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Flüchtlinge in einer Turnhalle. Die Enge macht aggressiv. Foto: Peter Kneffel/dpa

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Gewalt unter Flüchtlingen: Trennung nach Religion? Was Praktiker sagen

Enge, Sprachprobleme, Wut: Die Probleme in Flüchtlingsheimen sind vielfältig. Gewalt unter Asylsuchenden nährt Vorurteile. Wie gehen die Menschen vor Ort damit um?

Mit der Zahl der Flüchtlinge wächst auch die der gewalttätigen Auseinandersetzungen in den oft provisorischen und überfüllten Erstunterkünften. In der Nacht zum Donnerstag meldete allein die Hamburger Polizei drei Großeinsätze wegen handgreiflicher Streitigkeiten und Schlägereien.

Auch während der Bundestagsdebatte um die Verschärfung des Asylrechts spielte das Thema eine Rolle: Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verwies auf die Enge der Unterkünfte. Auseinandersetzungen seien „unvermeidlich“. Das geänderte Gesetz schreibt nun sogar vor, dass Asylbewerber sich ein halbes Jahr lang in Sammelunterkünften aufhalten müssen.

Verwundbare Flüchtlinge brauchen mehr Schutz

Menschenrechtler und Wissenschaftler weisen auf den Zusammenhang seit Langem hin und verlangen Schutz für besonders verletzliche Gruppen: Frauen zum Beispiel seien sexueller Gewalt ausgesetzt – schon allein dadurch, dass ihre Mitbewohner zu 70 Prozent Männer seien. Die Duschen in den Heimen seien offen, Zimmer oft nicht abschließbar, sofern überhaupt vorhanden.

Die Heimleitungen kennen die Probleme. Das Deutsche Rote Kreuz betreut deutschlandweit 311 Notunterkünfte mit bis zu 90.000 Menschen. Holger Andrée ist Projektleiter eines Camps im hessischen Bensheim, in dem zur Zeit etwa 600 Menschen in sieben Zelten leben. Eine Zeltstadt, die es nur noch bis zum Ende des Monats geben wird, dann wird es zu kalt.

Ein solches Camp sei eine „absolute Notlösung“, betont Andrée. Flüchtlinge bleiben hier nur einige Tage, manche aber auch bis zu sechs Wochen. Trotzdem hat es das DRK-Team gemeinsam mit Ehrenamtlichen aus Bensheim bisher geschafft, größere Konflikte zwischen den Bewohnern zu vermeiden.

Missverständnisse und Aggression

„Wir haben hier Menschen aus bis zu 14 Herkunftsländern“, sagt Andrée. „Wenn es geht, versuchen wir, Ethnien und Religionen getrennt unterzubringen, auch Frauen und Familien haben eigene Zelte.“ Dies helfe, Konflikte zu vermeiden. Mindestens genauso wichtig sei es aber, die Menschen zu beschäftigen.

In der Zeltstadt gibt es einen Basketball- und einen Volleyballplatz, einen kleinen Frisörsalon, einen Fahrradmechaniker aus Afghanistan, eine Schule für Kinder und Erwachsene „Die Menschen sind begierig darauf, die Sprache zu lernen“, sagt Andrée. „Ich habe darauf geachtet, dass neben den Dolmetschern auch das Küchenpersonal und die Security über Sprachkenntnisse verfügen, die wir hier brauchen“, sagt Andrée. Auch so ließen sich Konflikte, die häufig auf Missverständnissen beruhten, vermeiden. Man müsse bedenken, dass nur etwa zehn Prozent der Menschen Englisch sprächen.

Streit nicht um den Glauben, sondern in der Familie

In der Flüchtlingsunterkunft Ostpreußendamm 108 in Berlin-Lichterfelde leben 300 Menschen. „Allein mit den deutschen Sekundärtugenden Sauberkeit, Ordnung und Disziplin kann man so eine Unterkunft nicht organisieren“, sagt der Leiter Wolfgang Keller. Wichtiger sei eine „interkulturelle Kompetenz und Dialogbereitschaft“. Man müsse den Flüchtlingen „auf gleicher Augenhöhe“ begegnen: „Wenn man mit den Menschen spricht, ihnen zuhört, ihre Bedürfnisse erfasst, entspannt sich die Situation.“

Um das zu erreichen, müsse man auch die Sicherheitskräfte vermehrt in die „Arbeit integrieren“ und vor allem ihre Sozialkompetenzen stärken. Etwas sieht Keller ganz anders als sein Kollege in Bensheim: Auf keinen Fall solle man Religionen trennen. Die meisten Konflikte entstünden innerhalb von Familien oder Clans. Fremde Kulturen hingegen begegneten sich eher vorsichtig.

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