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Eine Protestkundgebung in Cleveland.

© Justin Sullivan, Getty Images/AFP

Gewalt in den USA: Obama und die Schwarzen – was hat er ihnen gebracht?

Der erste schwarze Präsident muss mitansehen, wie rassistische Gewalt eine Blutspur durch sein Land zieht. Ausgerechnet!, rufen da viele. Aber wer nach oben will, muss auf Abstand zu sich selbst gehen können. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es geht weiter: Nach wiederholten Schüssen weißer Polizisten auf schwarze US-Bürger kam die Sniper-Attacke in Dallas, bei der fünf weiße Polizisten starben, und jetzt die Todesschüsse auf Polizisten in Baton Rouge. In den Reaktionen darauf schwingt stets mit, dass diese Gewalt eine besondere Sache Barack Obamas sei: Ausgerechnet er, der erste schwarze Präsident der USA, sieht mit an, wie der überwunden geglaubte Rassismus wieder erstarkt. Von besonderer Tragik ist die Rede, von seinem persönlichen Dilemma.

Aber vielleicht geht bereits der Grundgedanke dieser Sichtweise fehl. Der Gedanke, dass der Schwarze an der Macht, der sich unterstellterweise trotz seines Schwarzseins in der weiß-normierten Welt durchsetzen konnte, sich in solidarischer Weise den Schwarzen im Land verpflichtet fühlen würde. Vielleicht ist es genau umgekehrt. Vielleicht konnte er nur so weit kommen, weil er sich von dieser Solidarität eben nicht gebunden fühlte. Oder soll man richtiger sagen: gefesselt? Denn die Solidarität mit Schwarzen wäre in der Karrierelogik die Solidarität mit den Schwächeren. Wer sich aber permanent den Schwächeren zuordnet, dem könnte genau das Quäntchen Erfolgsglaube verloren gehen, den es für den Weg an die Spitze braucht.

Einmal ist Obama abgewichen vom Pfad der Distanzierung. Das war im Zusammenhang mit dem im Februar 2012 in Sanford (Florida) getöteten Teenager Trayvon Martin. Der Schütze, ein Nachbarschaftswächter, wurde 2013 freigesprochen – ein umstrittenes Urteil, zu dem der Präsident Stellung nahm. Jeder Schwarze kenne das Gefühl, als Bedrohung wahrgenommen zu werden, sagte Obama, und über den getöteten 17-Jährigen sagte er: „Das hätte ich vor 35 Jahren sein können.“ So viel verbale Nähe war später nicht mehr. Auch wenn die meisten Fälle mutmaßlich rassistischer Polizeigewalt – von Ferguson bis Falcon Heights – danach stattfanden.

Angela Merkel bringt Frauen nichts, Gerhard Schröder war der Genosse der Bosse

Für diese Art Mangel an Solidarität gibt es auch hierzulande Beispiele. Angela Merkel, Bundeskanzlerin. Anfang Juni wurde sie zum sechsten Mal in Folge vom US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ zur mächtigsten Frau der Welt erklärt. Schön für sie, aber was hat das den Frauen in ihrem Lande gebracht? War Angela Merkel je eine, die die Sache der Frauen vorangetrieben, überhaupt zu ihrer Sache erklärt hätte? Hat sie, im Bundeskanzleramt angekommen, Barrieren abgebaut, die ihren Geschlechtsgenossinnen hinter ihr im Wege stehen könnten? Nicht wirklich.

Wenn sie überhaupt ihr Frausein je zum Thema gemacht hat, dann eher ganz gegen jede gleichberechtigungsfördernde Hoffnung im Zusammenhang mit häuslichen Gepflogenheiten und Problemen in der Küche (Stichworte: Frühstück für den Ehemann, zu wenig Streusel auf dem Kuchen).

Oder auch Gerhard Schröder, ihr Amtsvorgänger von der SPD. Immer wieder gern hat man ihn (hat er sich) inszeniert als Beleg dafür, dass man es in Deutschland auch aus einfachen Verhältnissen bis nach oben schaffen könne. Aber was hat Gerhard Schröder jenen Menschen gebracht, die immer noch in eben den Verhältnissen leben, aus denen er so wacker emporkam?

Er hat ihnen Hartz IV gebracht, Ein-Euro-Jobs und allerlei weitere Veränderungen, die heute weitgehend als Zumutung empfunden werden, als Maßnahmen, die vor allem Verschlechterung und Gängelung bedeuten. Als gehe ihn das alles nichts an, hat er sich im teuren Brioni-Anzug und mit dicker Zigarre fotografieren lassen. Der Aufsteiger als Angeber, als nahezu lächerliche Karikatur seiner selbst. Er war augenscheinlich lieber der „Genosse der Bosse“, als dass er die Hand nach unten ausgestreckt hätte, um dort zu helfen, zu unterstützen, zu fördern.

Minderheitenpolitik ist selten mehrheitsfähig

„Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“, hat der Satiriker F. W. Bernstein mal formuliert. Und erhellt das nicht auf eine Art, was sich an Schröder, Merkel und Obama besichtigen lässt? Dass man Abstand zu sich selbst sucht, vor allem zu jenen Teilen von sich, die nach den geltenden Normen eine Schwäche bedeuten, einen Nachteil, der einen um Chancen bringen und stigmatisieren könnte.

Wie könnte es anders gehen?

Vielleicht gar nicht. Nach oben kommen Politiker nur mit Mehrheiten. Und ein Politiker, der – kaum an der Macht – damit anfängt, Interessenpolitik für eine wie auch immer mit ihm assoziierte benachteiligte Gruppe zu machen, wäre vermutlich schnell wieder weg. Minderheitenpolitik ist selten mehrheitsfähig. Das ist eine Tragik für sich.

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