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Heilsam oder nicht? Die Homöopathie-Branche boomt, doch die Wirkung ihrer Methoden ist umstritten. Deshalb sollen die Kassen nicht mehr dafür aufkommen.

© pa/ gms

Gesundheitsreform: Kampf gegen Kosten und Kügelchen

Die Forderung, Homöopathie aus dem Leistungskatalog der Kassen zu streichen, löst heftige Debatten aus.

Berlin - Den Krankenkassen gefällt die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht. Und sie wundern sich, dass sie ausgerechnet von der SPD losgetreten wurde. Wenn man nun über Sinn und Unsinn von Homöopathie diskutiere, sei man womöglich auch ganz schnell bei der Frage, was den Kassenmitgliedern sonst noch an Leistungskürzungen zuzumuten sei, sagt Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Das aber wäre aus seiner Sicht „grundverkehrt“. Nach den Rekordeinnahmen von Ärzten und Kliniken in der Vergangenheit sei es vielmehr „an der Zeit, bei den Leistungserbringern zu sparen“. Und darauf hinzuweisen, dass die Koalition hier noch viel zu vorsichtig agiere.

Karl Lauterbach will das eine, ohne das andere zu lassen. Mitten im Streit um gesundheitspolitische Weichenstellungen fordert der SPD- Experte, die Homöopathie aus dem gesetzlichen Leistungskatalog zu streichen. „Man sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen“, sagte er dem „Spiegel“, entfachte damit gleich zu Beginn des politischen Sommerlochs eine Riesendebatte – und brachte auch das übliche Freund- Feind-Schema gehörig durcheinander.

Die Wahltarife für Homöopathie seien auf rot-grünen Wunsch gemeinsam eingeführt worden, erinnerte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), sogleich. „Sollte die SPD hier nun gesprächsbereit sein, können wir sie morgen abschaffen.“ Die Grünen aber wollen alles, bloß das nicht. Ein Verbot träfe gerade Patienten, die auf gesunde Lebensführung achteten, warnte Parteichefin Claudia Roth. Und die Kosten für Homöopathie, so Fraktionsvorsitzende Renate Künast, stünden in keinem Verhältnis zu den gigantischen Summen, die sonst ausgegeben würden.

Man könne doch nicht aus Kostengründen für faktische Nichtbehandlung plädieren, kontert Lauterbach. Zudem widerspreche es jeder ärztlichen Ethik, nach unwirksamen Prinzipien zu arbeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren. Er kenne nur wenige Ärzte und „und keinen einzigen Medizinwissenschaftler“, die von der Wirkung der Homöopathie überzeugt seien, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel und warf Medizinern und Versicherern „kollektive Täuschung der Patienten“ vor – man biete Wirkungsloses an, weil es nachgefragt sei und die Kassen klingeln lasse. Heraus komme Verschwendung und ein Schaden für Kranke, die nicht angemessen behandelt würden.

Fakt ist, dass die Behandlung mit den Wunderkügelchen aus dem deutschen Gesundheitssektor nicht mehr wegzudenken ist. Laut Ärztekammer tragen bereits mehr als 6700 Ärzte die Zusatzbezeichnung Homöopath – ihre Zahl hat sich seit 1993 mehr als verdreifacht. Auch 3000 Apotheker verfügen über eine entsprechende Ausbildung. Nach einer Allensbach-Umfrage haben 57 Prozent der Deutschen schon einmal homöopathische Mittel geschluckt. Und jeder vierte ist überzeugt von ihrer Wirksamkeit.

Die Branche boomt, und die Versicherer ziehen mit. Nach Angaben des GKV- Spitzenverbands erstatten derzeit 98 gesetzliche Kassen die Kosten für Homöopathie – darunter fast alle Betriebskrankenkassen und auch der Zweitgrößte in der Branche, die Techniker Krankenkasse (TK). Dadurch, so Lauterbachs Vorwurf, würden die fragwürdigen Methoden der Homöopathie erst „geadelt“, denn die Patienten seien natürlich der Ansicht, dass nur das bezahlt werde, was auch wirke.

Die TK begründet ihr Angebot denn auch mit dem Wunsch ihrer Versicherten nach Behandlungsalternativen. Allerdings machten im vorigen Jahr nur 0,5 Prozent der TK-Versicherten davon Gebrauch. Es handle sich um keinen dicken Kostenbrocken, sagt Sprecher Hermann Bärenfänger. „Und durch das Wegstreichen werden Sie das GKV-System auch nicht gesund bekommen.“

Konkret gehe es bei der Kostenerstattung nicht um Arznei, sondern um die in der Homöopathie aufwendige Anamnese. Ansonsten gebe es für Ärzte ja keinen Anreiz, „sich eine Stunde mit dem Patienten hinzusetzen“. So aber ergebe sich die Chance, komplexen Krankheitsverläufen auf die Spur zu kommen – und womöglich auf unnötige Untersuchungen oder Behandlungen zu verzichten, sagt Bärenfänger. Bei der Kostenübernahme achte man ja auch darauf, dass die Homöopathie nicht von irgendwelchen Heilpraktikern, sondern von weitergebildeten Schulmedizinern erbracht werde. Und den Kosten-Nutzen-Effekt lasse man derzeit mit einer Studie an der Charité untersuchen. Dass man in der Homöopathie länger mit den Patienten spricht, findet auch Lauterbach gut. Das sei „das einzig Brauchbare“ daran, sagt er. Kranken mit unwirksamer Medizin auf Kassenkosten Hilfe vorzugaukeln, sei jedoch nicht länger vertretbar.

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