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Politik: Gewagt, gewonnen

Von Lorenz Maroldt

Klar, dass der massive Berlin-Hype – immer toller, schöner, besser, unwiderstehlich magnetisch – eine avantgardistische Brechung braucht. Nur welche? Im neuen Kreativmagazin „beef“ versucht es ein Autor mit der Umkehrung des alten, längst vergessenen Vorwurfs, Berlin sei aus sich heraus provinziell. Er behauptet, das neue, erregende Berlin zehre allein von der Inspiration, die aus der Provinz in die Metropole strömt. Die Stadt sei höchstens eine Präsentationsplattform gesamtdeutscher Kreativität.

Höchstens? Wenn das als BerlinBashing gemeint war, ist es gründlich daneben gegangen. Dann wurde Berlin selten schöner beschimpft, dann wäre die Stadt ja genau das, was sie sein muss, vor allem im gesamtdeutschen Bewusstsein: Präsentationsplattform des ganzen Landes, wahre Hauptstadt in jedem Wortsinn.

Ganz so weit sind wir noch nicht. Zudem ist die Beschreibung unscharf. Der Provinzbegriff hat hier und heute gar keine Bedeutung mehr, und unter den Antreibern dieser Stadt sind etliche, die Berlin zu Recht ihre Heimat nennen. Aber es ist nicht mehr zu übersehen, dass die nervöse Aktivität, die Berlin seit Anfang der neunziger Jahre vibrieren lässt, endlich zählbare Folgen hat. Gewagt wurde hier schon länger. Jetzt wird auch gewonnen, mehr und mehr. Die Gewinner kommen von überall her und somit nicht zuletzt aus Berlin; einige von ihnen werden wir in den kommenden Wochen im Tagesspiegel vorstellen. Sie haben in den Möglichkeiten, die Berlin bietet, die Chancen entdeckt, für sich und die Stadt.

Das Besondere an Berlin ist, dass die ganze Welt Berlin für etwas Besonderes hält, sagt Wolfgang Schneider, Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt. Das relativiert und realisiert zugleich den derzeitigen Hype, das Hochjubeln der Stadt. Aber das Image, das dahintersteht, kommt nicht von ungefähr, schon gar nicht ist es bloß die Erfindung von Kreativdirektoren oder nur die Illusion der Welt, die tatsächlich mal wieder auf diese Stadt schaut. Nein, das Besondere Berlins ergibt sich bis heute aus den besonderen Umständen, mit denen die Menschen hier fertig werden mussten. Das Vorläufige, Vorübergehende, Unfertige hat diese Stadt ebenso gezeichnet wie das Ruinöse, in finanzieller wie in baulicher Hinsicht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zum Improvisieren, aber auch der Mut zum Ausprobieren.

Von der Politik war hier noch gar keine Rede. Macht aber nichts, die wird nicht so sehr gebraucht bei alledem, was sich gerade entwickelt. Allerdings könnte sie sich durchaus ein wenig mehr mitreißen lassen. Von der Notwendigkeit zum Improvisieren ist sie ohnehin betroffen. Was ihr fehlt, ist der Mut zum Ausprobieren. Im Vergleich zum Erfindungsreichtum der Stadt wirkt die Politik hier doch noch oft arg konventionell, um nicht zu sagen – ach nein, lassen wir das. Diese Zeiten sind vorbei.

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