zum Hauptinhalt
320648_0_4b4629b3.jpg

© Keystone Pressedienst

Gesundheit: Noch ein Fall für Rösler

Während Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) noch nach einer Möglichkeit sucht, die Lücke im Gesundheitsfonds zu füllen, hat die EU-Kommission ganz andere Ideen, wie Arzneimittelkosten gesenkt werden könnten: Sie nimmt die Pharmaindustrie selbst ins Visier.

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) steht vor einem Dilemma. Die Zusatzbeiträge der Krankenkassen sind genauso unbeliebt wie seine Idee einer Kopfpauschale mit Sozialausgleich. Dennoch muss irgendwo das Geld herkommen, das im Gesundheitsfonds fehlt. Alle Blicke richten sich nun auf den Etat und, siehe da, der zweitgrößte Posten sind die Ausgaben für Arzneimittel. 30 Milliarden Euro jährlich werden für Pillen und Pülverchen in Deutschland ausgegeben, Tendenz steigend. Rösler setzt nun auf Rabattverträge zwischen Kassen und Herstellern.

Währenddessen hat die EU-Kommission ganz andere Ideen, wie die Kosten für Arzneimittel gesenkt werden können. Sie will in diesem Jahr die Praktiken der Pharmahersteller selbst ins Visier nehmen. Der Verdacht von Noch- Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, den eine Untersuchung von 2009 untermauert: Möglicherweise unlautere Absprachen zwischen den Herstellern teurer Patentmedikamente und denen günstiger Nachahmerprodukte treiben die Kosten für Arzneimittel unnötig in die Höhe.

Patente sind das größte Kapital der forschenden Arzneimittelhersteller. „Innovative Forschung ist mit hohen Ausfallrisiken verbunden. Diese Risiken und die Entwicklungskosten müssen wir refinanzieren, dazu sind Patente da“, sagt Jochen Stemmler vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller. Während der Laufzeit des Patents haben die Pharmahersteller ein Monopol auf den Wirkstoff, nur sie dürfen das Medikament verkaufen. In Europa werden Patente meist für etwa 20 Jahre ausgestellt, allerdings bleiben sie im Schnitt deutlich kürzer in Kraft. Häufig werden die Patente bereits vor Ablauf der Frist von Konkurrenten angefochten. Durchschnittlich bleiben dem Patentinhaber aber immer noch 14 Jahre Monopol. Läuft das Patent aus oder verliert der Inhaber seine Rechte vor Gericht, dürfen auch andere Hersteller das Medikament produzieren. Das bringt Konkurrenz, in der Folge sinkt der Preis. So sollte es sein.

De facto haben forschende Pharmahersteller viele Wege gefunden, ihre Patente und damit ihre Monopolstellung zu schützen und zu verlängern. Eine Methode, die die Wettbewerbskommissarin besonders bemängelt: Gerichtliche Patentstreitigkeiten zwischen den Herstellern der Originale und den Herstellern von Nachahmerprodukten enden häufig mit einem Vergleich. Darin enthalten sind nicht selten Ausgleichszahlungen der Entwicklerindustrie an den Billigkonkurrenten. Der verspricht im Gegenzug, sein Produkt mit einiger Verzögerung auf den Markt zu bringen. Im Schnitt dauere es so sieben Monate länger als nötig, bis das „Generikum“, also das nicht patentgeschützte Nachahmerprodukt, auf den Markt käme, ergab der Bericht der Kommission. 20 Prozent könne man einsparen, gäbe es diese wettbewerbsrechtlich bedenklichen Absprachen nicht.

Auch in den USA ist diese Praxis ein Thema.  Die oberste amerikanische Kartellbehörde (FTC) zählte im Jahr 2009 19 sogenannter „Pay for delay“ -Vereinbarungen, die die Einführung von Generika durchschnittlich um vier Jahre verschoben haben. Das koste jährlich 3,5 Milliarden Dollar, so die FTC.

In Deutschland ist die Praxis direkter Zahlungen nach Einschätzung des Bremer Gesundheitsökonomen Gerd Glaeske eher selten. Doch auch hierzulande haben Pharmaunternehmen Tricks entwickelt, Scheininnovationen etwa. Ein Beispiel: Der Wirkstoff Omeprazol hilft unter anderem gegen Magengeschwüre. Kurz vor Ablauf des Patentes im Jahr 2000 meldete der Pharmakonzern AstraZeneca, der mit dem Medikament gutes Geld verdiente, eine Variante des Wirkstoffes zum Patent an: ein Spiegelbild des Moleküls, dessen Wirkung aber nach Ansicht von Experten die gleiche ist. „In solchen Fällen muss man fragen, ob es sich wirklich um Forschungsleistungen im engeren Sinne handelt“, sagt Glaeske.

Solche und andere Praktiken werden in Zukunft womöglich zunehmen. Die amerikanische FTC hat festgestellt, dass die Zahl der Pay-for-delay-Verträge zunimmt. Das könnte daran liegen, dass sich die forschende Pharmaindustrie in einer kritischen Phase befindet. Zwar ist das Wachstum stabil. In den nächsten fünf Jahren werden aber zahlreiche lukrative Patente auslaufen – für Medikamente gegen „Volkskrankheiten“ wie Depression, Bluthochdruck oder Diabetes im Wert von 139 Milliarden Dollar Umsatz, so eine Studie des Brancheninformationsdienstes IMS-Health. Neue Wirkstoffe werden dagegen eher für Nischenmärkte entwickelt, in denen es schwieriger ist, mit Einzelinnovationen viel Geld zu verdienen.

In den USA befassen sich die Wettbewerbshüter bereits seit einer Dekade mit dem Thema, erste Kontrollmechanismen sind bereits installiert. So sind seit einigen Jahren die Pharmaunternehmen verpflichtet, bestimmte Abkommen an die Kartellbehörde zu berichten. Die Version der Gesundheitsreform, die im US-Repräsentantenhaus verabschiedet wurde, sieht sogar ein Verbot von Pay-for-delay-Absprachen vor.

Wettbewerbskommissarin Kroes lässt sich nun ebenfalls von mehreren großen Pharmakonzernen mit Konkurrenten geschlossene Verträge vorlegen. Zunächst müsse man noch „besser verstehen, warum, von wem und unter welchen Bedingungen die Vereinbarungen geschlossen werden“, erklärte Kroes. Ihr Nachfolger Joaquín Almunia wird im Frühjahr berichten, was dabei herausgekommen ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false