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Politik: Gesichtswahrung als Mindestlohn

Im Koalitionsausschuss wird es heute wohl nur Minimallösungen geben

Berlin - Es geht um viel, wenn sich die Spitzen von Union und SPD am Montag im Kanzleramt treffen. Auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses stehen die Themen Mindestlohn und Pflegeversicherung – und damit auch die Frage, ob das schwarz-rote Regierungsbündnis noch über die Kraft zu grundlegenden Reformen verfügt.

Vorsorglich haben beide Seiten die Erwartungen an eine große Pflegereform in den letzten Tagen heruntergeschraubt. Auf eine neue Art der Finanzierung des Systems werde man sich voraussichtlich nicht einigen können, hieß es am Wochenende. In diesem Fall würden Union und SPD gegen den Koalitionsvertrag verstoßen. Darin hatten sie den Aufbau einer Kapitalreserve zur Dämpfung des Anstiegs der Pflegebeiträge in einer älter werdenden Gesellschaft sowie Ausgleichszahlungen der privaten an die gesetzlichen Pflegekassen vereinbart. Stattdessen wird sich die Koalition nun aller Voraussicht nach auf eine geringfügige Beitragssatzerhöhung beschränken, mit der die Ausweitung der Hilfen für Pflegebedürftige finanziert werden soll.

Beim Mindestlohn zeichnet sich mehr Bewegung ab. Zwar gaben sich Vertreter von Union und SPD am Wochenende unversöhnlich. So kündigte Hessens Ministerpräsident Roland Koch in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ an, er werde gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns angehen: „Es darf nicht sein, dass der Staat sagt, welches der gerechte Preis für Arbeit ist. Das muss der Markt tun.“ Dagegen bekräftigte der designierte SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier die Forderung seiner Partei nach einem gesetzlichen Mindestlohn und riet der Union „dringend, sich von ihrer verbohrten Ideologie zu lösen“: Beide Positionen lassen nach Einschätzung aus Koalitionskreisen jedoch Spielraum für eine Einigung, bei der jeder Partner sein Gesicht wahren kann. So gilt eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen als wahrscheinlich, nachdem die Union der SPD in diesem Punkt in der vergangenen Woche Entgegenkommen signalisiert hatte. Dabei sollen tariflich vereinbarte Mindestlöhne in diesen Branchen von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärt werden. Darüberhinaus verlangen die SPD und Arbeitsminister Franz Müntefering einen generellen Mindestlohn als untere Auffanglinie, da sonst Arbeitnehmer in Bereichen ohne Tarifvertrag nicht von der Neuregelung profitieren würden.

Hier verläuft für die Union eine rote Linie. Dennoch halten Koalitionskreise eine Einigung auf der Grundlage des Mindestarbeitsbedingungengesetzes von 1952 für möglich. Danach darf der Arbeitsminister Ausschüsse aus Gewerkschaften bilden, die Mindestlöhne für nicht tarifgebundene Branchen festsetzen. Um die Vorbehalte der Union auszuräumen, könnte die Koalition einen Sachverständigen einsetzen, der den Ausschlag gibt, wenn sich die paritätisch besetzten Ausschüsse nicht einigen können. Nach Informationen des „Handelsblatts“ bahnt sich zudem eine Einigung auf neue Einkommenszuschüsse für Niedriglöhner an, die statt wie bisher aus der Steuerkasse von der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden sollen. Stephan Haselberger

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