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Gesundheitspolitik: Mängel in der Praxis

Mediziner wollen die Gesundheitsversorgung umgestalten. Ministerin Schmidt bleibt dem Ärztetag fern, um sich der herben Kritik zu entziehen.

Berlin - Natürlich ist es auch eine Botschaft, dass sich Ulla Schmidt an diesem Dienstag mit der Schweinegrippe beschäftigt. Statt sich wie üblich der ritualisierten Politikbeschimpfung beim Ärztetag in Mainz zu stellen, fuhr die Gesundheitsministerin lieber zu einem Ministertreffen nach Genf. Schmidts erstmalige Abwesenheit lässt mehrere Interpretationen zu. Erstens: Sie sieht kaum noch Neuigkeitswert in den Forderungen und Zornesbekundungen der Ärzte. Zweitens: Sie hat sich im Honorar-Dauerkonflikt zu sehr über die Medizinerlobby geärgert. Oder drittens: Das Ärztetags-Thema geht ihr diesmal besonders über die Hutschnur.

Es spricht einiges für die dritte Interpretation. Die Rationierungsdebatte, mit der die Mediziner diesmal in die Schlacht ziehen, erbost Kassen und Politik, weil sie unterstellt, dass das Geld für eine gute medizinische Versorgung aller nicht mehr reicht. Und wie erwartet legte Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe nach. Die Öffentlichkeit sei „lange genug geblendet worden“, sagte er in seiner Eröffnungsrede unter dem Beifall der rund 250 Delegierten. Mangelversorgung sei in Deutschland „leider Realität“. Und wer behaupte, die umfassende Gesundheitsversorgung sei sicher, sage „schlicht und einfach nicht die Wahrheit“.

Auch seine Idee einer Prioritätenliste für medizinische Leistungen, schon vor dem Ärztetag in vielen Interviews kundgetan, wiederholte Hoppe in Mainz (siehe Kasten). Wobei er betonte, dass die Ärzte nicht etwa die Rationierung oder Streichung von Leistungen befürworteten. Sie dürften aber auch nicht länger für den „staatlich verordneten Mangel“ verantwortlich gemacht werden, der sich im Bettenabbau in Krankenhäusern ebenso äußere wie im Sparkurs bei Arzneimitteln oder der schlechten Versorgung von Pflegeheimbewohnern und Sterbenden.

Mit seinen Thesen habe er „eine Diskussion provozieren“ wollen, in der die Politik „Farbe bekennen muss“, sagte Hoppe. Mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln lasse sich der medizinische Fortschritt in Kliniken und Praxen nicht länger abbilden. Gleichzeitig aber gebe es ein „unbegrenztes Leistungsversprechen“ an die Versicherten. „Diesen zerstörerischen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit halten wir in der täglichen Praxis nicht länger aus – und wir wollen ihn auch nicht länger aushalten.“

Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder widersprach Hoppes Behauptungen mit Vehemenz. Es gebe weder Rationierung noch Mangelversorgung. Mit der Reform seien sogar Leistungen ausgeweitet worden. Und auch künftig könnten alle vom medizinischen Fortschritt profitieren – egal, ob privat versichert oder nicht. Allerdings müsse das System effizienter werden, drängte Schröder. Besser gefiel den Anwesenden da schon der Auftritt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. Zwar lehnte auch Kurt Beck Prioritätenlisten ab und warnte vor Übertreibungen. Allerdings forderte der SPD- Mann gleichzeitig, was die Ärzte fordern: dem Gesundheitswesen einen „höheren Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen“ zur Verfügung zu stellen.

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