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Gesundheitsfonds: Wackelige Angelegenheit

Dem Gesundheitsfonds fehlt bereits vor seinem Start am 1. Januar Geld. Wird das umstrittene Projekt scheitern?

Inzwischen hat es sogar Daniel Bahr eingesehen. Am Gesundheitsfonds und dessen pünktlicher Einführung zum Jahresbeginn gibt es nichts mehr zu rütteln. Bis vor kurzem hatte der FDP-Abgeordnete mit jedem wetten wollen, dass das ungeliebte Projekt noch wegen Muffensausen oder besserer Einsicht in letzter Minute verschoben wird. Nun tröstet sich der Gesundheitspolitiker mit dem Ge danken, dass „wir das Ganze, wenn wir an der Regierung sind, wieder rückgängig machen“. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder hat Ähnliches angekündigt – obwohl er den Fonds als CSU-Generalsekretär mit ausgehandelt hat. So wie der Fonds ausgestaltet sei, werde er „wohl keine Probleme lösen“, sondern nur den „Weg in die Staatsmedizin“ ebnen, sagt Söder. Und Bahr wettet nun auf einen Wahlkampf, „bei dem sich auch Union und SPD wieder von ihrem Fonds distanzieren werden“ – weil dieser bis dahin schon als „Scherbenhaufen“ zu besichtigen sei.

Zur Erinnerung: Mit dem Gesundheitsfonds fließen die Beiträge nicht mehr direkt an die Krankenkassen, sondern in einen gemeinsamen Topf, aus dem sie dann wieder – mit Steuerzuschüssen und nach einem neu geregelten Risikoausgleich – den Kassen zugeleitet werden. Neu ist zudem ein einheitlicher Beitragssatz für alle gesetzlich Versicherten, den sich bedürftige Kassen allerdings mit Zusatzbeiträgen von bis zu einem Prozent des Bruttoeinkommens ihrer Mitglieder aufhübschen dürfen. Theoretisch können sie ihnen auch Geld zurückerstatten, aber da mit rechnet kaum noch jemand. Schließlich haben die Kassen zu Protokoll gegeben, dass ihnen die Einnahmen aus dem gesetzlich festgelegten Satz von 15,5 Prozent nie und nimmer reichen. Sie wollten 0,3 Punkte mehr – und das schon vor dem großen Bankendebakel.

Wie wirkt sich die aktuelle Finanzkrise auf den Fonds aus?

Die Kassen erhalten, so hat es die Gesundheitsministerin versprochen, die errechneten 167,6 Milliarden Euro ohne Wenn und Aber. Das sind dann immerhin 10,6 Milliarden mehr als noch in diesem Jahr, und davon lassen sich auch höhere Ärztegehälter und Arzneikosten bezahlen. Das Problem kommt erst mit Zeitverzögerung – und dann als Einnahmerisiko. Denn wenn aufgrund der Krise die Arbeitslosenzahlen hochschnellen, sinken die Beitragseinnahmen. So hat der Schätzerkreis vor kurzem seine Oktoberprognose korrigieren und die erwarteten Einnahmen für 2009 um 440 Millionen Euro niedriger ansetzen müssen. Dieses Geld wird fehlen, und dank der neuen Konstruktion muss der Bund dafür geradestehen. Er wird den Kassen zunächst über ein Darlehen helfen. Weil der Fonds auf die Schnelle noch keine Finanzreserve aufbauen konnte, hatte Ministerin Ulla Schmidt (SPD) dies ohnehin vorgesehen. Allerdings hatte sie nur an die üblichen Beitragsschwankungen während des laufenden Jahres gedacht und nicht an Einnahmeausfälle durch die wohl größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.

Wie stark werden die Folgen spürbar sein?

Experten erwarten, dass das nächste Jahr für den Fonds noch glimpflich abgeht. Das „böse Erwachen“ komme nach der Bundestagswahl. Erst 2010 schlagen die Auswirkungen der Rezession voll auf die Sozialversicherungssysteme durch. Und just dann muss auch noch das Darlehen zurückgezahlt werden, ohne das der Fonds schon 2009 nicht über die Runden käme. Wo das Geld herkommen soll, muss die Politik entscheiden. Generell gibt es vier Möglichkeiten: höherer Beitragssatz, höhere Zusatzbeiträge der Versicherten, Leistungskürzungen und/oder höhere Zuzahlungen sowie mehr Steuerzuschüsse. Populär ist nichts davon.

Wie verhalten sich die Krankenkassen?

Still und verunsichert. Trotz des inzwischen geklärten Verteilungsschlüssels haben die meisten noch keine Ahnung, ob und wie lange sie mit den Fondsmitteln auskommen. Gleichzeitig will partout kei ne Kasse die erste sein, die von ihren Versicherten Zusatzbeiträge verlangt. Schließlich bedeutet das im Wettbewerb untereinander so etwas wie einen Offenbarungseid. Egal, wie düster die Aussichten: Niemand werde diesen Schritt bis zur Bundestagswahl wagen, prophezeit Baden-Württembergs AOK-Chef Rolf Hohberg.

Die Angst, „als unwirtschaftlich gebrandmarkt zu werden“, könne dazu führen, dass die Kassen auf mittel- bis langfristig wichtige Investitionen verzichten, warnen die Gesundheitsexperten Jürgen Wasem und Stefan Greß. Man brauche sich „nicht zu wundern, dass sich alle Kassen erst mal von teuren Verträgen trennen“, sagt DAK-Vorstandschef Herbert Rebscher. Seine Kasse hat schon mal die freiwillige Leistung einer Auslandsschutzimpfung gestrichen. Bei den Ersatzkassen fiel der neuen Vorsicht die Vereinbarung zur Sozialpsychiatrie zum Opfer. Und auch bei der Techniker-Krankenkasse, die für den Fonds besonders bluten muss, pfeift der Vorstandschef auf Nachhaltigkeit. 2009, sagt der sonst eher experimentierfreudige Norbert Klusen, werde mit Sicherheit „kein Jahr der Innovationen“. Gerade bei Vorsorgemodellen, die sich erst nach Jahren auszahlten, rechne man nun mit besonders spitzem Bleistift.

Was sind die größten Schwachstellen des Gesundheitsfonds?

Am neuen Risikoausgleich, der sich an den Krankheiten der Versicherten orientiert, ist vieles kritisiert worden – etwa, dass die Kassen damit einen Anreiz zur „Krank erhaltung“ ihrer Mitglieder erhielten oder dass die zugrunde liegenden Zahlen zu alt seien. Fakt ist aber auch: Der Ausgleich beseitigt oft beklagte Wettbewerbsverzerrungen. Bislang hatten Kassen mit vielen gesunden Gutverdienern große Vorteile. Nun werden die AOKen nicht mehr für ihre chronisch Kranken bestraft. Dadurch gibt es auch einen Anreiz, stärker in deren Versorgung zu investieren.

Ein Problem liegt eher in der Konstruktion des Zusatzbeitrages. Da er auf ein Prozent des Einkommens begrenzt ist, stehe einem „vergleichsweise bescheidenen Gewinn an Verteilungsgerechtigkeit“ ein hoher Bürokratieaufwand gegenüber, klagen die Experten Wasem und Greß in einer Studie der Hans-Böckler- Stiftung. Zudem benachteilige die Klausel Kassen mit vielen Niedrigverdienern – weil die, wenn sie ihre Finanzlage verbessern wollten, schneller an die Obergrenze stoßen.

Politisch fragwürdig ist auch die Kombination aus einkommensabhängigem Beitrag und pauschalem Zusatzbeitrag. Steigende Ausgaben werden zunächst mit steigenden Zusatzbeiträgen abgefangen – die aber vom Versicherten allein zu zahlen sind. Solange der Beitragssatz nicht erhöht wird, sind die Arbeitgeber also fein raus – nach dem Entschluss, den Versicherten 0,9 Beitragspunkte für Zahnersatz und Krankengeld allein aufzubürden, ein weiterer Schritt weg von der Parität.

Was müsste am Fonds noch geändert werden, und wie wahrscheinlich ist das?

Es gebe kaum einen Experten, der den Fonds inhaltlich verteidige, sagt der FDP-Politiker Bahr. Und insgeheim hätten auch viele Koalitionspolitiker lieber zunächst einmal einen Probelauf gesehen. Doch ohne Realität keine realen Folgewirkungen, auf die man reagieren kann. Außerdem wird der Fonds ohnehin nachgebessert werden – spätestens nach der Wahl und dann nach politischer Zielrichtung. So könnte man die pauschalen Zusatzbeiträge deutlich erhöhen (Union) oder sie – im Zuge einer Bürgerversicherung – wieder ganz abschaffen (SPD). Aber auch wenn man sich für den Königsweg höherer Steuerzuschüsse entscheidet, wie inzwischen sogar von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) gefordert: Als Instrument zur Mittelverteilung wird der Fonds wohl erhalten bleiben und sich auch als durchaus nützlich erweisen.

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