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Politik: Gesundheitswesen: AOK: Kassen um Milliarden betrogen

Dem Gesundheitswesen in der Bundesrepublik entstehen durch Abrechnungsbetrug und "andere kriminelle Machenschaften zur Gewinnmaximierung" Schäden in Milliardenhöhe. Zu dieser Überzeugung kommt eine vor dreieinhalb Jahren gegründete Untersuchungsgruppe "Falschabrechnungen" der AOK Niedersachsen, wie Mitglieder der Gruppe am Freitag in Hannover mitteilten.

Dem Gesundheitswesen in der Bundesrepublik entstehen durch Abrechnungsbetrug und "andere kriminelle Machenschaften zur Gewinnmaximierung" Schäden in Milliardenhöhe. Zu dieser Überzeugung kommt eine vor dreieinhalb Jahren gegründete Untersuchungsgruppe "Falschabrechnungen" der AOK Niedersachsen, wie Mitglieder der Gruppe am Freitag in Hannover mitteilten. Der Leiter der Untersuchungsgruppe, Peter Scherler, sagte, stark zugenommen habe der gemeinschaftliche Betrug von Abrechnern aus verschiedenen Leistungsbereichen. Scherler nannte Ärzte, Apotheken, Pflegedienste und Sanitätshäuser.

Der Gruppe gehören etwa 60 Betriebs-, Innungs- und Landwirtschaftskrankenkassen sowie die Bundesknappschaft an. Sie bearbeitet nach eigenen Angaben mehr als 1300 Verfahren. Allein in Niedersachsen habe es im ersten Halbjahr dieses Jahres etwa 370 Fälle gegeben, sagte die Vorstandsvorsitzende der AOK Niedersachsen, Christine Lüer. Jeden Tag kämen zwei neue hinzu. Eine AOK-Untersuchungsgruppe schätzt den Schaden landesweit auf mindestens 50 Millionen Mark.

Dies sei jedoch nur "die Spitze des Eisbergs", sagte Lüer. Betrogen würden die Kassen von Patienten, Ärzten, Krankenhäusern, Laboren, Apotheken, Reha- und Pflegeeinrichtungen. Die Untersuchungsgruppe ist nach eigenen Angaben auf Zufallsfunde und Informationen Dritter angewiesen. Ausgewertet wurden auch Daten aus Arzt- und Apothekenabrechnungen. Das von der Bundesregierung vorgelegte Transparenzgesetz sei ein Schritt gegen den Betrug im Gesundheitswesen, meinte Lüer.

Auf dem Markt für Gesundheitsleistungen werden nach Angaben der Kassen jährlich deutlich über 500 Milliarden Mark bewegt. Rund die Hälfte dieser Summe seien Ausgaben der Krankenkassen. Der Betrug stelle für die Finanzen der Kassen eine erhebliche Belastung dar, "die sogar beitragsrelevant sein dürfte", sagte Scherler. Die finanziellen Auswirkungen von Betrug im Gesundheitswesen seien selbst von Experten praktisch nicht zu schätzen. Es stehe außer Frage, dass die Dunkelziffer hoch ist. Die Aussagen der niedersächsischen Untersuchungsgruppe zur Schadenshöhe beruhten allein auf einer seriösen Hochrechnung konkreter Summen. "Die Politik versagt bisher vor dem Problem, dass sich einzelne Gruppen missbräuchlich und systematisch Vorteile verschaffen", kritisierte die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (TI) schon vor Monaten in Berlin.

Die Untersuchungsgruppe hatte ihre Arbeit 1998 wegen eines Betrugsfalls mit mehreren Millionen Mark Schaden durch eine Praxis von Herzspezialisten aufgenommen. In den zurückliegenden Jahren seien mehrere Verdächtige ins Ausland geflüchtet. Ein Arzt, der im großen Stil Honorare für nicht erbrachte Leistungen abgerechnet und dadurch einen Schaden von rund einer Million Mark verursacht habe, halte sich jetzt vermutlich in Damaskus (Syrien) auf. Ein Schaden von mehr als 3,1 Millionen Mark ist nach Angaben von Scherler dadurch entstanden, dass ein gelernter Maurer, der sich als "freiberuflicher Pharma-Unternehmer" ausgab, gemeinsam mit mehreren Apothekern Infusionen zur Ernährung von Krebskranken noch Wochen nach deren Tod mit den Krankenkassen abgerechnet hat.

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