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Politik: „Gestohlene Revolution“

In Rumänien steht nach einem Verfassungsgerichtsurteil die Stasi-Aufarbeitungsbehörde auf dem Spiel

Berlin - Seit Jahren kämpft der EU-Neuling Rumänien mühsam mit der Aufarbeitung seiner kommunistischen Vergangenheit. Nach langem Streit wurde im Jahr 2000 eine rumänische Gauck-Behörde, das Amt zur Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit (CNSAS), gegründet. Doch ausgerechnet dieses Symbol steht nun vor dem Aus. In einem spektakulären Urteil erklärten die rumänischen Verfassungsrichter vor wenigen Tagen das Gesetz, welches die Arbeit der geachteten Institution regelt, für verfassungswidrig.

Das Urteil ist ein Sieg der alten Kräfte über die ohnehin schwach ausgeprägte rumänische Zivilgesellschaft. Mit dem Argument der Rechtsstaatlichkeit wird jene Behörde ins Visier genommen, die sich wie kaum eine andere um die Aufarbeitung der Ceausescu-Diktatur verdient gemacht hat. Eine schallende Ohrfeige für die Opfer der berüchtigten Securitate, aber auch für jene Bürgerrechtler, die heute für mehr Demokratie und Transparenz in Rumänien streiten.

Es war schon ein großer Erfolg, dass die CNSAS überhaupt gegründet wurde. Und doch hat sie es ungleich schwerer als ihr deutsches Pendant. Erst im Januar 2007 wurde die Übergabe der rund 1,6 Millionen Geheimdienstdossiers an das Archiv der CNSAS abgeschlossen. Bis dahin lagerten sie bei den Nachfolgeorganisationen der Securitate, die genügend Zeit hatten, das brisante Material zu sichten.

Ins Rollen brachte den Stein Dan Voiculescu, der vor dem Verfassungsgericht Klage gegen die CNSAS eingereicht hatte. Ceaucescus einstiger Devisenbeschaffer, heute Medienmogul, Parlamentsmitglied und Chef der Konservativen Partei (PC), wollte Vizepremier werden. Doch waren bereits 2006 Akten aufgetaucht, die seine intensive Zusammenarbeit mit der Securitate unter dem Decknamen „Felix“ bewiesen. Das daraufhin von der CNSAS gefällte Verdikt schloss ihn automatisch von politischen Führungsämtern aus. Die Verfassungsrichter gaben seiner Klage nun überraschend statt. In der Begründung heißt es, die CNSAS überschreite ihre Befugnisse und schränke die Freiheitsrechte der Betroffenen – also ehemaliger Spitzel – ein. Diese Art der „parallelen Justiz“ sei inakzeptabel.

Dass das Urteil ausgerechnet jetzt gefällt wurde, ist kein Zufall. Die CNSAS hatte gerade begonnen, gegen zahlreiche Mitglieder des Justizapparates zu ermitteln. Außerdem stehen im Herbst Parlamentswahlen an. Zwar wurden in den Revolutionswirren ganze Aktenberge vernichtet. Doch fürchten viele die noch in den übrigen Akten steckenden Informationen. Gegen die „Urteile“ der CNSAS war bisher eine Klage vor Gericht möglich und üblich. Selbst das Verfassungsgericht hat solche Klagen behandelt und auch schon abgewiesen. Dabei ging es jedoch immer um Einzelschicksale. Das Gesetz, auf dem die Arbeit der CNSAS basiert, wurde nie infrage gestellt. Bis zur Klage Voiculescus. Geht es nach dem Willen der Verfassungsrichter, muss sich die CNSAS künftig auf die bloße Mitteilung einer Geheimdienstzusammenarbeit beschränken – Urteile obliegen den Gerichten. Doch Justitias Mühlen mahlen in Rumänien noch immer auffallend langsam, erst recht, wenn es um die Aufklärung kommunistischer Verbrechen geht. Die rumänische Justiz gilt zudem als korrupt.

Aus deutscher Sicht beurteilt die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, die jetzt entstandene Situation differenziert. Denn hierzulande ist die Aufarbeitungsbehörde laut Gesetz nur für die Sichtung und Herausgabe der Akten, nicht aber für die Beurteilung politischer oder juristischer Konsequenzen zuständig. So nimmt die Behördenchefin denn auch nicht grundsätzlich Anstoß an dem rumänischen Verfassungsgerichtsurteil: „Das Urteil, um das es hier geht, ist insofern nachvollziehbar, als es sich kritisch dazu äußert, dass neben der allgemeinen Rechtsprechung eine weitere Gerichtsbarkeit existiert – was im Sinne der Gewaltenteilung tatsächlich problematisch ist“, sagte Birthler dem Tagesspiegel. Doch die Behördenchefin mahnte zugleich: „Alarmierend scheint dagegen, wie dieses Urteil zum politischen Instrument umfunktioniert wird, um die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur zu behindern.“

Denn in Rumänien schreiben sich die alten Seilschaften den höchstrichterlichen Beschluss als Sieg auf ihre Fahne. Viele Rumänen sprechen verbittert von einer „gestohlenen Revolution“, denn einen echten Bruch mit der Vergangenheit hat es nie gegeben – trotz einer blutigen Revolution im Dezember 1989 mit mehr als 1000 Toten. An den Schaltstellen von Politik, Wirtschaft und Kultur sitzen nach wie vor Leute, die sich im Ceaucescu-Regime ihre Lorbeeren verdienten.

Fiele die CNSAS, würde zugleich ein Präzedenzfall mit unabsehbaren Folgen geschaffen, denn auch andere Aufklärungsinstitutionen, wie die Antikorruptionsbehörde DNA, arbeiten nach dem Muster der CNSAS. Erst kürzlich hat die EU Rumänien bescheinigt, kaum Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption zu erzielen und dabei einzig die Arbeit der DNA positiv bewertet.

Zwar erließ die Regierung inzwischen ein Eildekret, nach dem die Arbeit der CNSAS vorerst fortgesetzt werden kann. Opfer der Diktatur haben weiter die Möglichkeit zur Akteneinsicht. Es bleibt aber bei der Einschränkung, dass die CNSAS keine Beurteilungen mehr über Ex- Securitate-Mitarbeiter abgeben darf. Das Parlament muss bis Mitte März ein überarbeitetes Gesetz zur Offenlegung von Geheimdienstverstrickungen verabschieden. Gelingt dies nicht, sind die Tage der CNSAS und damit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Rumäniens gezählt.

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