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Fünfmal am Tag erinnern die Lautsprecher an die regelmäßigen Gebete. Viele Einwohner empfinden sie allerdings als Lärmbelästigung.

© dpa

Gesetzesentwurf in Israel: Wenn der Muezzin zu laut ruft

Fünf Mal am Tag werden die Muslime in Israel über Lautsprecher zum Gebet gerufen. Mit einem neuen Gesetz soll dem Muezzin-Ruf nun ein Ende gesetzt werden - aus Lärmschutzgründen.

Tawfik Elayan ruft zum Gebet. In der Al-Rahman-Moschee steht der 50-Jährige in Sweatshirt, blauer Hose und grauen Socken vor einem Mikrofon, die Hände vor sich verschränkt, und beginnt: „Allahu Akbar". Seine Stimme schallt per Lautsprecher vom Dach der Moschee über die Dächer und durch die Straßen von Beit Safafa, einem arabischen Stadtteil in Ostjerusalem. Fünf Mal am Tag macht er das, sieben Tage in der Woche. Tawfik Elayan ist Muezzin und Herr der Mischregler. In einem kleinen Schränkchen am Boden befindet sich die Anlage, an der er die Lautstärke hoch und runter drehen kann. Und das macht Takwfik Elayan zur Zielscheibe des jüngsten Streits in der israelischen Gesellschaft.

Wenn es nach einigen israelischen Ministern und Knessetabgeordneten aus dem rechten Lager geht, würden die Lautstärkeregler zukünftig auf null stehen. Weder Tawfik noch irgendein anderer Muezzin in Israel soll zukünftig über Lautsprecher zum Gebet aufrufen, zumindest nicht in der Nacht, wenn andere schlafen. Ein entsprechender Vorschlag, das sogenannte Muezzin-Gesetz, wird derzeit in der Knesset diskutiert.

Das Argument der Gesetzesbefürworter: Nicht-Muslime werden durch die Rufe gestört und nachts aufgeweckt. „Die Rufe per Lautsprecher sind laut und aggressiv, deswegen brauchen wir ein Gesetz", sagt Robert Ilatov, Knessetabgeordneter der rechten Regierungspartei Yisrael Beitenu. Früher sei es auch ohne Lautsprecher gegangen, und heute gäbe es ja moderne Lösungen: Wecker, zum Beispiel. „Auch Juden beten zu bestimmten Zeiten", sagt Ilatov. Ohne Aufforderung per Lautsprecher. Zwar gibt es in Israel bereits ein Lärmschutzgesetz. Doch Abgeordneten wie Ilatov reicht das nicht. „Wenn die Polizei die Einhaltung dieses Gesetzes nicht durchführt, dann müssen wir eben deutlicher werden." Israel greift mit dem Gesetz dabei eine Debatte auf, die auch in den Nachbarstaaten seit Jahren geführt wird: Von Marokko, über Ägypten bis nach Dubai gab und gibt es seit Jahren immer wieder Überlegungen, die Lautstärke der Gebetsrufe zu begrenzen.

Die Reaktionen in Israel fallen auf arabischer Seite dennoch schroff aus: Islamophob nennt der arabische Knessetabgeordnete Ahmad Tibi den Vorschlag. Die Rufe gehörten zur Religion und zur Kultur dazu, und einige Moscheen im Land seien schließlich schon hier gewesen, bevor der Staat Israel überhaupt ausgerufen wurde. „Es kann Zorn auslösen, wenn Muslime fühlen, dass ihr Glaube und ihre Religion gedemütigt und verletzt werden."

Was dann passiert, hat der Streit um den Tempelberg in Jerusalem immer wieder gezeigt: Junge Männer mit vermummten Gesichtern, die auf die Barrikaden gehen, Steine und Brandsätze auf Polizisten werfen, weil sie fürchten, dass jüdische Israelis ihnen den Tempelberg streitig machen wollen. Es ist der Ort in Jerusalems Altstadt, an dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ein Ort unter der Aufsicht der jordanischen Waqf, eine Stiftung, die dort islamische Bauten verwaltet. Aber auch ein Ort, an dem einst die beiden jüdischen Tempel standen und der immer wieder auch jüdische Gläubige anzieht. Einige von ihnen erheben Anspruch auf den Berg. Ein umstrittenes Heiligtum.

Und so hält auch Ofer Ayoubey nichts von dem Gesetzesentwurf – obwohl er Mitglied in Benjamin Netanjahus Likud-Partei ist. „Jeder weiß, dass Proteste und Attacken folgen, wenn Menschen versuchen, eine Religion zu verletzen." Das Gesetz biete Populisten und Extremisten nun die Chance, die guten Beziehungen kaputtzumachen. Und an diesen Beziehungen hat Ayoubey vier Jahre lang gearbeitet. Der Israeli aus dem Jerusalemer Stadtteil Gilo ist heute in die Al-Rahman-Moschee im benachbarten Beit Safafa gekommen, um Journalisten davon zu erzählen.

Die Menschen in seinem Wohnort Gilo fühlten sich gestört durch die Rufe der Muezzine. Diese seien in den vergangenen Jahren immer lauter geworden, erklärt Ayoubey. Immer wieder wurde die Polizei gerufen. Und an Jom Kippur vor vier Jahren, einem absoluten Ruhetag für Juden, seien die Gesänge sechs Stunden lang in Dauerschleife gelaufen. Klar war das Provokation, glaubt Ayoubey. Die einzige Lösung: miteinander reden.

Er, der Vorsitzende von Gilos Nachbarschaftsverwaltung, setzte sich mit arabischen Vertretern aus Beit Safafa an einen Tisch – vier Jahre lang. Muezzine sollten weiter singen dürfen, die jüdischen Nachbarn sollten sich aber nicht gestört fühlen. Muezzin Tawfik Elayan und seine Kollegen in den anderen vier Moscheen des Viertels haben die Lautstärke deshalb nun runter gedreht. Dafür sollen in den kommenden Monaten kleinere Lautsprecher im Viertel verteilt werden, die dann nicht mehr auf Gilo gerichtet sind. Einzig die Frage, wer das bezahlt, ist noch ungeklärt.

Lösungen wie diese sind es, die auch Israelis Präsident Reuven Rivlin befürwortet. Er nannte den Gesetzentwurf unnötig – und lud in dieser Woche jüdische und muslimische Religionsführer ein, um mit ihnen alternative Möglichkeiten abseits eines „Muezzin-Gesetzes" zu besprechen. „Ich dachte, dass ein solches Treffen vielleicht Einfluss auf die Öffentlichkeit hat. Und dass es eine Schande wäre, sollte ein Gesetz geboren werden, dass die Religionsfreiheit einer bestimmten Gruppen von uns berührt."

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