eine Kürzung der Erwerbsminderungsrenten beschlossen, wenn sie vor dem 60. Geburtstag in Anspruch genommen wird. Hier ist der Abschlag allerdings auf 10,8 Prozent begrenzt, für Hinterbliebene gilt ähnliches.

Die vier Kläger in Kassel, vertreten zum Teil durch Sozialverbände, hielten diese Regelung für unsozial und verfassungswidrig, weil niemand den Zeitpunkt seiner Invalidität beeinflussen könne. "Wer sucht sich denn den Zeitpunkt für seine Erwerbsminderung aus?", sagte ein Vertreter des DGB-Rechtsschutz. Für den Tod des Ehepartners gelte das gleiche.

Von Willkür kann keine Rede sein

Das wollten die Richter nicht gelten lassen. Wegen der Bevölkerungsentwicklung - mehr Rentner, die länger leben - sei die Rentenkasse erheblich belastet. Wie der Gesetzgeber reagiere, liege in seiner Entscheidungsfreiheit. Dass neben den Alters- auch die Invaliden- und Witwenrenten beschnitten werden, widerspreche nicht dem Grundgesetz. Dem Problem der "fehlenden Freiwilligkeit" bei der Erwerbsminderungs- und der Hinterbliebenenrente sei entsprochen, weil das Minus auf 10,8 statt auf 18 Prozent begrenzt sei. "Das sorgt dafür, dass von Willkür keine Rede sein kann", hieß es in der Urteilsbegründung. Im Übrigen gebe es die gleichen Regelungen in der landwirtschaftlichen Alterssicherung. Der DGB-Rechtsschutz erwägt dennoch, den Fall vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe zu tragen.

Die höchstrichterliche Entscheidung beendet einen jahrelangen Rechtsstreit, der auch das Bundessozialgericht gespalten hatte. Der 4. Senat des höchsten deutschen Sozialgerichts hatte vor zwei Jahren gegen die Abschläge entschieden, der 5. Senat in einem ähnlichen Verfahren dafür. Die Rentenversicherer hatten das Urteil des 4. Senates nicht anerkannt und eine weitere Klärung gefordert. Der 4. Senat ist jetzt ausschließlich für Hartz-IV-Fälle zuständig. Sein Nachfolgesenat gab den Widerstand auf. Bei der Rentenversicherung sind rund 110.000 Widerspruchs- und Überprüfungsverfahren anhängig. Sie sollen zügig zum Abschluss gebracht werden, falls nicht noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden müsse, teilte die Rentenversicherung mit. (sgo/dpa)

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