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Politik: Gewichtsprobleme

Auch beim zweiten Treffen kommen sich die Staats- und Regierungschefs im Streit um die EU-Verfassung nicht näher

„Dieser Gipfel wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Aber er wird erste Weichen für Kompromisse stellen“, sagte ein hoher Diplomat schon vor Beginn des Treffens. Am Donnerstag kamen die Staats- und Regierungschefs aus den 15 EU-Staaten und den zehn Beitrittsländern zum zweiten Mal zusammen, um die künftige EU-Verfassung auszuhandeln. Zum Nachfolger von Wim Duisenberg an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde erwartungsgemäß der französische Notenbankchef Jean- Claude Trichet ernannt.

„Die Positionen haben sich seit unserem letzten Treffen nicht verändert“, stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder fest. Der polnische Regierungschef Leszek Miller hielt dagegen: „Für uns bleibt Nizza der Kompromiss“. Beim EU-Gipfel in Nizza Ende 2000 war Polen und Spanien eine für beide Länder günstige Stimmengewichtung in den EU-Ministerräten zugestanden worden. Kompromissbereitschaft deutete Spaniens Regierungschef José Maria Aznar an: „Nizza ist keine Bibel“, sagte er.

Beim letzten Treffen der EU-Außenminister hatte sich keine Annäherung in den zahlreichen strittigen Fragen zur EU-Verfassung abgezeichnet. Daraufhin meldete sich einer der Vertreter des Europaparlaments in der Regierungskonferenz, Klaus Hänsch, empört zu Wort: „Die meisten Teilnehmer haben nicht begriffen, was hinter dem Gesamtkonsens steht. Sie verlieren sich in kleinteiligem Pragmatismus“, warnte er. Wie verhärtet die Fronten zwischen den Staats- und Regierungschefs im Streit um die künftige Verfassung am Donnerstag immer noch waren, ließ sich auch an der entnervten Äußerung des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson ablesen: Die Debatte am Morgen habe „das Ganze überhaupt nicht nach vorne gebracht“, sagte er.

Zusätzlich kochte in dieser Woche die Frage der künftigen EU-Verteidigungspolitik hoch. Heftiges Gerangel gab es darüber, welche Möglichkeiten die Mitgliedstaaten haben sollen, die in der Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten wollen. Nachdem auch Großbritanniens Premier Tony Blair einer eigenständigen EU-Verteidigungspolitik zugestimmt hat, befürchten jetzt vor allem Schweden und Finnland, ungewollt in militärische Manöver einbezogen zu werden.

Auch die ungewöhnliche Vertretungs-Lösung, die Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac für den zweiten Tag des Gipfels ersonnen hatten, kam zur Sprache. Schröder hatte Chirac gebeten, ihn am Freitag bei den Schlussberatungen zu vertreten, da der Kanzler bei der Abstimmung über die Reformgesetze im Bundestag nicht fehlen wollte. In europäischen Fragen habe die Bundesregierung mit der Regierung in Paris „nahtlose Übereinstimmung“, erläuterte der Kanzler in Brüssel. Während die meisten Gipfelteilnehmer positiv auf den Schulterschluss reagierten, gab sich Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel pikiert: „Man sollte sich für die Gipfel Zeit nehmen.“

Mariele Schulze Berndt[Brüssel]

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