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Gesundheitsreform: Neue Chance in den USA für ein fast gescheitertes Projekt

Der US-Senat will Barack Obamas Gesundheitsreform nun doch um eine allgemeine Krankenversicherung erweitern.

Totgesagte leben angeblich länger. Mitunter gilt das auch für Gesetzesprojekte. Das zentrale innenpolitische Wahlversprechen Barack Obamas war eine Reform des Krankenversicherungssystems – und in deren Mittelpunkt stand die „public option“: eine öffentlich getragene Krankenversicherung, wie sie in Europa selbstverständlich ist. Ohne eine solche Konkurrenz zu privaten Versicherern ist Obamas Ziel, die rund 47 Millionen Bürger ohne Versicherung in das Gesundheitssystem zu integrieren, wohl nicht zu erreichen. Doch die Republikaner liefen im Sommer Sturm gegen das Vorhaben. Es schien beerdigt. Nun schlägt der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, ein Gesetz vor, das diese „public option“ enthält. Die „Washington Post“ schreibt, „diese Auferstehung ist eine der größten Überraschungen im langen Kampf um die Gesundheitsreform“.

Die Konservativen und die privaten Versicherer betrachten es als prinzipiellen Systemfehler, wenn der Staat zum Versicherer werde. Privatwirtschaft und Marktmechanismen seien der bessere Weg, um allen Bürgern eine erschwingliche Krankenversicherung anzubieten. Die Praxis widerlegt diese Behauptung freilich. Eine leistungsfähige Krankenversicherung gibt es in den USA vor allem für zwei Gruppen, die zusammen 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen: Erstens für jene Angestellten, deren Arbeitgeber eine Krankenversicherung für die Belegschaft und deren Familien abschließen. Zweitens für Senioren im Alter ab 65 Jahren. Für sie übernimmt der Staat im Programm Medicare die Krankenversicherung. Die Systemabweichung, vor der Republikaner warnen, gibt es also längst für eine große Bevölkerungsgruppe; die Betroffenen sagen in überwältigender Mehrheit, sie seien damit zufrieden.

Aus dem System heraus fallen bisher Amerikaner mit niedrigen Gehältern, die nicht über den Arbeitgeber versichert sind und sich die Prämien für ihre Familien nicht leisten können oder wollen, und Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen. Die werden von privaten Versicherern oft nicht aufgenommen, weil sie als „schlechte Risiken“ gelten. Für diese Gruppen muss es nach Obamas Plan eine erschwingliche „public option“ geben. Sie stellen rund 15 Prozent.

In den ersten acht Monaten der Präsidentschaft hatte sich die Debatte um die Gesundheitsreform immer mehr von den Unversicherten entfernt. Stattdessen rückte die Kostenkontrolle in den Mittelpunkt. Die Preise für die Krankenversicherung und das Gesundheitssystem steigen schneller als die allgemeine Inflationsrate. Obama deutete im Sommer an, er werde auch ein Gesetz ohne „public option“ unterschreiben, sofern es den Kostenanstieg bremse und wenigstens einen Teil der Unversicherten in das System integriere. Er hoffte, so die Unterstützung durch einen Teil der Konservativen zu gewinnen. Allein auf die Stimmen der Demokraten im Abgeordnetenhaus und im Senat wollte er sich nicht verlassen. Denn mehrere Parteifreunde, die konservative Wahlkreise vertreten, betrachten die „public option“ ebenfalls mit Skepsis.

Reids Ankündigung, ein Gesetz mit „public option“ einzubringen, markiert einen Strategiewechsel. Republikaner wird er für diesen Entwurf nicht gewinnen. Er setzt auf die Geschlossenheit der Demokraten. Viele Kommentatoren begrüßen den Schwenk, nachdem das Werben um Unterstützung einzelner Republikaner seit Monaten weitgehend erfolglos war. Aber die meisten bezweifeln, dass Reid auf die Stimmen aller Demokraten in beiden Kammern des Kongresses zählen kann. Manche von ihnen fürchten, ihr Ja zur „public option“ könne zur Folge haben, dass sie bei der Kongresswahl im November 2010 ihren Sitz verlieren. Können Obama und Reid ihnen diese Sorge nehmen, zum Beispiel durch die Zusage intensiver Wahlkampfhilfe?

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