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Zerstörungen nach Kämpfen in Falludscha.

© dpa

Gewalt im Irak: Al Qaidas Offensive

Durch den Bürgerkrieg in Syrien gerät auch der benachbarte Irak immer stärker in den Strudel der Gewalt. In welche Richtung entwickelt sich die Region?

Aus Lautsprechern der eroberten Moscheen dröhnen Kampfparolen. Schwarz-weiße Al-Qaida-Fahnen flattern auf öffentlichen Gebäuden. Ein halbes Dutzend Polizeiwachen liegen in Schutt und Asche, Armeeposten wurden in Panik evakuiert. Über hundert Dschihadisten konnten aus den Gefängnissen entkommen, während ihre schwarz vermummten Gesinnungsgenossen in den Straßen provisorische Sperren errichten.

Seit Mitte der Woche haben Al Qaidas Gotteskrieger mit Ramadi und Falludscha zwei der wichtigsten Städte des Irak teilweise in ihre Gewalt gebracht. Und obwohl die Zentralregierung in Bagdad eilig Spezialtruppen in die westliche Wüstenprovinz Anbar verlegte, setzten sich die Extremisten am Freitag in weiteren Wohnvierteln fest. Den ganzen Tag nahmen Jagdbomber ihre Stellungen unter Feuer. Die Bodentruppen setzten von den USA gelieferte Hellfire-Raketen in den Straßenschlachten ein. In der Region um Ramadi wurden nach Angaben eines Milizenchefs allein am Freitag 62 islamistische Aufständische getötet. Auch in Falludscha sind die Krankenhäuser nach Angaben von Augenzeugen überfüllt mit Leichen und Verwundeten. Gleichzeitig registrierten UN-Diplomaten einen wachsenden Flüchtlingsstrom von Irakern über die Grenze nach Jordanien. Der Konflikt könnte zur bisher schwersten Staatskrise des Irak seit dem Abzug der Amerikaner vor zwei Jahren eskalieren.

Denn die Al-Qaida-Brigaden des „Islamischen Staates in Irak und Syrien“ (ISIS) haben im vergangenen Jahr beträchtlichen Zulauf erhalten – vor allem durch den Bürgerkrieg in Syrien und durch die wachsenden Spannungen zwischen schiitischer Mehrheit und sunnitischer Minderheit im Irak. Wie im Norden Syriens wollen die Extremisten nun auch im Westen Iraks eigene Enklaven etablieren, von denen aus sie in der ganzen Region operieren und wo sie ungestört ihre Kämpfer ausbilden können. Ähnliche Al-Qaida-Territorien gab es bisher nur im Jemen entlang der Küste des Golf von Aden. 2011 und 2012 errichtete Al Qaida dort ein Schreckensregime unter der Zivilbevölkerung, welches Hunderttausende in die Flucht trieb.

Und so gerät neben Syrien auch sein Nachbar Irak mehr und mehr an den Rand eines neuerlichen Bürgerkrieges. Seit dem Ende der verheerenden Todesjahre 2006 und 2007 hat es im Zweistromland nicht mehr so viele Terrortaten gegeben wie im zurückliegenden Jahr 2013. „Al Qaida profitiert von der enormen Unzufriedenheit. Sie greift die irakische Regierung an, indem sie Soldaten und Polizisten, Politiker und Journalisten sowie ganz normale schiitische Bürger tötet“, heißt es in der Schreckensbilanz der britischen Nichtregierungsorganisation „Iraq Body Count“. Die Risse durch die Gesellschaft seien zu breiten Gräben geworden.

Ausgelöst wurden die jüngsten Kämpfe, als irakische Soldaten Anfang der Woche in Ramadi das seit einem Jahr existierende sunnitische Protestlager gegen schiitische Willkürherrschaft mit Waffengewalt räumten. 17 Menschen starben, die anschließenden Kämpfe breiteten sich rasch auch auf das 45 Kilometer entfernte Falludscha aus.

Iraks Regierungschef Nuri al Maliki trägt eine erhebliche Mitverantwortung für die brutale Polarisierung im Land, weil er sich jedem politischen Brückenschlag zum sunnitischen Lager verweigert. Immer wieder lässt er seine Spezialeinheiten gegen unliebsame sunnitische Politiker ausrücken. Kürzlich starben bei einer Kommandoaktion gegen das Haus des prominenten Abgeordneten Ahmed al Alwani in Ramadi sechs Leibwächter sowie dessen Bruder. 40 sunnitische Parlamentarier legten daraufhin aus Protest ihr Mandat in der Nationalversammlung nieder.

Für sie ist das Maß voll – ihre Minderheit fühlt sich von der schiitischen Mehrheit seit langem in unerträglicher Weise drangsaliert. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung komme es regelmäßig zu wahllosen Massenfestnahmen, nicht nur von Extremisten, auch von unbescholtenen Zivilisten, klagte einer der lokalen Scheichs. Die Regierung habe die Lage verschlimmert, weil sie „immer mehr verzweifelte Leute produziert, die zu Al Qaida überlaufen – wegen der konfessionellen Diskriminierung und den nicht endenden Verhaftungen“.

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